Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Das Projekt "Chauffeur" geht an den Start.
Seit 14 Jahren versucht Google aus Selbstfahrtechnologie und autonomen Autos ein Geschäftsmodell zu machen: Teil 2 der Serie zum autonomen Fahren.
Ende 2007 ging die DARPA Urban Challenge zu Ende, ein Wettbewerb, den die US-amerikanische Verteidigungsagentur, die schon die Entwicklung des Internets angeregt hatte, ausgelobt hatte. Fahrerlose Fahrzeuge mussten einen Parcours bewältigen, der typischen städtischen Verkehrssituationen nachempfunden war, inklusive Kreuzungen, Parkplätzen und von Stuntmännern gesteuerten beweglichen Hindernissen.
Das Preisgeld von einer Million US-Dollar gewann damals das renommierte Robotics-Institute der Carnegie Mellon Universität knapp vor dem Team des KI-Instituts der Stanford Universität).
Eine verhängnisvolle Entscheidung
Die Euphorie aller Beteiligten über das Erreichte wich schnell Ernüchterung, berichtet Lawrence Burns, damals Entwicklungschef von General Motors (GM) und Hauptsponsor des Siegerteams. Die Autoindustrie zeigte keinerlei Interesse an einer Weiterentwicklung und Kommerzialisierung der Technik: Zu teuer erschien den Automanagern die Hardware, zu lang die zu erwartenden Entwicklungszeiten, zu disruptiv für das eigene Geschäft mögliche Einsatzszenarien.
Zudem geriet die Autoindustrie zu jener Zeit am Vorabend der Finanzkrise ins Straucheln. Die "gesamte Branche hatte über ihre Verhältnisse gelebt, und bewegte sich nahe am Abgrund", schrieb der ehemalige Automanager Bill Vlasic über diese Zeit. Ford überlebte mit knapper Not aus eigener Kraft, GM und Chrysler konnten nur dank staatlicher Unterstützung überleben. Burns selbst hält diese Ablehnung der Selbstfahrtechnologie mittlerweile für die größte Fehleinschätzung der Autoindustrie in ihrer jüngeren Geschichte.
Autonomes Fahren, die Auswirkungen auf den Personentransport mit Robotaxis, people movern, autonomen Bussen und die notwendigen Techniken und Regularien beschäftigen uns in einer zehnteiligen Serie, deren einzelne Artikel bis zum 14. Mai werktags erscheinen.
- Teil 1: Fahrerloser Passagiertransport – es geht los!
Im Verkehrsausschuss des Bundestages geht es am Montag, den 3. Mai, um autonome Flotten, woanders gehören Robo-Taxis fast schon zum Alltag. Der Start der Serie zum Thema.
- Teil 2: 2008: Das Projekt "Chauffeur" geht an den Start
Seit nunmehr 14 versucht Google aus der Selbstfahrtechnologie ein funktionierendes Geschäftsmodell zu machen, wir zeichnen die Entwicklung nach.
- Teil 3: Pandemie-Effekt: Robotaxis nehmen an Fahrt auf
Technisch scheint ihr Betrieb annähernd gelöst zu sein, aber wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit einer fahrerlosen Flotte aus? Ein Überblick.
- Teil 4: USA – Eldorado für Testbetriebe mit Robotaxis
In einigen Bundesstaaten laufen Testbetriebe, Kalifornien hat gar den kommerziellen Betrieb reguliert. Von Joe Biden erhofft sich die Branche den Durchbruch.
- Teil 5: Robo-Taxis – wer macht das Rennen in den USA?
Zwei Dutzend Unternehmen testen autonome Flotten, in Kalifornien wird das Rennen vermutlich entschieden. Wir geben einen Ăśberblick ĂĽber das Bewerberfeld.
- Teil 6: Wie Kalifornien, nur größer: Robotaxis in China
Der potenziell größte Markt für autonome Flotten kann sich in punkto Technologie, Testbetriebe und Kapitalausstattung der beteiligten Firmen sehen lassen.
- Teil 7: China: Autonomes Fahren durch Planwirtschaft
Experimentierfreudige Startups, staatliche Infrastrukturförderung und eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung machen autonome Flotten in China zum Erfolgsrezept.
- Teil 8: Automatische Shuttles – der europäische Weg?
Robotaxi-Testläufe finden sich in Europa keine, dafür immer mehr autonome Shuttles, die als Teil des öffentlichen Verkehrs zaghafte Fahrversuche unternehmen…
- Teil 9: GrĂĽne Welle fĂĽr Robotaxis auch in Deutschland?
Dieser Tage debattiert der Bundestag einen Gesetzesvorschlag aus dem Verkehrsministerium, der Robotaxis auch bei uns den Weg ebnen könnte.
- Teil 10: Fahrerloser Transport als Teil der Verkehrswende
Robo-Taxis, people mover und autonome Shuttles – können autonome Flotten einen Beitrag zur Verkehrswende leisten?
2008: Google macht es!
Ein Jahr später fand sich dann doch ein Unternehmen, das bereit war, in die Zukunftstechnologie zu investieren: Google. Die beiden Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page schätzten das Marktvolumen selbstfahrender Straßenfahrzeuge von Anfang an als gigantisch ein ("bigger than Google"). Ihnen war auch klar, dass es sich um ein Softwareproblem handelte, und nicht um ein Hardwareproblem. Denn das autonom fahrende Fahrzeug ist in erster Linie ein fahrender vernetzter Computer, nur noch in zweiter Instanz ein durch Ingenieurskunst definiertes Fahrzeug.
So verstand Google Autonomes Fahren von Anfang an als Kombination verschiedener digitaler Technologien: Die Verarbeitung großer Mengen an Sensordaten in Echtzeit, der Zugriff auf hochaufgelöstes Kartenmaterial und algorithmische Entscheidungen, die von lernenden Systemen getroffen werden – Kernkompetenzen von IT-Unternehmen, nicht jedoch von Autoherstellern. In den Worten von Apple-Chef Tim Cook: "Die Mutter aller Künstliche-Intelligenz-Projekte".
Immer wieder machen Gerüchte die Runde, Apple wolle selbst automatisierte E-Fahrzeuge auf den Markt bringen. Zuletzt war von einer möglichen Kooperation mit dem Autohersteller Hyundai aus Korea und dem iPhone-Zulieferer Foxconn aus China die Rede.
2008 war Google noch lange nicht der Weltkonzern von heute. Allerdings hatten sie mit Google Maps bereits erste Erfahrungen gemacht, die sich als Schlüssel für die Technologie erweisen sollten. Als das Google Car Projekt an den Start ging, waren die besten Leute aus beiden DARPA-Gewinnerteams mit von der Partie. Als Chef setzten sie Cris Urmson ein, Robotik-Spezialist von der Carnegie-Mellon Universität. Der interne Code-Name des Google Car Projekts: "Chauffeur".
2008 ist in mehrfacher Hinsicht ein Wendepunkt in der Geschichte des Automobils. Nicht nur der Start von Googles Car-Projekt fällt auf dieses Datum, zeitgleich brachte Tesla seinen ersten Elektro-Sportwagen auf den Markt. Derweil sammelte Uber in San Francisco seine erste Million an Risikokapital ein. Uber-Konkurrent Lyft, der damals noch Zimride hieß, unternahm ebenfalls seine ersten Schritte im App-basierten Ride-Sharing – beide getriggert durch den Marktauftritt des iPhones im Jahr zuvor. Zusammen mit dem Google Car Project waren das gleich drei technologische Schlüsselmomente, die die Autoindustrie verpasste.
2010: Das Projekt "Chauffeur"
Zwei Jahre später berichtete die New York Times, in Mountain View in Kalifornien werde immer wieder ein grauer Toyota Prius mit einem seltsamen rotierenden Zylinder auf dem Dach gesichtet. Jetzt erst erfuhr die breite Öffentlichkeit, was im Silicon Valley ein offenes Geheimnis war: Google versucht sich am autonomen Fahren. Das Team habe bereits 300.000 Meilen unfallfrei auf öffentlichen Straßen zurückgelegt, der Weg zur kommerziellen Anwendung schien damit geebnet. Doch es sollte dauern.
Im Herbst 2014 stellte Google dann den Prototypen eines vollständig autonomen Fahrzeugs der Öffentlichkeit vor. Die entwaffnende Einfachheit und das Design des Prototypen begeisterten die Fachwelt. Es wurde als Neuinterpretation des klassischen Autos als bescheidenes, kleines, langsames, elektrisches Fahrzeug gesehen, das zudem ein potenzieller neuer Partner in einer multimodalen Vernetzungskultur sein könne. Der kleine, eiförmige, elektrisch betriebene Zweisitzer ohne Lenkrad, Brems- oder Gaspedal war das erste in Kleinserie produzierte vollautomatische Fahrzeug, das für den Einsatz im normalen Straßenverkehr gedacht war.