Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Robotaxis – wer macht das Rennen in den USA?

Zwei Dutzend Unternehmen testen autonome Flotten, in Kalifornien wird das Rennen vermutlich entschieden. Wir geben einen Überblick über das Bewerberfeld.

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(Bild: voyata/Shutterstock.com)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Timo Daum
  • Andreas Knie
  • Weert Canzler
Inhaltsverzeichnis

Nicht nur die Google-Schwester Waymo strebt angesichts des regulatorischen Eldorados bei autonomen Autos beziehungsweise Robotertaxis nach Kalifornien. Zwei Dutzend weitere Unternehmen versuchen sich außer Waymo am lukrativen Geschäft mit Robotaxis. Neben den US-Unternehmen Aptiv, Argo AI, Aurora, Cruise, Mobileye, Nuro und Zoox sind auch mehr als zehn chinesische Unternehmen dabei, darunter Baidu USA, WeRide und DiDi Research America.

Auch Apple werden immer wieder Ambitionen unterstellt, ins Milliardengeschäft autonomes Fahren einzusteigen. 2019 übernahm der Konzern das Startup drive.ai. Einige Firmen können sogar mit einer Genehmigung zum Betrieb ohne Testfahrer an Bord aufwarten, darunter AutoX, Cruise, Nuro, Waymo und Zoox.

Hatte General Motors 2007 nach der DARPA Urban Challenge sich von der Technologie abgewendet und Google das Feld überlassen, steuerte der Autokonzern aus Detroit 2016 um und kaufte sich in das 2013 gegründete Startup Cruise ein. GM ist zusammen mit Honda Motor und Softbank Mehrheitseigner bei Cruise. Das in San Francisco ansässige Unternehmen wächst rasant. In den vergangenen vier Jahren stellte Criuse 1.500 Menschen neu ein, hauptsächlich Software- und Hardware-Ingenieure.

Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Autonome Fahrzeuge, Personentransport und die Zukunft des Verkehrs

(Bild: jamesteohart/Shutterstock.com)

Autonomes Fahren, die Auswirkungen auf den Personentransport mit Robotaxis, people movern, autonomen Bussen und die notwendigen Techniken und Regularien beschäftigen uns in einer zehnteiligen Serie, deren einzelne Artikel bis zum 14. Mai werktags erscheinen.

Cruise verfügt über eine Flotte von rund 300 Testfahrzeugen vom Typ Chevrolet Bolt EV, in denen Sicherheitsfahrer an Bord sind, die die Fahrzeuge jederzeit zu einer sicheren Halteposition befördern können. Das ist eine zentrale Anforderung für einen fahrerlosen Betrieb auf Stufe 4. Sie tun dies allerdings nicht durch das Eingreifen in die konventionelle Steuerung mit Lenkrad und Pedale, sondern über eine gesonderte Fernsteuerung. Damit bereiten sie die nächste Stufe der Entwicklung vor, den Eingriff im Notfall als Fernwartung aus einer Zentrale.

Cruise begann Ende 2020 in San Francisco mit dem Testen unbemannter Fahrzeuge, nachdem es zuvor als eines der ersten Unternehmen vom kalifornischen Kraftfahrzeugministerium die Erlaubnis bekommen hatte, auch ohne Sicherheitsfahrer unterwegs zu sein. Cruise-CEO Dan Ammann feierte den Schritt als wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Kommerzialisierung fahrerlosen Transports. Sein Unternehmen arbeite daran in San Francisco, das im Gegensatz zu Phoenix oder Austin deutlich schwieriger zu navigieren ist, einen "sehr methodischen und verantwortungsbewussten" Hochlaufen des Betriebs zu ermöglichen.

Ammann ist überzeugt, dass Cruise und auch die Konkurrenz "aus der F&E-Phase heraus und am Beginn der Reise zu einem echten kommerziellen Produkt" stünden. Cruise verfolgt noch einen weiteren Entwicklungspfad, den Fahrgastbetrieb mit einem speziellen Fahrzeug, einem autonomen Shuttle mit dem Produktnamen Origin.

Das erst 2017 gegründete Aurora gilt trotz seiner Jugend als eines der erfahrensten Startups in der Branche, nicht zuletzt dank des hochkarätigen Personals: Neben Chris Urmson, der das Google-Projekt "Chauffeur" gestartet und acht Jahre lang geleitet hatte, ist noch Mitbegründer Sterling Anderson an Bord, der das Autopilot-Team bei Tesla aufgebaut hatte. Dazu kommt Drew Bagnell, Chief Technology Officer, ein Robotik-Professor von der Carnegie Mellon University, der bei der Gründung des selbstfahrenden Zentrums von Uber in Pittsburgh mitgewirkt hatte.

Das Geschäftsmodell von Aurora ist das Design einer technischen Plattform (Software, Hardware und Datendienste), die für den Einbau in jedes Fahrzeug lizenziert werden kann. Anfang Dezember 2020 gab Aurora dann die Übernahme der Advanced Technologies Group von Uber bekannt.

Ubers Abteilung für autonomes Fahren, die Advanced Technologies Group (ATG), wurde 2015 gegründet, und schon ein Jahr später startete eine Flotte von mit Kameras und Sensoren ausgestatteten Fahrzeugen vom Typ Ford Fusion den Testbetrieb in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania. Noch 2019 sammelte ATG eine Milliarde US-Dollar an Venture-Kapital ein.

Aurora Pacifica Self-Driving Car

(Bild: Aurora)

ATG ist deutlich aggressiver vorgegangen als Waymo. Es kam zu mindestens zwei tödlichen Unfällen mit Uber-Fahrzeugen im Selbstfahrmodus. Insbesondere ein Unfall in Tempe, Arizona, bei dem eine Fußgängerin ums Leben kam, sorgte für einen behördlich angeordneten Stopp des Testbetriebs. Die New York Post schrieb in einer Einschätzung: "Der Geschäftszweig hatte zuletzt Schwierigkeiten, sinnvolle Fortschritte zu erzielen, und sieht sich einer intensiven Konkurrenz durch Waymo ausgesetzt."


Die Autoren

(Bild: Michelle Lischke)

Timo Daum ist Dozent und Sachbuchautor. 2019 erschien sein Buch "Das Auto im digitalen Kapitalismus. Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen". Timo Daum schreibt regelmäßig für de Rubrik Missing Link" auf heise online.

(Bild: David Ausserhofer)

Andreas Knie ist Politikwissenschaftler und leitet zusammen mit Weert Canzler die Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung". Er berät Kommunen und Organisationen zu den Themen Verkehr, Mobilität, Digitalisierung & Nachhaltigkeit.

(Bild: David Ausserhofer)

Weert Canzler leitet zusammen mit Andreas Knie die Forschungsgruppe Digitale Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen sozialwissenschaftliche Verkehrs- und Mobilitätsforschung, Energiepolitik, Innovationsforschung und Technologiepolitik.

Andreas Knie und Weert Canzler sind Preisträger des Bertha-und-Carl-Benz-Preises 2021.


Möglicherweise unter dem Eindruck der negativen Publicity für Uber, aber auch wegen der finanziellen Schwierigkeiten durch Umsatzeinbrüche in der Corona-Pandemie beendete Uber seine Eigenentwicklung, die viele Beobachter und auch Ubers Gründer Kahlanick als die Zukunftsperspektive schlechthin gehandelt hatten: Das Ersetzen der menschlichen Fahrerinnen und Fahrer – den größten Kostenfaktor in Ubers Geschäftsmodell – durch einen Algorithmus. Allerdings gleicht der Deal mit Aurora eher einem Joint Venture. Uber investierte im Rahmen des Deals 400 Millionen US-Dollar in das Silicon Valley-Unternehmen. Es ist durchaus denkbar, dass Aurora in nicht allzu ferner Zukunft seine fahrerlose Technologie an den weltweit operierenden Ride-Sharing-Betreiber Uber liefern wird.

Autonomer Uber

(Bild: Dllu, CC BY-SA 4.0)

Autonomer Uber in San Francisco

(Bild: Dllu, CC BY-SA 4.0)

Zoox wurde 2014 gegründet und hat seinen Hauptsitz in Foster City, Kalifornien. Das Startup wurde im Juni 2020 von Amazon für rund eine Milliarde Euro gekauft. Kurz darauf stellte Zoox sein erstes Fahrzeug vor: Einen fahrerlosen People Mover ohne Lenkrad und ohne Pedale, auch ein Rückwärtsgang fehlt, das Gefährt kann auf der Stelle drehen.

Das Fahrzeug kann in beide Richtungen gleichermaßen fahren und das 16 Stunden lang ohne aufzuladen. Er ist bis zu 120 km/h schnell und bietet vier Passagieren komfortabel Platz. Zoox ist für die Montage der Fahrzeuge zuständig, die Hauptkomponenten – Antriebseinheit, Gehäuse, Akkublock usw. – kommen von Zulieferern, angepeilt wird eine jährliche Produktion von 10.000 bis 15.000 Stück.

Das Fahrzeug hat dem Unternehmen zufolge alle relevanten Crashtests durch die Federal Motor Vehicle Safety Standards (FMVSS) bestanden. Zu den Sicherheitsmerkmalen des Fahrzeugs gehören Airbags, die im Falle eines Unfalls einen Kokon um jeden Passagier bilden.

Selbstfahrendes Fahrzeug von Zoox

(Bild: Zoox)

Um die Technik zu kommerzialisieren, plant Zoox die Einführung eines App-basierten Ride-Hailing-Dienstes in Städten wie San Francisco und Las Vegas, allerdings nicht vor 2022. Die Beförderungspreise sollen laut Zoox "erschwinglich" und "wettbewerbsfähig" sein und sich an den Preisen von Uber und Lyft orientieren, sagte CEO Aicha Evans gegenüber Bloomberg.

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Argo AI wurde 2016 von zwei Veteranen der Branche gegründet, Bryan Salesky und Peter Rander. Bryan Salesky war einst eine der führenden Persönlichkeiten in Googles Projekt "Chauffeur" und Rander zuvor technischer Leiter der Advanced Technology Group (ATG) von Uber. 2017 übernahm das Unternehmen den Lidar-Hersteller Princeton Lightwave. Hinter Argo AI stehen der größte und der sechstgrößte Autohersteller der Welt: Volkswagen und Ford haben Milliardenbeträge investiert, VW insgesamt 7 Milliarden US-Dollar. Zusätzlich brachte VW seine in München angesiedelte Autonomous Intelligent Driving Unit in Argo ein, damit ist Argo AI auch auf dem europäischen Markt präsent.

Am 1. April 2021 kündigte Mitbegründer Bryan Salesky vor der Belegschaft an, noch 2021 an die Börse gehen zu wollen. Die Aufnahme des Betriebs von Robotaxis und ein fahrerloser Lieferbetrieb sind für 2022 vorgesehen.

Argo AI Flotte

(Bild: Argo)

Mobileye ist ein israelisches Unternehmen, das auf Bildverarbeitung und fortgeschrittene Fahrerassistenzsysteme (ADAS) spezialisiert ist und insbesondere auf Echtzeit-Kartenmaterial als Informationsquelle setzt. Mobileye fing als Entwickler von Computer-Vision-Systemen an und dominierte diese Nische als Zulieferer seit einigen Jahren mit einem globalen Marktanteil von 80 % für Bildverarbeitung bei Fahrerassistenzsystemen. Mobileye lieferte bis 2016 Sensoren und Software für Teslas "Autopilot", seitdem setzt Tesla auf Inhouse-Entwicklungen. 2017 wurde Mobileye dann für 12,5 Milliarden Euro vom Chiphersteller Intel gekauft.

Mobileye-Fahrzeug in Detroit

(Bild: Mobileye)

Am 11. April 2021 ging Mobileye Drive ™ an den Start, ein Rundum-Sorglos-Paket, das von Autoherstellern und Flottenbetreibern lizenziert werden kann und aus drei Komponenten besteht: Ein Sensor-Paket mit zwei unabhängigen Systemen, die auf Kameras, Radar und Lidar beruhen, eigenes Kartenmaterial, das gespeist ist durch Crowdsourcing-Daten von Assistenzsystemen, und die eigentliche Fahrsoftware, die das Fahrzeug sicher und selbständig steuert.

Anfang 2021 kündigte Mobileyes CEO Amnon Shashua an, in den nächsten Monaten Testflotten in mindestens vier Städten zu starten, darunter Detroit, Paris, Shanghai und Tokio. Auch in New York plant das Unternehmen mit Tests auf öffentlichen Straßen zu beginnen.

Testpilot im autonomen Fahrzeug der Intel-Tochter Mobileye

(Bild: Mobileye)

Die Intel-Tochterfirma kann sich den Start ihres ersten Robotaxi-Dienstes in Deutschland 2022 vorstellen. "Wenn alle Voraussetzungen passen, würden wir gern ab nächstem Jahr mit unserem Dienst nach Deutschland kommen", sagte Mobileye-Manager Johann Jungwirth der "Welt am Sonntag". Mobileye beobachtet also gespannt, was dieser Tage im Bundestag debattiert wird.

In der Branche herrscht allgemeiner Konsens darüber, dass Waymo das Feld anführt und mindestens ein Jahr Vorsprung vor der Konkurrenz hat. Waymo hat mit Abstand die meisten Testkilometer absolviert, die größte Flotte im Einsatz und die bis dato zuverlässigste Software (gemessen am Disengagement). Es gab keine nennenswerten Unfälle. Mit diesen Zahlen steht Waymo unangefochten an der Spitze, es vereint 97  % der gefahrenen und simulierten Testkilometer auf sich.

Zudem verfügt Waymo mit Alphabet im Rücken über einen der mächtigsten Player und Lobbyisten in der Digitalwirtschaft, hat mit 3 Milliarden US-Dollar Risikokapital ein exzellentes finanzielles Polster und gilt als zuverlässiger Partner. Waymo hat die bislang zahlenmäßig bedeutendsten Vereinbarungen mit Autoherstellern über Fahrzeugkäufe, verfügt über eine fortgeschrittene Infrastruktur zum Umbau der Fahrzeuge und hat mit der Eigenproduktion der Sensorik einen wichtigen Teil der Wertschöpfungskette in der Hand. Die Firma bekräftigt mit diesen Expansionsplänen seine Führungsrolle im Bereich der automatisierten Taxidienste.

Die Beraterfirma LUX betont, nicht nur die Testkapazitäten, sondern immer stärker auch die Kapitaldecke werde entscheidend für das Bestehen am Markt. Seit 2009 haben die Unternehmen, die an Robotaxis arbeiten, Risikokapital in Höhe von mindestens 14 Milliarden US-Dollar erhalten.

Die Übernahme von ATG durch Aurora ist ein weiterer Schritt in einem Konzentrationsprozess, bei dem wohl nur einige wenige Firmen übrig bleiben dürften, die sich den für 2030 auf bis zu 2 Billionen geschätzten Robotaxi-Markt aufteilen werden.

Auch Mitbewerber Cruise werden gute Chancen eingeräumt. Anfang 2021 unterstrich Cruise seine Ambitionen, als sie den vorher bei der Fluggesellschaft Delta fürs operative Geschäft zuständigen Manager Gil West für die identische Position des COO bei Cruise einstellten. West soll jetzt bei Cruise für den reibungslosen und profitablen Geschäftsablauf sorgen. Dass ein Topmanager aus der coronabedingt ins Straucheln geratenen Flugbranche zu einem autonomen Startup wechselt, kann durchaus als Signal gewertet werden, dass die Branche an der Schwelle zum kommerziellen Betrieb steht.

Von Fahren zum Gefahrenwerden: Noch mehr selbstfahrende Autos... (6 Bilder)

Aptiv selbstfahrendes Fahrzeug
(Bild: Aptiv)

Die drei besten Unternehmen, die in Kalifornien testen – legt man die Meilen pro disengagement-Fall zugrunde – sind derzeit Waymo, Cruise und AutoX, sie liegen im Bereich von 20.000 bis 30.000 Meilen. Zwei von fünf Unternehmen aus China testen nicht nur in Kalifornien, sondern spielen auch noch vorne mit. Umgekehrt gibt es keine amerikanischen Unternehmen, die in China aktiv sind. Am Montag, den 10. Mai, werfen wir daher einen Blick nach China.

(jk)