Vor 40 Jahren: Erstflug des Space Shuttle – die Traummaschine geht in Dienst

Seite 4: To Boldly Go…

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Für die Columbia beginnt nun über Australien, 8000 km vor dem Ziel, die zweite kritische Phase der Mission. Young hat den Orbiter mit Hilfe der Steuerdüsen bei angehobener Nase mit der Unterseite zum Erdboden ausgerichtet. Nun steht eine echte Premiere bevor: Zwar hatte man mit dem Raketenflugzeug X-15 in den 1960ern ein wenig Erfahrung im Manövrieren mit Steuerdüsen und Leitwerken im Hyperschallbereich (bis Mach 6,7) gesammelt, aber nie zuvor war ein aerodynamisch aktiv steuerbarer Flugkörper mit annähernd so hoher Geschwindigkeit von Mach 25 in die Atmosphäre eingedrungen, und es gab dafür auf der Erde auch keinen Windkanal. Man musste sich komplett auf die während der Entwicklung durchgeführten Berechnungen verlassen. Die aufgeklebten Kacheln der Columbia müssen der Hitze und dem aerodynamischen Druck standhalten und es ist immer noch nicht sicher, ob die Kacheln an der Unterseite alle intakt sind. Zudem geht zwischen 120 km und 50 km Höhe der Funkkontakt verloren, weil sich die Columbia in eine Wolke aus elektrisch leitendem Plasma hüllt, die sie wie ein Faradayscher Käfig umgibt. Dies führt zu einem rund zwanzigminütigen Blackout.

Während des Eintritts halten die Computer die Neigung des Shuttles auf 40° über den Horizont angehobener Nase, um möglichst viel Geschwindigkeit durch Reibungshitze abzubauen. Dabei erhitzen sich die Flügelkanten und die Nase auf bis zu 1510 °C – die dort befestigten Kacheln aus pyrolisiertem Carbon halten 1700 °C aus, die übrigen an der Unterseite aus gefilzten, gebrannten und mit einem Keramikbelag überzogenen Glasfasern schaffen 1400 °C und haben etwa das spezifische Gewicht von Balsaholz. Die Kacheln sind mit einem Siliziumharz auf eine isolierende Schicht aus Nylonfilz geklebt, das wiederum mit demselben Klebstoff auf der Aluminiumhaut des Orbiters befestigt ist.

Leuchtendes Plasma vor den Cockpitscheiben des Orbiters beim Wiedereintritt (hier: Space Shuttle Discovery bei STS-42 im Januar 1992).

(Bild: National Aeronautics and Space Administration)

In 100 km Höhe beobachtet die Crew, wie ein gespenstisches rosafarbenes Leuchten vor den Cockpitfenstern erscheint – die abrupt verdichtete Luft wird vor der Columbia ionisiert und zum Leuchten angeregt. Mit immer noch Mach 24 in 78 km Höhe rollt die Columbia nach rechts, um in eine Rechtskurve einzuschwenken, da sie von ihrer ursprünglichen Umlaufbahn um 583 km seitwärts abweichen muss, um die Landebahn zu erreichen. Die Computer steuern die Columbia nun durch weitere Rollmanöver auf einem schlangenlinienförmigen Kurs auf die kalifornische Küste zu, um auf der verbleibenden Strecke Geschwindigkeit abzubauen. So lässt sich die Rate der Verlangsamung genau an die restliche Entfernung anpassen, man hat Toleranzen in den Anflug eingebaut. Bei Mach 10,3 in 57 km Höhe meldet sich Young zum ersten Mal nach dem Blackout und Jubel bricht im Kontrollzentrum aus, der mit jedem passierten Kontrollpunkt lauter wird. Crippen ruft über Bordfunk aus „Was für eine Art, nach Kalifornien zu kommen!“ und die Menschen jubeln ihm zu.

Die letzten Kurven werden von Young manuell vollendet, er testet die Manövrierbarkeit des Shuttles. Mit steigender Luftdichte senkt sich die Nase, um die Verzögerungsrate konstant zu halten, und die Leitflächen übernehmen zunehmend die Aufgabe der Steuerung von den Steuerdüsen, die in 17.000 m Höhe zum letzten Mal feuern. Das Shuttle ist nun ein Flugzeug. Unterhalb von Mach 1 übernimmt Young komplett die Steuerung, schließlich ist er Testpilot. Drei Begleitflugzeuge sind aufgestiegen und scharen sich um die Columbia, um die Höhenangaben des Orbiters zu verifizieren und um Schäden am Rumpf zu suchen – sie finden keine. Im Endanflug weist die Nase 19° unter den Horizont und das Shuttle stürzt mit 60 m/s Sinkgeschwindigkeit geradezu auf die Landebahn zu, um die Anfluggeschwindigkeit hoch zu halten.

Als Crippen die Menschenmassen sieht, murmelt er zu Young, „Hoffentlich sind keine Leute auf der Rollbahn…“. Die Columbia passiert in 14.000 m die Landebahn, um dahinter in eine Linkskurve einzuschwenken, die in 3600 m Höhe in eine Gerade in die Flucht der Landebahn mündet. 600 m über dem Boden zieht Young die Nase 1,5° über den Horizont und fängt die Columbia bei einem Andruck von 1,5 g ab, sodass sie Auftrieb bekommt und der Sturzflug in ein sanftes Ausgleiten übergeht. Ohne Antrieb hat sie nur einen Versuch. Bei 460 km/h wird das Fahrgestell ausgefahren und Young setzt schließlich bei 350 km/h mit den Hinterrädern auf. Wenige Sekunden später kippt die Nase nach vorne und auch das Vorderrad setzt auf. Noch ohne den bei späteren Orbitern verwendeten Bremsfallschirm rollt die Columbia, eine Staubwolke hinter sich her ziehend, auf dem Salzsee aus, bis sie zum Stillstand kommt. Young meldet euphorisch über Funk: „Dies ist das tollste vollelektrische Fluggerät der Welt! Das kann ich euch sagen! Das war super!“

Die Columbia kurz vor dem Aufsetzen in Edwards am Morgen des 14. Aprils 1981.

(Bild: National Aeronautics and Space Administration.)

Es ist der 14. April 1981, 10:25h pazifischer Zeit – der erste Flug eines wiederverwendbaren Raumschiffs ist nach 36 Orbits, 1,7 Millionen zurückgelegten Kilometern und 2 Tagen, 6 Stunden, 20 Minuten und 53 Sekunden verstrichener Missionsdauer erfolgreich beendet!

Sofort nach der Landung nähern sich die Bergungsfahrzeuge und ihr Personal, das Schutzanzüge trägt. Young und Crippen können nicht sofort aussteigen, weil aus den Steuerdüsen und Triebwerken giftige oder explosive Gase austreten könnten, die zuerst von großen Ventilatoren weggeblasen werden müssen, obwohl Young schon aufgeregt zwischen Flugdeck und Ausstieg hin- und hertigert. Crippen ist derweil beschäftigt, den Orbiter herunterzufahren und zu sichern. Als schließlich die Luke von außen geöffnet wird und eigentlich ein Ärzteteam an Bord kommen soll, um die Astronauten zu untersuchen, stürzt Young aus der Columbia heraus, schüttelt jedem dem er begegnet die Hände und läuft begeistert wie ein kleiner Junge um den Orbiter herum. Er wird das geliebte Columbia noch einmal fliegen (STS-9, die erste Mission des Spacelab mit dem Deutschen Ulf Merbold); Crippen als Kommandant sogar noch dreimal.

Nach der Landung wird das Shuttle vom Bergungskonvoi empfangen und gesichert.

(Bild: National Aeronautics and Space Administration)

Erst Jahre später wurde öffentlich, warum die initiale Flugbahn der Columbia etwas höher ausgefallen war, als vorher geplant, was bei Beobachtern kaum Beachtung gefunden hatte. Hintergrund war, dass ein geheimer Spionagesatellit der Air Force vom Typ KH-11 „Kennen“ die Shuttle-Unterseite mit seiner 2,3 Meter durchmessenden Teleskopoptik untersuchen sollte, und durch die Verspätung des Starts hatte man im Stillen die Zielumlaufbahn entsprechend angepasst, sodass das Shuttle in das Blickfeld des Satelliten auf seiner polaren Umlaufbahn kam. Dies war während der Mission nur dreimal für jeweils eine Minute der Fall, wobei der Satellit dem Orbiter nur bis auf 100 km nahe kam, aber es gelang, Aufnahmen zu erstellen, die zeigten, dass die Unterseite intakt war. Dies konnte die NASA der Presse allerdings damals nicht mitteilen, und so fieberte die Öffentlichkeit mit mulmigem Gefühl der Landung entgegen.

Der Verlust der Kacheln rührte daher, dass die Lärmentwicklung beim Start unterschätzt worden und vom Lärmunterdrückungssystem nicht hinreichend absorbiert worden war, sodass der reflektierte Schall einige Kacheln durch Vibrationen ablöste und über hundert beschädigte. Das System wurde danach verbessert. Crippen sah beim Start weiße Stücke der Isolation des Tanks gegen die Fenster prallen. Hier deutete sich bereits das Problem an, das 2003 zum Unglück der Columbia führen würde, als beim Start herunterstürzendes Isolationsmaterial den Hitzeschutz an einer Tragflächenvorderkante großflächig beschädigte, sodass sie beim Wiedereintritt zerbrach und verglühte.

Der gefährlichste Vorfall der Columbia bei ihrem Jungfernflug war jedoch eine Druckwelle der Feststoffbooster, die nicht nur die Aufhängung der Sauerstoffzuleitung einer Steuerdüse zerbrach, sondern das Höhenruder am Heck des Orbiters unterhalb der Triebwerke so stark umbog, dass die Hydraulikleitungen über den eigentlich vorhergesagten Punkt der Zerstörung gedehnt wurden. Ohne dieses Ruder wäre ein kontrollierter Rückflug unmöglich gewesen. Young soll später gesagt haben, hätte die Crew darüber Bescheid gewusst, dann hätte sie das Shuttle beim Start mit dem Schleudersitz verlassen.

Manche der Träume der Shuttle-Ära erfüllten sich, die meisten jedoch nicht, vor allem nicht die beiden wichtigsten: die Kosten erheblich zu senken und den Zugang zum Weltall sicherer zu machen. 643 Feststoffbooster-Segmente wurden gefertigt, von denen 543 mehr als einmal verwendet wurden; zwei davon flogen zwölfmal. Es ist keine Wirtschaftlichkeitsstudie öffentlich, die eindeutig nachweist, dass die Wiederverwendung der Booster günstiger war als eine Neufertigung für jeden Flug. Die Wartung des Orbiters erforderte Monate statt weniger Wochen und es gab immer wieder Probleme mit den Hitzeschutzkacheln und abbröckelnder Tankisolation; letztere konnten nie endgültig gelöst werden.

Nie wurde die geplante Kadenz von 4 Flügen pro Monat erreicht und die Kosten pro Start betrugen gegen Ende des Programms im Jahre 2011 450 Millionen Dollar statt der ursprünglich anvisierten 54 Millionen (umgerechnet auf den Wert des Dollars im Jahre 2011); rechnet man die gesamten Kosten des Programms einschließlich Entwicklung und Betrieb auf die 135 Shuttle-Flüge um, kommt man gar auf 1,5 Milliarden Dollar pro Flug. Zur Kostenexplosion trugen nicht zuletzt die tragischen Verluste der Challenger 1986 und der Columbia 2003 bei, die 14 Menschenleben forderten, die die Shuttle-Flotte mehrere Jahre lang lahmlegten, die die Pläne eines rein militärischen Shuttles vereitelten und umfangreiche Nachbesserungen und Nutzungsbeschränkungen des Systems nach sich zogen.

Die Crews der ersten und der letzten Shuttle-Mission vor einem Shuttle-Mockup im Johnson Space Center in Houston am 2. November 2011. Von links nach rechts Douglas Hurley (STS-135-Pilot), Robert Crippen (STS-1-Pilot), John Young (STS-1-Kommandant), Chris Ferguson (STS-135-Kommandant) und die STS-135-Missionspezialisten Sandy Magnus und Rex Walheim. Bild: NASA Photo/Houston Chronicle, Smiley N. Pool.

(Bild: National Aeronautics and Space Administration.)

Sicherheitsbedenken, die hohen Kosten, welche jährlich bis zu 30 Prozent des gesamten NASA-Budgets verschlangen, und das Gefesseltsein an den Erdorbit lähmten das US-Raumfahrtprogramm. Fehlschläge bei der Entwicklung alternativer wiederverwendbarer Raumfahrzeuge (wie etwa dem Lockheed Martin X-33 Venture Star oder dem Rockwell X-30 National Aerospace Plane NASP) führten zu einer Rückbesinnung auf klassische Raketen für den Start von Satelliten, Raumsonden und von Menschen.

Die explodierenden Kosten des Constellation-Programms unter Präsident George W. Bush und NASA-Administrator Michael Griffin veranlassten Präsident Obama schließlich im Jahr 2010 sowohl Constellation einzustellen als auch das Ende des Shuttle-Programms im Jahr 2011 zu verkünden. Auf Druck des mehrheitlich republikanischen Senats beauftragte er mit dem Space Launch System eine abgespeckte Variante des Constellation-Projekts sowie die Versorgung der ISS durch kommerzielle Raumfahrtunternehmen wie Orbital Scienes und SpaceX (für den Personentransport später Boeing und SpaceX). Nur das Militär verfügt mit der Boeing X-37 noch über ein robotisches Mini-Shuttle, während die Firma Sierra Nevada Corporation an einem kleinen, ebenfalls robotischen zivilen Orbiter, genannt Dream Chaser, arbeitet. Erst die kühnen Entwicklungen von SpaceX führen nun zu einer Renaissance wiederverwendbarer Raumfahrzeuge, die die Vorteile der Raketen-Stufentechnik mit denen der Wiederverwendbarkeit vereinen. Die Vielseitigkeit und Schönheit des Space Shuttle bleibt jedoch bislang unerreicht.

Quellen

(mho)