Videotechnik: Wie Avatar 2 die Aufnahmetechnik fürs Kino revolutioniert

Seite 2: Hyperrealistische Bildästhetik

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Nach Ansicht von HFR-Fans gibt es einen sichtbaren Unterschied zwischen nativen High-Frame-Rate-Produktionen, die gleich mit mehr als 24 Bildern pro Sekunde aufgenommen werden und Filmen, die mit 24 fps gedreht und vom Fernseher per Interpolation mit künstlich errechneten Bildern auf eine höhere Bildfrequenz gebracht werden.

Dies ist nicht ganz von der Hand zu weisen, da der Videoprozessor im TV bei der Interpolation zwischen sich bewegenden und starren Objekten beziehungsweise Bereichen im Bild unterscheidet. Im Ergebnis heben sich bewegte Objekte im Vordergrund oft merklich vom Hintergrund ab. Das erzeugt eine Wirkung, als sehe man eine billige Videoproduktion mit Pappkulissen im Hintergrund.

Dennoch ist auch der Bildeindruck nativer HFR-Produktionen diesem "Seifenoper-Look" nicht unähnlich. Auch hier wirkt das Bild unnatürlich plastisch. Fährt bei "Billy Lynn" die Kamera langsam an den Gesichtern der Protagonisten vorbei, wird auch dem letzten Zuschauer klar, was man beim konventionellen Film unter Bewegungsunschärfe versteht. Grundsätzlich erscheinen mit HFR schnellere Schwenks ungewöhnlich glatt und es fehlt ihnen an Tiefenunschärfe, bei Totalen ist daher jedes Detail in weiter Ferne zu sehen. Bei Szenen in großen Innenräumen hat man den Eindruck, Statisten im Hintergrund würden krampfhaft versuchen, nicht in Richtung Kamera zu schauen.

Nun lässt sich argumentieren, dass Zuschauer den HFR-Look ablehnen, weil sie ihr Leben lang "gelernt" haben, wie ein Kinofilm auszusehen hat. Insofern müssten sie sich nur umgewöhnen. Dem widersprechen der Filmemacher James Kerwin und der Medizinprofessor Stuart Hameroff von der Universität Arizona: Analysen der Erkenntnisse von Neurowissenschaftlern und Bewusstseinsforschern hätten gezeigt, dass die meisten Menschen zwar 66 Bilder pro Sekunde sehen, aber nur 40 Momente pro Sekunde bewusst wahrnehmen könnten. Die Überschreitung dieser Grenze durch die sehr klaren HFR-Filme mit ihren vielen Bildinformationen sorge dafür, dass Betrachter unterbewusst davon ausgehen, die Realität wahrzunehmen – ihnen gleichzeitig aber klar ist, einen Film zu sehen. Dieser Konflikt löse Ablehnung aus. Laut Kerwin kann man sich daran auch nicht gewöhnen.

Nach Medienberichten überlegte James Cameron ursprünglich, mit der Avatar-Fortsetzung Autostereoskopie im Kino einzuführen. Nun setzt er auf hohe Bildwiederholraten und beeindruckende Unterwasserlandschaften.

(Bild: 20th Century Studios / Disney)

Um zu verstehen, wie der typische Kinolook bei der Aufnahme zustande kommt, muss man einen Blick auf die Kameratechnik werfen. So mussten in analogen Zeiten die einzelnen Frames des Films weitertransportiert werden. Damit währenddessen keine Belichtung stattfand, setzt man einen mechanischen Kameraverschluss (englisch "Shutter") ein, der sich analog zum Filmtransport öffnete und schloss. Mit den Digitalkameras fiel der mechanische Verschluss zwar weg, man behielt den Begriff aber bei.

Beim Kinofilm etablierte sich eine Verschlusszeit ("Shutter Speed"), die halb so lang ist wie die Bildfrequenz – oder die zumindest möglichst nah an diese herankommt. Bei 24 Bildern pro Sekunde beträgt die optimale Verschlusszeit folglich 1/48 Sekunden. In der Filmbranche berechnet man nach der Formel Verschlusszeit × Bildrate pro Sekunde × 360 den sogenannten Verschlusswinkel (Shutter Angle) in Grad. Bei 24 fps ergibt dies folglich 180 Grad (1/48 × 24 × 360).

Einige Regisseure verändern den Verschlusswinkel für künstlerische Effekte. Die Schlachtsequenzen in "Der Soldat James Ryan" wurden beispielsweise in 24 fps mit Verschlusswinkeln von 45 und 90 Grad gedreht. In der Folge verkürzt sich die Belichtungszeit und man bekam abgehackte, aber schärfere Einzelbilder. So erreichte man laut Kameramann Janusz Kamiński ein gewolltes Stakkato in den Bewegungen der Schauspieler und mehr Schärfe in den Explosionen, was sie etwas realistischer macht.

Wenn mit höherer Bildrate die Verschlussgeschwindigkeit steigt und die Belichtungszeit sinkt, wirkt sich dies stark auf die Anmutung des Films aus. Nehmen wir als Beispiel die Bewegungsunschärfe: Bei gleicher Geschwindigkeit legt ein Objekt etwa innerhalb 1/96 s die halbe Strecke zurück wie in 1/48 s. Ebenso werden andere Kameraeinstellungen, die Wahl des Objektivs und die Beleuchtungsanforderungen beeinflusst. Insofern versuchen die Filmemacher bei HFR-Produktionen immer, einen gewissen Kompromiss zu finden. Beim mit 48 fps gedrehten "Der Hobbit" nutzte man letztlich einen Verschlusswinkel von 270 Grad, entsprechend einer Belichtungszeit von 1/64 s.