Wahlkampf in Digitalien: Steile Inszenierung und flache Debatte?

Politische Selbstdarstellung in sozialen Medien: Nah dran und doch ausgewählt und inszeniert. Verschiedene Plattformen brauchen unterschiedliche Strategien.

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(Bild: Wachiwit/Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Dr. Anna Wagner
Inhaltsverzeichnis

Politiker und Politikerinnen, die reihenweise durch die Talkshows tingeln: daran haben sich geneigte Mediennutzende längst gewöhnt. Gerade in Wahlkampfzeiten sind Auftritte in den verschiedensten Unterhaltungsformaten nicht mehr wegzudenken. Diese Verquickung zwischen Politik und Unterhaltung wird in der (politischen) Kommunikationsforschung unter Schlagworten wie "Entertaining Politics" oder "Politainment" untersucht und seit Längerem mit Blick auf ihre Chancen (Bürgernähe) und Risiken (Verflachung der Debatten) für politische Debatten und den demokratischen Diskurs besprochen. Fest steht dabei: Die Art und Weise, wie Politik kommuniziert wird, wie sich Politiker:innen präsentieren und wie sich die politische Kultur selbst gestaltet, hat sich mit der gesteigerten Bedeutung von Medien – und insbesondere digitalen Medien – entscheidend verändert.

Zum Online-Wahlkpampf 2021:

Wahlkampf 2021 ist Wahlkampf digital, aber wie sehr wird das die Politik überfordern? Social Media-Plattformen sind mittlerweile aus dem politischen Alltagsgeschäft – inner- und außerhalb des Wahlkampfs – nicht mehr wegzudenken. Politiker:innen greifen auf Twitter, Instagram, Facebook und Co. zurück, um sich politisch zu positionieren, indem entweder selbst politische Statements gepostet werden oder anderen widersprochen wird. Um die eigene Marke aufzubauen, zu kultivieren und ein politisches Image zu transportieren. Und nicht zuletzt, um die Aufmerksamkeit der massenmedialen Berichterstattung zu erregen und im besten Fall zum Thema zu werden, das auf verschiedenen Medienplattformen zirkuliert. Die (wahrgenommenen) neuen Medienlogiken verlangen den politischen Akteuren einiges ab.

Dabei gibt es in Deutschland – zumindest für die politische Kommunikationsforschung – sehr interessante Fälle: Markus Söder, obgleich (dann doch) kein Spitzenkandidat, ist Meister dieser Selbstinszenierung: Auf Instagram zeigt er sich wahlweise mit Bayern-Wappen zierender Kappe oder Maske (oder beidem) in verschiedenen Posen in der bayerischen Natur, in der Kirche und als seriöser, entschlossener Politiker. Wir dürfen ihn aber auch als begeisterten Radler, Sonntags-Braten-Esser und Spiderman-Fan erleben.

(Bild: Markus Söders Instagram-Account)

Überhaupt sind populärkulturelle Inhalte, sorgfältig eingesetzt, der ‚nette Kontrast‘ zum seriösen Politiker. Sie sollen signalisieren, dass es neben aller Arbeit aber doch auch ordentlich menschelt bei den Vorlieben und dass sich Tradition und Moderne nicht gegenseitig ausschließen: Die R2D2 und Iron Man-Figuren beim politischen Aschermittwoch (nicht weit entfernt von den Holzkreuzen und direkt neben dem gekachelten Kamin) sind hierfür ebenso Beispiele wie der Einsatz der ‚Winter is Coming‘-Tasse der Serie Game of Thrones bei Söders Parteitagsrede. Sie änderte ihr Aussehen, als er heißes Wasser eingoss, um schließlich für alle bestens lesbar ‚Winter is Here‘ anzuzeigen. Söder selbst sagt in bester Authentizitätsmanier, dies sei keine Absicht gewesen – sein Auftritt wird aber in bester Inszenierungsmanier massenmedial gefeiert und "zum Internet-Hit" (welt.de) erklärt. Authentisch, mitten aus dem (Arbeits-)Alltag – so viel wissen selbst unbedarfte Nutzer:innen inzwischen – ist auf Social Media-Plattformen nur selten etwas.

Ein Gastbeitrag von Dr. Anna Wagner

Dr. Anna Wagner ist Kommunikationswissenschaftlerin und promovierte zur Alltagskommunikation über mediale Satire. Aktuell arbeitet Wagner als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Bielefeld.

Insgesamt ist Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern im digitalen Wahlkampf aber noch eher zurückhaltend. Die USA gelten als klare Vorreiter des Social-Media-Einsatzes im Politbetrieb und vor allem im (höchst personalisierten) Wahlkampf: Seit Barack Obama sind soziale Medien fester Bestandteil der Wahlkampfstrategie und zentrale Mittel im Kampf um die Aufmerksamkeit. Donald Trump hat Social Media nicht nur vor, im, während und nach dem Wahlkampf extensiv genutzt, er hat das Twitter-Game während seiner Präsidentschaft sogar bis zum letzten Level – und damit bis zur Sperrung seines Accounts – ‚durchgespielt‘. Die verschiedensten Trends der Social-Media-Nutzung in der politischen Kommunikation setzen sich hingegen in Europa und Deutschland deutlich später, in abgeschwächter Form oder beizeiten auch gar nicht durch – was nicht zuletzt auf die weniger stark ausgeprägte, wenn auch ebenfalls vorhandene Fokussierung auf einzelne Kandidat*innen zurückzuführen ist.

Dennoch sind Social Media mittlerweile auch hierzulande elementarer Teil der eigenen Wahlkampfstrategie. Und damit ein Kampagnenkanal neben anderen. Sie werden für die politische Kommunikation und die strategische Planung nicht sehr viel anders genutzt als traditionelle Massenmedien – obgleich sie teils anderen Logiken folgen und nach etwas anderen kommunikativen Maßnahmen verlangen mögen.

In Zeiten des Wahlkampfs muss die strategische Social-Media-Kommunikation dabei noch überlegter, noch bedachter erfolgen als sonst. Politiker:innen und ihre Berater:innen wägen sorgfältig ab, welches Medium, welche Plattform, welches Format und nicht zuletzt auch welche (Selbst-)Inszenierung die jeweils interessantesten Zielgruppen erreichen. Welche am besten zum Image passen und die meiste (im Idealfall positive) Aufmerksamkeit versprechen. Zudem unterscheiden sich die Plattformen in ihren Funktionalitäten und der Art und Weise der Kommunikation, die wiederum ebenfalls ins Kalkül gezogen werden. Während Instagram Raum für Bilder voller Symbolkraft, Slogans und Snapshots aus dem Politikalltag bietet, eignet sich Twitter besser zur inhaltlichen Kommentierung und politischen Positionierung: solange diese zugespitzt und knackig präsentiert werden kann.

Dass wir Armin Laschet bislang nicht auf TikTok, wohl aber auf Twitter bewundern durften, mag also daran liegen, dass die Plattform für ihn (und sein Social Media-Team) ein noch nicht betretenes, sprichwörtliches Neuland ist. Oder daran, dass sich politische Statements besser in 240 geschriebene Zeichen pressen lassen als in mit Musik unterlegte Kurz-Videos. Es kann plausiblerweise aber auch dadurch motiviert sein, dass die überwiegend jugendlichen TikTok-Nutzer:innen gar nicht in die wahlkampfrelevante Zielgruppe für den Kanzlerkandidaten fallen, er Imageschäden angesichts mangelnden komödiantischen Talents oder fehlender Ernsthaftigkeit befürchtet oder sich schlicht (und nicht zu Unrecht) keinen messbaren Mehrwert von einer TikTok-Präsenz verspricht. Und daran, dass Twitter als "Elitenmedium" demgegenüber einen direkteren Draht zu den Journalist:innen dieses Landes bietet. Schließlich hat auch ein Kanzler- oder Spitzenkandidat nicht endlos Kapazität für mediale Präsenz und muss in Abstimmung mit seinen Berater:innen jenen medialen Content unters Volk bringen, der den vermeintlich bestmöglichen Outcome verspricht.

Social Media bedienen in gewisser Weise die Illusion des großen digitalen Gleichmachers: Jede:r kann sein Profil anlegen, jede:r kann Inhalte posten, Zustimmung einheimsen oder sich nach Kräften blamieren. Auch wenn Soziale Medien mit Partizipationsmöglichkeit, niedrigschwelligem Austausch und Interaktivität assoziiert werden und diese Merkmale prinzipiell auch aufweisen, werden sie von den Politiker:innen und ihren Kommunikationsstrateg:innen meist gerade und bloß nicht mit dieser Absicht genutzt.

Insbesondere im von Politiker:innen viel genutzten Twitter bestimmen vor allem professionelle Akteure und (journalistische) Eliten die Debatten. Social-Media-Plattformen sind generell hierarchisierter und ‚vermachteter‘ als sie auf den ersten Blick scheinen mögen. Und nicht zuletzt nehmen gerade etablierte Politiker:innen die Optionen eines (mehr oder weniger) gleichberechtigten Austauschs mit Bürger:innen in der Regel nicht wahr. Ein Dialog oder gar eine Debatte mit Usern ist insbesondere in Zeiten des Wahlkampfs meist gar nicht erwünscht: Wenn alle mitreden können, geht schließlich die Kontrolle darüber, wer sich äußert, was im Wahlkampf wie angesprochen wird und womit sich die Wahlwerbenden auf einmal herumschlagen müssen, zumindest teilweise verloren.

In den bisherigen Wirrungen der Wahlauseinandersetzung haben vor allem die Grünen und die CDU erfahren müssen, dass die Social-Media-Aktivitäten von Parteigängern ganz anders als gewünscht in den Fokus geraten können – man schaue sich die schönen Grüße aus Thüringen und Tübingen an die Parteizentralen an. Der Wunsch nach Kontrolle über die Art und Verbreitung der Inhalte ist also gerade im Wahlkampf zu groß. Zu riskant wäre es, einen Fauxpas zu produzieren, den nicht nur die traditionellen Massenmedien und politischen Mitbewerber:innen dann freudig auswalzen würden. Zudem sollen vermittelte Wahlbotschaften klar und eindeutig sein und sich am besten nicht in endlosen Twitter-, Facebook- oder Clubhouse-Diskussionen ver(w)irren.

Die mit der Verbreitung Sozialer Medien einhergegangenen Heilsversprechen einer Demokratisierung von Politik und Diskurs sowie der Inklusion von Bürger:innen, so zeigt die Studienlage, sind also nur sehr punktuell und mit Blick auf die Kommunikation zwischen Volk und Mächtigen gar nicht eingelöst worden. Dennoch ist die Illusion der Beteiligungsmöglichkeit (und damit der Nahbarkeit) zentrale Strategie mancher Kandidat:innen – nicht zuletzt um spezifische, die Kandidierenden vermeintlich auszeichnende Eigenschaften oder einfach nur politische Haltungen zu transportieren. So greift der SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz beispielsweise in der Kategorie ‚Olaf antwortet‘ gezielt Social-Media-Kommentare von Nutzer:innen heraus, auf die er dann in einem Video reagiert. Auch hier erfolgt die Auswahl der Kommentare selbstverständlich von seinem Wahlkampf-/Social-Media-Team und ohne die Möglichkeit der unmittelbaren Rückantwort von Seiten der Kommentierenden. Ganz zu schweigen von einer offenen und somit unkontrollierten Debatte.

Wenngleich die Kommunikation von Politiker:innen im aktuellen Bundestagswahlkampf überwiegend strategisch, kalkuliert und einseitig verläuft, so heißt das nicht, dass das immer so bleiben muss. Denn die Art und Weise, wie Social Media im Wahlkampf eingesetzt werden, ist im Wandel begriffen. Welche Plattformen wofür verwendet werden, verändert sich mit dem Image der Plattformen, ihren Features sowie den Nutzungspraktiken und Vorlieben der User. Neu hinzukommende Plattformen – bestes Beispiel Instagram – können zunehmend in den Fokus rücken, während andere für die politische (Wahlkampf-)Kommunikation in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Aber warum sollte es den digitalen Plattformen auch anders ergehen als manch ehemaligen Spitzenkandidat:innen?

(emw)