Vergesst die Luft! Holt das CO₂ aus dem Meer – meinen Forscher

Kohlenstoffdioxid aus den Ozeanen zu entfernen, könnte effektiver und billiger sein, als aus der Luft.

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(Bild: Delbars / Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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Weltweit suchen Forscher mit Hochdruck nach Möglichkeiten, Kohlenstoffdioxid (CO₂) aktiv aus der Atmosphäre herauszuholen. Denn selbst, wenn die Menschheit es schaffen sollte, ihren CO₂-Ausstoß bis 2050 massiv zu reduzieren, bleiben immer noch schwer vermeidbare Emissionen aus Landwirtschaft, Schwerindustrie, Luft- und Schiffsverkehr übrig, die man über viele Jahrzehnte hinweg aus der Atmosphäre zurückholen muss. Darauf weist der Weltklimarat IPCC in seinen Synthese- und Spezialreports bereits seit Jahren hin. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht zeigt außerdem auf, wie sehr Technologien und Strategien der Notwendigkeit hinterhinken, aktiv CO₂ aus der Atmosphäre zu entfernen.

Während sich die meisten Entwickler bisher darauf konzentrierten, das Klimagas direkt aus der Luft zu entfernen, rücken in letzter Zeit Versuche in den Vordergrund, es stattdessen aus Meerwasser herauszufiltern. Das erscheint sogar lohnender, ist doch die Kohlenstoffdioxidkonzentration im Meer hundertmal höher als in der Luft.

Die Eigenschaft der Ozeane, riesige Mengen an CO₂ aufnehmen zu können, hat die Erde bisher vor dem Klimakollaps bewahrt. Zwischen 30 und 40 Prozent des vom Menschen aus fossilen Quellen freigesetzten CO₂ lösen sich in den Weltmeeren. Theoretisch könnten sie wohl 80 Prozent davon aufnehmen – aber das dauert mindestens tausend Jahre. Denn: Je höher die CO₂-Konzentration im Meer ist, desto schwerfälliger funktioniert dieser Vorgang im Laufe der Zeit. Hinzu kommt, dass auch die bereits messbare Verlangsamung der Ozeanzirkulation die Aufnahme des Klimagases behindert.

Verheerend für die marine Pflanzen- und Tierwelt ist vor allem der chemische Prozess, bei dem sich das CO₂ im Meerwasser zu Kohlensäure (H2CO3) wandelt, die als Bikarbonat-Ion (HCO3-) gelöst ist und die Ozeane versauert. Vor allem die Organismen, deren Schalen und Gehäuse aus Kalk bestehen, sind gefährdet, weil die Säure den Kalk auflöst. Eine Senkung der CO₂-Konzentration und damit des Säuregehalts hilft also gleichzeitig den Meeresorganismen.

Die Ozeane selbst sind es, die große Mengen an CO₂ aus der Luft einfangen. Diesen Schritt können luftsaugende Technologien nur mit hohem Energieaufwand bewerkstelligen. Würde man den CO₂-Gehalt im Meerwasser senken, würde das Meer anschließend das Konzentrationsgleichgewicht zwischen Luft und Wasser wieder herstellen und erneut CO₂ aufnehmen.

Genau hier setzen Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) jetzt an. Sie fanden offenbar eine besonders effiziente und vor allem kostengünstige Methode, von der sie jüngst in der Fachzeitschrift Energy and Environmental Science berichteten.

Die Kosten für eine Tonne eingesammeltes CO₂ würden bei ihrem Verfahren bei nur 56 Euro liegen, berechneten die Autoren. Bei allen Methoden, die CO₂ aus der Umgebungsluft filtern, belaufen sich die Kosten auf mehrere hundert Euro pro Tonne.

Um das zu erreichen, kehrten die Forscher in ihrem Prozess die chemische Reaktion um, bei der der Kohlenstoff des vom Meer aufgenommenen CO₂ im Wasser teilweise in Bikarbonat-Ionen (HCO3-) quasi gefangen ist.

Dazu leiten sie das Meerwasser in eine elektrochemische Zelle, in der es durch die Protonen einer Elektrode erst einmal noch stärker angesäuert wird. Dadurch löst sich das Bikarbonat und gibt den Kohlenstoff als CO₂ wieder frei, das dann per Vakuum abgesaugt und gesammelt wird.

Bevor das so vom CO₂ befreite, jetzt viel zu saure Wasser wieder ins Meer zurückgepumpt werden kann, muss es neutralisiert werden, damit es dem marinen Leben nicht schadet. Dazu durchläuft es eine zweite Kammer mit umgekehrter elektrischer Spannung, wodurch sich die Protonen aus dem ersten Durchgang wieder zurückgewinnen lassen. Das jetzt wieder leicht basische Wasser hat dann Kapazitäten frei, neues CO₂ aufzunehmen.

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Die beiden Zellen tauschen in regelmäßigen Abständen ihre Rollen, sodass sich die Elektrode, die beim ersten Durchgang Protonen verloren hat, beim Einsatz im zweiten Durchgang, dem Einsammeln der Protonen, wieder regenerieren kann.

"Zumindest lokal könnte so auch die Versauerung rückgängig gemacht werden", betont Kripa Varanasi vom MIT-Fachbereich Maschinenbau. Dennoch müsse die Wiedereinleitung des basischen Wassers aus dem zweiten Schritt des Prozesses verteilt oder weit vor der Küste erfolgen, um einen lokalen Anstieg des Säurebindungsvermögens zu vermeiden. In einigen Fällen ließe sich behandelte Wasser beispielsweise in Fischzuchtbetrieben reinjizieren, die generell zu einer Versauerung des Wassers neigen.

Genau wie bei Verfahren, die CO₂ aus der Umgebungsluft extrahieren, muss das eingesammelte CO₂ aber dann irgendwo so gelagert werden, dass es für sehr lange Zeit der Atmosphäre entzogen ist. "Man kann sicherlich in Betracht ziehen, das abgeschiedene CO₂ als Rohstoff für die Herstellung von Chemikalien oder Materialien zu verwenden, aber man wird nicht alles davon als Rohstoff nutzen können", gibt Alan Hatton vom MIT-Fachbereich Chemieingenieurwesen zu bedenken. "Für viele Produkte, die sich daraus herstellen ließen, gibt es keine Absatzmärkte, sodass in jedem Fall ein erheblicher Teil des abgeschiedenen CO₂ unterirdisch vergraben werden muss."

Das System lässt sich gut mit Meerwasserentsalzungsanlagen koppeln, an denen die Ansaug- und Auslassinstallationen bereits vorhanden sind. Denn die MIT-Technik kommt ohne Chemikalien aus, die das Brauchwasser beeinträchtigen könnten. Auch wäre es möglich, dass Schiffe damit ihre Emissionen zumindest kompensieren, indem sie das Wasser während der Fahrt aufbereiten.

Bevor die Forscher jedoch an eine erste Demonstrationsanlage denken können, werden wohl weitere zwei Jahre vergehen. Denn sie müssen noch an einigen Verbesserungen arbeiten, etwa an der Absaugung des CO₂ oder um die Ausfällung der im Meerwasser ebenfalls vorhandenen Mineralien zu verhindern, die die elektrochemischen Kammern und die Elektroden verschmutzen.

(jle)