Was Whistleblower dürfen – und was nicht

Seite 2: Folgenreiche Meldungen

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Auch mal eben schnell abgeschickte Infos können gravierende Auswirkungen haben. Das musste ein Konstruktionsmechaniker erfahren: Er hatte dem zuständigen Landkreis per Mail mitgeteilt, dass sowohl der Geschäftsführer des Unternehmens, bei dem er arbeitete, als auch sein direkter Vorgesetzter gegen Corona-Quarantänebestimmungen verstoßen hatten. Diese sahen vor, dass beide die nähere Umgebung ihrer Wohnung beziehungsweise ihren Ortsteil nicht verlassen durften. Indem sie dennoch den Betrieb aufsuchten, haben beide unstrittig dagegen verstoßen.

Der Landkreis leitete die Mail an die Staatsanwaltschaft weiter. Der Arbeitgeber kündigte deshalb dem Arbeitnehmer fristlos. Er monierte, dass der Arbeitnehmer nicht zuvor das persönliche Gespräch mit ihm gesucht hatte. Doch die eingelegte Kündigungsschutzklage hatte Erfolg: Das ArbG Dessau-Roßlau stellte fest, dass die Kündigung mangels wichtigen Grunds rechtswidrig war. Arbeitnehmer dürfen nach BAG-Rechtsprechung normalerweise ihren Arbeitgeber anzeigen, wenn dieser eine Straftat begangen hat, so das ArbG.

Anders sieht die Situation aus, wenn Arbeitnehmer leichtfertig oder sogar absichtlich unzutreffende Tatsachen schildern. Das war jedoch nach den Feststellungen des Gerichts nicht der Fall, weil die behaupteten Tatsachen nachweislich zutrafen. Nach seiner Aussage wollte der Arbeitnehmer den Betrieb durch die Mail nicht schädigen. Ihm sei es lediglich darum gegangen, dass die Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes eingehalten werden, damit kein erhebliches Ansteckungsrisiko besteht.

In einem aktuellen Fall geht es um die interne Fehlerkultur bei der Polizei, die derzeit Gegenstand kontroverser Diskussionen ist: Eine Polizeianwärterin wies ihren Dienstherrn intern auf rechtsextreme Nachrichten samt Bildern und Stickern in vier WhatsApp-Chatgruppen für Anwärter hin. Dies hatte zur Folge, dass dieser nicht etwa die Verfasser der Nachrichten, sondern die Whistleblowerin vom Dienst suspendierte. Als Grund gab er an, dass sie die Nachrichten auf ihrem Handy belassen hatte. Ferner habe sie angeblich der Verbreitung nicht entgegengewirkt. Deshalb sei sie für den Polizeivollzugsdienst charakterlich nicht geeignet und müsse entlassen werden. Doch die Anwärterin wehrte sich dagegen und zog vor Gericht.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Nordrhein-Westfalen entschied im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, dass das vom Dienstherrn ausgesprochene Verbot der Führung von Dienstgeschäften rechtswidrig war. Es hob damit eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Düsseldorf als Vorinstanz auf. Die Anwärterin habe die Nachrichten weder geteilt noch zustimmend kommentiert. Des Weiteren gab das OVG zu bedenken, dass der Dienstherr nicht gegen die übrigen Kommissaranwärter in den Chatgruppen vorgegangen sei.

Whistleblower können oftmals nur schwer einschätzen, ob ihr Arbeitgeber oder ein Kollege wirklich eine Straftat begangen hat. Wie auch? In aller Regel sind sie juristische Laien und strafrechtlich wenig bewandert. So erging es einem stellvertretenden Chefarzt, der in einem Krankenhaus in Liechtenstein angestellt war. Nachdem er einigen elektronischen Krankenakten entnehmen konnte, dass die jeweiligen Patienten nach der Gabe von Morphium gestorben waren, wurde er stutzig. Er glaubte, dass sein Vorgesetzter aktive Sterbehilfe begangen habe, und zeigte ihn bei der zuständigen Staatsanwaltschaft an. Diese leitete ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen Tötung auf Verlangen und Beteiligung am Suizid ein.

Nachdem sich das als Irrtum herausgestellt hatte, kündigte der Arbeitgeber dem Arzt fristlos, und die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren gegen den Vorgesetzten ein. Eine Klage des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber wegen der fristlosen Kündigung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld hatte keinen Erfolg. Der oberste Gerichtshof Liechtensteins als letzte nationale Instanz befand, dass die Kündigung rechtmäßig gewesen sei. Dies begründeten die Richter damit, dass der Arzt es versäumt habe, über die elektronischen Akten hinaus die Papierakten einzusehen. Dann hätte er dem Gericht zufolge erkennen können, dass seine Vorwürfe nicht berechtigt waren.

Nachdem er auch beim Staatsgerichtshof (StGH) des Fürstentums Liechtenstein mit einer Verfassungsbeschwerde gescheitert war, legte der Arzt Individualrechtsbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Doch auch damit hatte er keinen Erfolg. Die Richter stellten im Februar 2021 klar, dass der Schutz der Meinungsfreiheit das Verhalten des Arztes nicht rechtfertigen konnte.

Zwar bestehe für die Öffentlichkeit ein erhebliches Interesse daran, von derartigen Vorgängen zu erfahren. Darüber hinaus könne die Weitergabe von Informationen auch dann von der Meinungsfreiheit gedeckt sein, wenn sich diese im Nachhinein als unzutreffend herausstellen. Dennoch sei die Kündigung hier rechtmäßig, weil der Arbeitnehmer nicht sorgfältig genug geprüft habe, ob seine schwerwiegenden Vorwürfe berechtigt sind. Aufgrund seiner Stellung als stellvertretender Chefarzt hätte er Einsicht in die geführten Papierakten nehmen und seinen Verdacht vorab überprüfen können.

Um Hinweisgeber, die einen Missstand aufdecken möchten, besser zu schützen, hat die Europäische Union nach langen Kontroversen die sogenannte Whistleblower-Richtline ([EU] 2019/1937) verabschiedet. Nach Veröffentlichung der endgültigen Fassung im EU-Amtsblatt ist das Gesetz am 26.11.2019 in Kraft getreten. Im Gesetzgebungsverfahren war insbesondere strittig, ob Hinweisgeber einen Missstand erst intern melden müssen oder ob sie sich direkt an Behörden oder sogar die Öffentlichkeit wenden dürfen.

Die endgültige Fassung sieht nun als Kompromiss vor, dass Hinweisgeber wählen dürfen, ob sie sich erst an den Arbeitgeber oder direkt an die zuständige Behörde wenden (Art. 10). Sie dürfen allerdings normalerweise nicht sofort einen Missstand publik machen. Kritisiert wurde, dass die Richtlinie nur Whistleblower schützt, die einen Verstoß gegen EU-Recht melden (Art. 2 Abs. 1). Ob ein solcher Verstoß vorliegt, ist insbesondere für Laien schwer zu beurteilen.

Diese EU-Richtlinie muss bis zum 17.12.2021 in deutsches Recht umgesetzt worden sein. Erst danach ist sie hierzulande wirksam. In Deutschland gibt es bisher noch kein Gesetz, das Whistleblower schützt. Es existiert bislang lediglich ein Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) für ein Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG). Das Ministerium hat seine Fassung Mitte Dezember 2020 an die anderen Ressorts verschickt, aber noch nicht veröffentlicht, weil der Entwurf derzeit noch innerhalb der Regierung abgestimmt wird. Das Papier liegt der c’t-Redaktion vor. Eine gleichlautende Fassung kann auf der Website des Whistleblower-Netzwerks e.V. nachgelesen werden.

Das Gesetz soll dem BMJV zufolge dazu beitragen, dass in Deutschland Whistleblower umfassend geschützt werden. Dies sei bislang nicht der Fall, weil die Gerichte unklare Kriterien anwenden. Whistleblower gehen insbesondere dann ein hohes Risiko ein, wenn sie einen Missstand einer externen Stelle melden. Whistleblower sollen nicht nur dann geschützt werden, wenn sie Verstöße gegen EU-Recht melden. Vielmehr soll sich der Schutz auf alle Verstöße erstrecken, die im Gesetzesentwurf im Einzelnen aufgeführt werden (vgl. § 2 HinSchG). Hierzu soll etwa gehören, wenn der Arbeitgeber sich dadurch strafbar macht oder gegen ihn ein Bußgeld verhängt werden kann.

Darüber hinaus sollen unter anderem auch "sonstige Verstöße gegen Gesetze, Rechtsverordnungen und Vorschriften des Bundes und der Länder sowie unmittelbar geltende Rechtsakte der Europäischen Union und der Europäischen Arbeitsgemeinschaft" vom Schutz umfasst sein. Dazu zählen zum Beispiel Verstöße gegen das öffentliche Auftragswesen, Finanzdienstleistungen, Produktsicherheit, Tierschutz, Umweltschutz, Strahlenschutz und Verbraucherschutz.

Durch diesen Entwurf würden Whistleblower besser geschützt, als dies die Whistleblower-Richtline vorsieht. Er enthält jedoch einige kritische Punkte, die den angestrebten umfassenden Schutz fraglich erscheinen lassen. Beispielsweise sollen Whistleblower nicht geschützt werden, wenn es um die nationale Sicherheit oder um den Schutz von Verschlusssachen geht. Daraus resultiert das Risiko, dass brisante Informationen missbräuchlich als Verschlusssache eingestuft werden, um eine Aufdeckung zu verhindern.

Ferner soll die Identität einer hinweisgebenden Person nach dem Entwurf nicht geschützt werden, wenn diese vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen über Verstöße meldet. Damit will der Gesetzgeber laut Begründung Denunziantentum und falschen Verdächtigungen vorbeugen. Die Frage ist jedoch, wann grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Hierzu enthält der Entwurf keine genaue Definition. Vielmehr soll es darauf ankommen, ob die hinweisgebende Person einen "hinreichenden Grund" zu der Annahme hatte, dass die gemeldeten Informationen der Wahrheit entsprechen. Wann ein solcher Grund besteht, ist aber selbst für Juristen schwer einzuschätzen.

Unklar ist, weshalb nicht alle Verstöße gegen nationale Vorschriften vom Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes erfasst werden sollen. Auch wenn der Katalog viele wesentliche Bereiche enthält, so ist diese Eingrenzung zumindest für Laien mit rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Sie können folglich nicht darauf vertrauen, dass sie bei der Meldung von Verstößen als Whistleblower geschützt werden.

Schließlich erscheint bedenklich, dass der Entwurf Behörden ausdrücklich nicht dazu verpflichtet, Hinweisen von anonymen Whistleblowern nachzugehen. Dabei sind gerade beim Whistleblowing anonyme Meldungen von großer Bedeutung. Die Enthüllung schwerer Missstände ist für den Hinweisgeber häufig mit hohen rechtlichen und existenziellen Risiken verbunden.

Im deutschen Recht existiert ein Vorbild, von dem sich das BMJV leiten lassen könnte: die Regelung von Paragraf 8 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV). Danach muss ein Staatsanwalt auch bei namenlosen Anzeigen prüfen, ob er wegen eines hinreichenden Anfangsverdachts bezüglich einer Straftat ein Ermittlungsverfahren einleiten muss. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber im weiteren Verfahren ein solches Procedere auch zum Schutz von Whistleblowern in die Hinweisgeber-Regelungen einbaut.

c’t Ausgabe 10/2021

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(hob)