Vor 40 Jahren: Erstflug des Space Shuttle – die Traummaschine geht in Dienst

Seite 2: Die Dream-Machine

Inhaltsverzeichnis

Viel hatte man sich vom Shuttle versprochen. Wernher von Brauns Mitarbeiter Jesco von Puttkamer verglich 1981 seine Bedeutung mit derjenigen der Eisenbahn, die den amerikanischen Westen erschlossen hatte oder derjenigen der DC-3, die den Durchbruch in der Kommerzialisierung des Lufttransports brachte. Das Space Shuttle sollte den Zugang zum Orbit um Größenordnungen günstiger machen, den Flug in den Weltraum zu einem routinemäßigen Pendelverkehr werden lassen – so wie Zubringer-Busse, die zwischen zwei Orten pendeln, zu English „Shuttles“ genannt. Bei allen Raumfahrzeugen zuvor wurde das Gerät nur für den einmaligen Einsatz gebaut, so als ob man für jeden Atlantikflug einen komplett neuen Jumbo-Jet bauen und am Ziel verschrotten würde.

Für diese scheinbar maßlose Verschwendung gab es jedoch rationale Gründe: Die Masse einer Rakete besteht größtenteils aus Treibstoff, nur 5 Prozent bis 10 Prozent entfallen auf die Nutzlast. Jedes Kilogramm, das zum Schutz vor dem Wiedereintritt in die Atmosphäre, zur Abbremsung des Falls und zur Landung aufgewendet wird, erfordert das Zehnfache seiner Masse an zusätzlichem Treibstoff, was wiederum zusätzliche Strukturmasse für dessen Aufnahme nötig macht. Um das Raumfahrzeug für eine gegebene Nutzlast klein und leicht zu halten, trennt man sich schon während des Aufstiegs durch den Abwurf von Stufen von einem Teil der Masse, der nicht weiter beschleunigt werden muss. Und eine Raketenstufe automatisch zu landen war in den 1970ern schlichtweg nicht vorstellbar.

Das Shuttle-Konzept war ein Kompromiss, um die verschiedenen Anforderungen nach möglichst hoher Wiederverwendbarkeit, möglichst hoher Nutzlast und geringen Kosten unter einen Hut zu bringen. Um möglichst hohe Wiederverwendbarkeit zu erreichen, waren Konzepte erwogen worden, bei denen ein flugzeugähnlicher Booster mit teils luftbetriebenen Triebwerken einen leichteren Orbiter auf dem Rücken in große Höhe hätte transportieren sollen, von wo aus dieser aus eigener Kraft die Umlaufbahn hätte erreichen sollen. Sowohl der Booster als auch der Orbiter sollten horizontal wie Flugzeuge landen. Das Konzept erschien jedoch zu aufwändig, der Orbiter wäre viel kleiner ausgefallen als das spätere Space Shuttle – das Konzept Sänger II hätte beispielsweise nur 5 Tonnen Nutzlast in den Orbit bringen können – und die Entwicklungskosten und -risiken erschienen zu hoch.

Es gab sogar einen Entwurf, das Shuttle seitlich an eine Saturn-Mondrakete zu montieren, die ziemlich genau die Nutzlastkapazität der Orbiter-Masse hatte – ein Konzept, das weniger verwegen erscheint, wenn man berücksichtigt, dass dies ziemlich exakt die Architektur des sowjetischen Buran auf der Energija-Rakete war. Der Wiederverwendbarkeitsgrad wäre nur minimal gewesen, nicht einmal die teureren Triebwerke hätte man retten können, aber die Saturn-Komponenten waren schon fertig entwickelt und konnten am Fließband gebaut werden.

Frühes Konzept eines Space Shuttle auf der Basis einer Saturn-Rakete (ca. 1971-72).

(Bild: National Aeronautics and Space Administration)

Am Ende entschied man sich für ein Mittelding mit einem Einweg-Tank (Stückpreis: 75 Millionen Dollar), günstigen Feststoffboostern aus je 4 Segmenten, die einzeln wiederverwendet und neu zusammengesetzt werden konnten, und einem voll wiederverwendbaren Orbiter. Der externe Tank war mit billigem Kork beklebt, um den befüllten Flüssigwasserstoff und -Sauerstoff möglichst lange kühl zu halten.

Die Feststoffbooster sollten nach dem Ausbrennen abgeworfen und von Fallschirmen gebremst ins Meer fallen, wo sie von Schiffen geborgen und zur Instandsetzung und Neubefüllung an Land gebracht werden würden. Der Orbiter sollte sich nach Brennschluss der Haupttriebwerke vom externen Tank trennen, welcher einen halben Erdumlauf nach dem Start zerbrechen und in einem Sperrgebiet in den Indischen Ozean regnen sollte. Der Orbiter sollte mit den kleineren OMS-Triebwerken (Orbital Maneuvering System) seine endgültige Umlaufbahn ansteuern und sich mit ihnen am Ende der Mission wieder zum Wiedereintritt in die Atmosphäre einbremsen, um schließlich wie ein Segelflugzeug zu landen.

Dank seiner 18 m x 4,6 m großen Ladebucht konnte er große und sperrige Lasten von bis zu 20 Tonnen in die niedrige Erdumlaufbahn – und wieder zurück auf die Erde bringen, wie etwa das europäische Weltraumlabor Spacelab. Eine Fähigkeit, die heute kein Raumfahrzeug mehr vorweisen kann. Das Shuttle konnte mit dem Wasserstoff- und Sauerstoffvorrat seiner Brennstoffzellen zwei Wochen lang im Orbit bleiben; mit zusätzlichen Tanks in einem „Extended Duration Orbiter Pallet“ genannten System, das in der Ladebucht Platz fand, sogar bis zu 17 Tage lang.

Visionäre träumten davon, Satelliten zur Reparatur wieder auf die Erde zu holen, von der Industrialisierung des Weltalls zur Produktion von Stoffen, die nur unter Schwerelosigkeit gefertigt werden könnten (wie etwa Legierungen aus Metallen sehr verschiedener Dichten), von einem günstigeren Zugang zum Weltraum zur Erdbeobachtung und zum Start von Satelliten und Raumsonden – und dem späteren Bau einer Raumstation, zu der das Shuttle pendeln sollte. Jeder der geplanten vier Orbiter war für mindestens 100 Flüge vorgesehen, die später im Wochenrhythmus stattfinden sollten; einer davon (die Atlantis) komplett für militärische Missionen auf polaren Umlaufbahnen ab Vandenberg Air Force Base, Kalifornien, vorbehalten. Von Puttkamer träumte gar davon, Atommüll kostengünstig im Weltraum zu deponieren.

Dies ist alles noch Zukunftsmusik, als Young und Crippen am Sonntagmorgen festgeschnallt in ihren Schleudersitzen im Cockpit der Columbia auf den Start der STS-1 genannten Mission warten (STS = Space Transportation System). Der erste Startversuch am 10. April hatte abgebrochen werden müssen: die Columbia verfügte über vier identische IBM-System/4-PI-Bordcomputer, die noch mit 64 KB Ringkernspeicher bestückt waren und deren Programme von Magnetbändern geladen werden mussten. Auf allen vier IBM-Rechnern lief parallel eine identische Software. Daneben gab es einen redundanten Computer von Rockwell & Draper Laboratories mit eigener Software, der die Steuerung notfalls übernehmen konnte, wenn die anderen Rechner sich nicht einig wurden oder ihre Software versagte. Weil die vier IBM-Prozessoren beim Aufwecken des 5. Rechners bei T minus 18 Minuten aufgrund eines falsch programmierten Startwerts um 40 Millisekunden gegen diesen versetzt liefen und er die erwarteten Synchronisationssignale der anderen Rechner nicht zum erwarteten Zeitpunkt erhielt, streikte er und der Countdown wurde abgebrochen.

Space Shuttle Columbia im nächtlichen Flutlicht bei den Vorbereitungen zum Start

(Bild: National Aeronautics and Space Administration.)

Zwei Tage später ist das Problem gelöst und der Countdown zählt wieder herunter. Der Startzeitpunkt am frühen Morgen ist so gewählt worden, dass im Falle einer Notlandung an allen infrage kommenden Landeplätzen Tageslicht herrscht und bei nominellem Flugverlauf von 54 Stunden die Landung in Edwards, Kalifornien, auf die windärmeren Vormittagsstunden fällt. Bei T-9 Minuten in einem planmäßigen „Hold“ (Unterbrechung des Countdowns) verliest der Startdirektor George Page eine Grußbotschaft des Präsidenten Ronald Reagan, der erst am Tag zuvor das Krankenhaus nach einem Attentat verlassen hat. Page ergänzt, dass das Startteam der Crew jede Menge Glück wünsche und tausendprozentig hinter ihnen stünde – sie seien stolz, ein Teil der Mission gewesen zu sein. Die Verantwortung für diese wird mit dem Start zum Kontrollzentrum in Houston übertragen.

Nachdem der Countdown bei T-9 Minuten wieder aufgenommen wird, endet das Nachfüllen des verdampfenden kryogenen Sauerstoffs, der von nun an durch Leitungen um die Triebwerksdüsen geführt wird, um diese vorzukühlen. Das kalte Gas entweicht am Ende der Düsenglocke als weiße Dampffahne durch einen schmalen Auslass. Bei T-7 Minuten und 30 Sekunden wird der Zugangs-Schwenkarm des Startturms beiseite gefahren. Bei T-5 Minuten schaltet Young die dreifach redundanten Auxiliary Power Units (APUs) ein, hydrazinbetriebene Turbinen, die die gesamte Hydraulik der Columbia mit Strom versorgen, unter anderem die Leitflächen, das Fahrwerk und die schwenkbaren Triebwerke, ohne die das Shuttle nicht steuern könnte. Bei T-3 Minuten 55 wird die Beweglichkeit der Leitflächen und kardanischen Triebwerksaufhängungen überprüft; aufmerksame Beobachter sehen, wie sich die Flächen und Triebwerke bewegen. Bei T-2 Minuten wird der Schwenkarm mit der Sauerstoffzuleitung, die von oben in den Tank führte, zur Seite gefahren.

Bei T-16 Sekunden beginnt sich ein Wasserfall von 27 Tonnen Wasser pro Sekunde aus dem „Sound Suppression Water System“ unter den Triebwerken zu ergießen, der die Schallwellen dämpfen und den Beton der Startrampe vor der Hitze der Triebwerke schützen soll. Bei T-10 Sekunden beginnt unterhalb der Triebwerke der Funkenregen des „Main Engine Hydrogen Burnoff System“ zu sprühen, der einerseits aus dem Überdruckventil des Tanks entwichenes Wasserstoffgas abbrennen und andererseits die Haupttriebwerke der Columbia entzünden soll, die nicht aus eigener Kraft starten können. Bei T-6,6 Sekunden lassen die 80.000 PS leistenden Turbopumpen je Triebwerk 500 kg Wasserstoff und Sauerstoff durch 43 cm dicke Rohre im Gewichtsverhältnis 1:6 in die Triebwerke schießen, wo sie vom Funkenregen entzündet werden. Binnen 4,6 Sekunden steigt der Druck in der Brennkammer auf 220 bar – drei- bis viermal höher als bei allen Triebwerken zuvor – und der Schub der fast unsichtbaren blassblauen Wasserstoffflammen muss sich auf mindestens 90 Prozent des Nominalwerts aufbauen, damit der Countdown zu Ende geführt wird. Die Astronauten spüren, wie der an den Tank gefesselte Orbiter einen halben Meter nach oben und vorwärts in Richtung des Tanks geschoben wird, der sich dabei nach vorne neigt, bevor ihn die Federkraft der Halteklammern wieder nach unten zieht. Aus dem Graben unter dem Starttisch schießt derweil eine schneeweiße Wolke aus Wasserdampf-Abgasen der Triebwerke zur Seite weg.

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Während dieser letzten Sekunden prüfen die Computer, ob sich der Schub aller Motoren wie erwartet aufgebaut hat; sie können den Start andernfalls noch abbrechen. Da der Schub nominal ist, veranlassen die Bordrechner, dass die Halteklammern der Startvorrichtung pyrotechnisch gesprengt werden und 6 Meter lange Zündflammen den Feststoffbrennstoff in den Boostern schlagartig entzünden. In dem PBAN genannten Brennstoff sind Ammoniumperchlorat als Oxidator, Aluminiumpulver als Brennstoff und Eisenoxid zur Steuerung der Verbrennungsrate in einem Polymer vermengt, der mit sonnenheller gelber Flamme verbrennt. Der Querschnitt des Brennstoffs hat in der Mitte einen Hohlraum in Form eines elfzackigen Sterns, sodass er zu Beginn bei großer Oberfläche einen höheren Schub entwickelt als nach dem Abbrennen der Zacken unter Verkleinerung der Oberfläche, damit die Beschleunigung bei abnehmendem Gewicht des Tanks und der Booster nicht zu hoch wird.