Umdenken bei Alzheimer

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2009 war er mit dem Neusortieren der Fakten fertig und präsentierte sein Erklärungsmodell. Es kam erstaunlich rund daher und machte den Eindruck, als hätten die anderen Forscher den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Die Gehirnzellen sterben demnach keineswegs durch die Protein-Plaques, die laut Bartzokis' Erklärungsmodell nur ein an sich harmloses Begleitprodukt des natürlichen Myelin-Reparaturprozesses sind. Die Neuronen sterben, weil während des Reparaturprozesses der Nähr- und Signalstofftransport in den Zellen pausiert. Dauert die Reparatur zu lange, werden die Verbindungen zwischen den Zellen mangels Signalen gekappt, und schließlich sterben die Neuronen mangels Nahrung ab.

Der Forscher wartet noch auf Reaktionen seiner Kollegen und der Pharmaindustrie. "Das braucht eben seine Zeit", weiß auch Bartzokis. Die Forschung an Amyloiden mag ein Irrweg sein, aber finanziell gesehen ist sie ein Supertanker, und den wendet man eben nicht so schnell. "Wer will schon zugeben, dass er Millionen Dollar in den Sand gesetzt hat." Erste Anzeichen für das Wenden hat er allerdings schon ausgemacht. Immerhin hat die Gruppe der gescheiterten englischen Impfforscher bereits bei ihm angefragt.

In aller Stille prüfen inzwischen die ersten Unternehmen ihre Alzheimer-Medikamente, ob sie nicht auch eine schützende Wirkung für die Myelinschicht und für den Erhalt der Nervenzell-Netzwerke haben. Die Schweizer Pharmafirma Novartis testete 2009 ihren Wirkstoff Rivastigmin: Dieser verbessert nach den Ergebnissen einer ersten Studie offenbar nicht nur die Signalübertragung zwischen Neuronen, sondern schützt auch die Myelinscheiden vor Verfall. Produkte der Konkurrenz konnten den Abbau der weißen Substanz indes nicht aufhalten.

Auch der Pharmazie- und Konsumgüterhersteller Johnson & Johnson hat, offenbar bereits 2006 durch Bartzokis' Theorie aufmerksam geworden, sein ursprünglich gegen Schizophrenie entwickeltes Medikament Risperidon geprüft. Tatsächlich verstärken vor allem Gene, die für den Cholesterineinbau in die Isolierschichten wichtig sind, unter Risperidon-Wirkung ihre Aktivität.

Sollte der Psychiater aus Los Angeles tatsächlich recht be- halten, dann gibt es zumindest für die Alzheimer-Patienten der Zukunft jetzt schon eine handfeste Hoffnung – die den Pharmafirmen das Geschäft wieder etwas verhageln könnte: Die cholesterinhaltigen Myelinschichten können laut Bartzokis auch durch einfache Hausmittel effektiv vor dem altersbedingten Verfall bewahrt werden. "Sport treiben und Fischöl essen", versichert er, "das tut den Myelinscheiden gut." (bsc)