Meinung: Überwachung aus der Parkbucht

Die Datenschutzdebatte über vernetzte Autos läuft falsch: Ein wirkliches Problem haben nicht die Fahrer – sondern alle anderen.

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Gregor Honsel, TR-Redakteur, zuckt regelmäßig zusammen, wenn er den Satz hört: "Wir halten alle Datenschutzbestimmungen ein."

In den USA sollen künftig nur noch vernetzte Autos zugelassen werden. Das US-Verkehrsministerium will die Hersteller ab Modelljahr 2020 dazu verpflichten, ihren Fahrzeugen Funkmodule einzubauen, mit denen sie sich identifizieren und mit anderen Fahrzeugen kommunizieren können. In Europa sind solche Pläne nicht bekannt, aber auch gar nicht nötig: Alle großen Autobauer treiben das Thema Vernetzung ohnehin aus eigenem Antrieb voran. Die Unternehmensberatung Frost & Sullivan rechnet damit, dass 2030 mehr als 40 Prozent aller Autos in Europa unter-einander vernetzt sein werden.

Als führende Hersteller sieht die Studie Daimler und Volvo. Durch das ab 2018 vorgeschriebene Notrufsystem E-Call müssen die Autobauer nicht einmal mehr zusätzliche Hardware einbauen, weil ein Mobilfunkmodul ohnehin an Bord sein muss.

Technisch ist die Vernetzung nur konsequent. Sollen die Assistenzsysteme immer mehr Aufgaben übernehmen – bis hin zum völlig autonomen Fahren –, brauchen sie ein möglichst genaues Abbild ihrer Umwelt. Eine vernetzte Fahrzeugflotte würde dabei die Rolle von externen Sensoren übernehmen, mit denen ein Fahrzeug gewissermaßen um die Ecke oder über die nächste Kuppe schauen kann. So weiß es rechtzeitig, wo Staus, Unfälle oder Glatteis warten. Dass die Autokonzerne nebenbei so viel über ihre Kunden erfahren wie nie zuvor, wird sie sicherlich nicht grämen.

Die damit verbundenen Datenschutzprobleme sind gleichzeitig über- und unterschätzt. Die Hersteller beteuern zwar beharrlich, alle entsprechenden Daten seien anonymisiert. Doch Forscher der Universität Twente konnten im vergangenen Jahr zeigen, dass man vernetzte Fahrzeuge schon mit einfacher Hardware am Straßenrand relativ zuverlässig nachverfolgen kann. Diese Ortungsinformationen können hochgradig sensibel sein – etwa wenn sie enthüllen, dass jemand regelmäßig bei zweifelhaften Etablissements vorbeischaut.

Trotzdem sind solche fahrerbezogenen Informationen nicht das eigentliche Problem. Wenn jemand zum Beispiel von genaueren Verkehrsinformationen durch die Echtzeit-daten anderer Fahrzeuge profitieren möchte, ist es nur recht billig, wenn er selbst auch Daten liefert. Alles andere wäre digitale Trittbrettfahrerei. Wenn einem Autofahrer ein günstigerer Versicherungstarif mehr wert ist als seine Privatsphäre, ist das seine Sache. Und schließlich: Was genau kann ein Auto über einen Menschen verraten, was sein Smartphone nicht schon längst verbreitet hat? Wer etwa regelmäßig sämtliche Ortungsdienste seines Mobiltelefons nutzt, bei dem kommt es auf die Daten aus dem Auto auch nicht mehr an.

Doch während alle über den Datenschutz des Fahrers nachdenken, geraten andere Bevölkerungsgruppen völlig aus dem Blick: die Passanten und Anwohner, die das datengetriebene Auto stetig mitüberwacht. Stellen Sie sich eine Wohnstraße in fünf Jahren vor, auf beiden Seiten vollgeparkt mit vernetzten und teilautonomen Autos. Jedes dieser Autos wird Stereokameras haben, Nachtsichtmodule, verschiedene Radar-, Lidar- und Ultraschallsensoren für den Nah- und Fernbereich. Zudem werden all diese Autos über ausreichend Rechenleistung verfügen, um sich aus all diesen Informationen ein zusammenhängendes Weltbild zu zimmern. Und sie haben dank Hybridbatterien genug Energie an Bord, um ständig online zu bleiben, damit sie etwa Befehle ihrer Nutzer empfangen oder Updates herunterladen können.

Daimler-Forscher Alexander Mankowsky hat schon einmal ein paar Ideen entwickelt, wie sich das brachliegende Potenzial parkender Hightech-Pkws nutzen ließe: Sie könnten beispielsweise Passanten den Weg leuchten und so Laternen überflüssig machen; oder den Verkehr warnen, wenn ein Kind über die Straße läuft. Klingt alles gut – setzt aber natürlich voraus, dass Autos permanent wachsam sind. So entsteht eine Überwachungsflotte, wie sie nicht einmal der paranoideste Staat mit fest installierten Systemen hinbekommen würde.

Natürlich ist es von der reinen technischen Möglichkeit bis zu ihrem Missbrauch ein großer Schritt. Ich würde jedoch keinen Liter Sprit darauf verwetten, dass die Sensordaten künftiger Autogenerationen nicht doch irgendwann abgezapft und zweckentfremdet werden. Schließlich hat sich die Autoindustrie bisher in Fragen der IT-Sicherheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Wenn wir die Metapher vom Auto als rollenden Computer ernst nehmen, dann heißt das auch: Wenn die Computerindustrie es trotz jahrzehntelanger Erfahrung bis heute nicht geschafft hat, ihre Produkte vor Viren und Würmern, vor Hackern und Geheimdiensten zu schützen, warum sollte das dann ausgerechnet der Autobranche gelingen? (grh)