Überroll-Kommando

Die deutsche Autoindustrie steigt in die Elektromobilität ein – aber ohne die wichtigste Zutat selbst fertigen zu können: die komplette Batterie. Das geht. Aber geht es gut?

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Überroll-Kommando
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Von
  • Denis Dilba

Es ist ja nicht so, als ob die Branche nicht versucht hätte, Batteriezellen in Deutschland zu produzieren. Da war zum Beispiel Li-Tec. Die Zellen der Daimler-Tochter aus dem sächsischen Kamenz sollen in Bezug auf Ladezyklen, Haltbarkeit und Sicherheit die Produkte der asiatischen Konkurrenz damals sogar deutlich übertroffen haben. Sie waren aber eben auch deutlich teurer. Ende 2015 stellte Daimler die Zellproduktion wieder ein. Und TerraE, ein 2017 gegründetes Konsortium, das den Plan für eine deutsche Gigafactory hatte, steht wegen Finanzierungsproblemen vor dem Aus. Offene Finanzierungsfragen sollen zum Streit und dann zum Scheitern geführt haben. Und jetzt?

Jetzt „droht Deutschland in der Zellfertigung den Anschluss zu verlieren“, sagt Martin Winter, wissenschaftlicher Leiter des Batterieforschungszentrums MEET der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Viele Experten sehen daher sehr besorgt in die Zukunft der deutschen Automobilindustrie. Denn die Frage ist längst nicht mehr, wann wie viele Elektroautos auf deutschen Straßen fahren werden, sondern wer in Zukunft daran verdient. Ob es 2030 noch die deutschen Hersteller sind, hängt nämlich zum großen Teil vom Zugang zu den Lithium-Ionen-Batteriezellen ab. Und da ist inzwischen nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa empfindlich abhängig von asiatischen Lieferanten. Keine Elektroauto-Offensive funktioniert künftig ohne Unternehmen wie Panasonic aus Japan, Samsung SDI und LG Chem aus Korea oder CATL und BYD aus China. Allein Tesla mischt mit seiner Gigafactory in Nevada in dem Konzert der großen Hersteller noch mit, produziert aber nur für den Eigenbedarf.

Schon heute sollen deutsche Hersteller Lieferengpässe bei den Zellen haben. Zumindest bei Volkswagen führt die Situation sogar zu einem fast absurden strategischen Dilemma: Finanziell könnte das Unternehmen durchaus den Aufbau einer Zellfertigung stemmen, meint der Batterieexperte Dirk Uwe Sauer von der RWTH Aachen. Aber es würde damit in Konkurrenz zu seinen aktuellen Zelllieferanten gehen – wogegen diese sich wohl wehren würden. Die Lieferengpässe könnten sich damit noch weiter verschärfen. Keine guten Aussichten für ein Unternehmen, das im Jahr 2025 voraussichtlich eine Batteriekapazität von 150 Gigawattstunden pro Jahr benötigt, die Jahreskapazität von vier Gigafactorys. Wie viel von den von Volkswagen bis 2022 angekündigten 55 neuen Elektroautos und Plug-in-Hybriden dann wirklich pünktlich kommen, wäre vollkommen offen.

Als Antwort flüchten sich die Hersteller in strategische Partnerschaften und hoffen auf bevorzugte Behandlung. Das aber reiche nicht, sagt Sauer. „Unternehmen, die Batteriezellen produzieren, werden nicht nur bei den Zellen bleiben.“ Denn mit den Zellen allein Geld zu verdienen ist schwierig: Zwei Drittel der Kosten für die Produktion gehen bereits in den Zukauf der nötigen Materialien (siehe auch Kasten Seite 34). Die Gewinnmargen in dem Geschäft sind sehr überschaubar. Jeder Zellproduzent werde daher versuchen, höherwertige Produkte zu erzeugen und zu verkaufen, sagt Sauer. Stück für Stück würden sie sich so in die Wertschöpfungskette deutscher Hersteller fressen. Der erste Schritt dürfte sein, die einzelnen Zellen zu Batterien zusammenzufügen, was viele der großen deutschen Fahrzeughersteller derzeit noch selbst machen. „Dann kommt die Leistungselektronik – und zum Schluss noch ein Elektromotor. Fertig ist der Antriebsstrang“, sagt der Batterieexperte. „Die asiatischen Zellproduzenten sind große Elektronikkonzerne. Die sollte man nicht unterschätzen.“

Wie konkret das Szenario ist, zeigt das Beispiel Chevy Bolt des US-Autobauers General Motors. Das Fahrzeug wird hierzulande mit leichten Änderungen als Opel Ampera-e verkauft. Zellriese LG Chem liefert dem amerikanischen Unternehmen den gesamten Antriebsstrang. Mehr als die Hälfte der Wertschöpfung an der GM-Elektroauto-Plattform, genau 56 Prozent, entfällt laut Analysen der Schweizer Bank UBS bereits auf den koreanischen Konzern.

Ob am Ende gar das ganze Auto steht? Darüber streiten Experten. Rund um die Zelle Wertschöpfung zu erzeugen sei logisch, „aber der Weg bis zum gesamten Elektroauto umfasst mehrere Wertschöpfungsstufen und umfassende System- und Technologiekenntnisse“, sagt der Automobilexperte Jörn Neuhausen von der Strategieberatung PwC. Doch auf beruhigende Aussagen zu vertrauen ist riskant in einem Markt, der so stark in Bewegung geraten ist. Kaum etwas zeigt dies so deutlich wie die Hochs und Tiefs des Autobauers Tesla.

(ksc)