Ukraine: Ein Jahr Atomkraft im Krieg

Seite 3: Weitere Nuklear-Anlagen in Gefahr

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Die IAEA sorgt sich auch um eigene Mitarbeiter, die seit Anfang September 2022 dauerhaft im AKW Saporischschja stationiert sind. Bisher sei das Team fünfmal ausgewechselt worden, eine für Anfang Januar 2023 geplante Rotation habe sich um mehr als zwei Wochen verzögert, teilte die IAEA vor Kurzem mit. Auch an die anderen AKW-Standorten in Chmelnyzkyj, Riwne und Südukraine sowie nach Tschernobyl hat die Behörde Mitarbeiter delegiert.

Auch andere kerntechnische Einrichtungen der Ukraine wurden direkt oder indirekt Ziel militärischer Aktivitäten. Eine besondere Gefahr für die ukrainischen AKW sind die flächendeckenden russischen Raketenangriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine seit dem Frühherbst 2022. Durch Zerstörung von Umspannwerken und Übertragungsleitungen musste das ukrainische Landesnetz teilweise oder vollständig abgeschaltet werden, daraufhin wurden Reaktoren mehrfach schnellabgeschaltet. An den AKW Südukraine und Chmelnyzkyj kam es mehrfach zum Notstromfall, Notstromdiesel stellten die Nachzerfallswärmeabfuhr aus den Reaktoren sicher. Auf dem Gelände des AKW Südukraine schlug etwa 300 Meter von den Reaktoren entfernt eine Rakete ein.

Die IAEA berichtete, am vorigen Sonntag habe es nahe dem AKW Saporischschja Artilleriefeuer gegeben, am Samstag seien nahe dem AKW Südukraine Raketen geflogen. Alle Atomkraftwerke in der Ukraine, die momentan Strom liefern, seien durch Raketenangriffe beeinträchtigt worden. Bis Sonntag konnten diese wieder in den Normalzustand überführt werden.

Durch Angriffe beeinträchtigt, beschädigt oder zerstört wurden auch einige der fünf RADON-Lager, in denen schwach- und mittelradioaktive Abfälle gelagert werden. Betroffen waren insbesondere ein Lager im Südwesten Kiews, ein Forschungsreaktor in Kiew sowie die unterkritische Versuchsanlage in Charkiw. Besonders dort wurden zu Beginn des Krieges durch mehrfachen Beschuss Gebäude erheblich beschädigt. "Radiologische Auswirkungen gab es keine, da die Anordnung stillgelegt ist und die Brennelemente gebunkert aufbewahrt werden", schreibt die GRS. Auch wurden am Forschungsreaktor in Kiew, der indirekt durch Beschuss betroffen war, sowie an den RADON-Lagern keine Sicherheitsbarrieren beeinträchtigt.

Das BfS sieht momentan nach eigenen Angaben keine akute Gefahr einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen in der Ukraine. Es sorgt sich aber insbesondere um einen dauerhaft sicheren Betrieb der ukrainischen Atomkraftwerke. Nach Einschätzung des BfS stellen die Kampfhandlungen, die Stromversorgung sowie die Arbeitsbedingungen der Angestellten die größten Risikofaktoren für den sicheren Betrieb der Kraftwerke dar.

"Für Deutschland wären die radiologischen Auswirkungen einer Freisetzung in der Ukraine begrenzt", schreibt das BfS. Im schlimmsten Fall, wenn Radioaktivität in erheblichem Maße austreten würde, und bei einer Wetterlage, die Luftmassen von der Ukraine nach Deutschland verfrachtet, könnten hierzulande für die Landwirtschaft festgelegte Radioaktivitäts-Höchstwerte überschritten werden. Dann müssten Futter- und Nahrungsmittel kontrolliert werden, diese dürften gegebenenfalls nicht mehr verkauft werden.

(anw)