Was macht das Coronavirus mit dem Klimawandel?

Der Ausbruch von COVID-19 wird Auswirkungen darauf haben, wie wir mit der Erderwärmung umgehen. Und die müssen nicht positiv sein.

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Stadt, Sonne, Klimawandel

(Bild: Reimund Bertrams, gemeinfrei)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • James Temple
Inhaltsverzeichnis

Es sieht alles danach aus, dass der nahezu weltweite Ausbruch von SARS-CoV-2 in diesem Jahr die Treibhausgas-Emissionen auf dem Planeten senken wird. Flugzeuge bleiben am Boden, es wird weniger mit dem Auto gefahren, der Tourismus ist eingebrochen und auch der Welthandel geriet ins Stocken. All das senkt den CO2-Ausstoß.

Es wäre jedoch ein Fehler, anzunehmen, dass das sich rasant ausbreitende Virus, das bereits Millionen Menschen infiziert hat, zur Aufhaltung des Klimawandels führt. Es ist, sagen Forscher, nur ein kurzes Aufatmen.

Wie auch in früheren Fällen, in denen die weltweite Kohlendioxidausstoß aufgrund wirtschaftlicher Schocks, Epidemien oder Kriegen zurückgegangen ist, dürften die Emissionen wieder steigen, sobald sich die Wirtschaft erholt. Hinzu kommt: In der Zwischenzeit könnte die Bekämpfung des Virus leicht Geld und politischen Willen aus den Klimabemühungen abziehen. Tatsächlich ist es richtig, zunächst auf das Retten bedrohter Leben durch COVID-19 zu setzen – und unser Gesundheitssystem zu schützen. Dennoch verliert der menschengemachte Klimawandel nichts von seinem Schrecken. Und das Coronavirus könnte hier schwerwiegende Folgen haben.

Denn: Wenn die Kapitalmärkte blockiert sind, wird es für Unternehmen unglaublich schwierig, Finanzierungen zu sichern, die erforderlich sind, um anstehende Solar-, Wind- oder Stromspeicherprojekte voranzutreiben, geschweige denn neue Vorschläge umzusetzen.

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Die globalen Ölpreise fielen im Rahmen der Corona-Krise zwischenzeitlich auf historische Tiefpunkte, was auf einen Preiskampf zwischen Russland und Saudi-Arabien sowie Bedenken hinsichtlich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung zurückzuführen war. Billiges Benzin macht es schwieriger, Elektrofahrzeuge, die ohnehin schon teurer sind, an Verbraucher zu verkaufen. Aus diesem Grund stürzte beispielsweise auch die Aktie des E-Auto-Pioniers Tesla.

Auch die grüne Lieferkette stottert. China produziert einen großen Teil der weltweiten Solarmodule, Windturbinen und Lithium-Ionen-Batterien, die Elektrofahrzeuge und Netzspeicherprojekte antreiben. Die dortigen Unternehmen haben bereits bekannt gegeben, dass sie sich mit Lieferproblemen sowie Produktions- und Lieferrückgängen konfrontiert sehen, was wiederum schon erste Nachhaltigkeitsprojekte im Westen verlangsamt. Und es könnte zu neuen Handelskriegen zwischen den USA und China kommen – auch, weil die Trump-Regierung sich aus der Abhängigkeit von dem Land lösen will, in der die Corona-Krise ihren Ausgang nahm.

Steigende gesundheitliche und finanzielle Ängste könnten auch die öffentliche Aufmerksamkeit von dem Problem lenken. Der Klimawandel hat in den letzten Jahren für Durchschnittswähler eine immer höhere Priorität erhalten. Die "Fridays for Future"-Bewegung, die Druck auf Politiker ausübt, ernsthafte Maßnahmen zu ergreifen, gewann zuletzt an Boden. Aber inmitten eines wirtschaftlichen Abschwungs und einer Krise des Gesundheitswesens würden sich die Menschen –verständlicherweise – stärker auf unmittelbare Gesundheitsprobleme und leichter handhabbare Angelegenheiten konzentrieren. Jobs, Altersvorsorge und das Halten der Wohnung sind wichtiger. Die längerfristigen Gefahren des Klimawandels würden in den Hintergrund treten.

Immerhin: Es gibt auch Beobachter, die meinen, die Corona-Krise könnte zu mehr Maßnahmen gegen den Klimawandel führen. So könnte ein anhaltender Rückgang der Ölpreise längerfristige Investitionen in saubere Energie für große Energieunternehmen attraktiver machen, wie ein Analyst der Eurasia Group kürzlich gegenüber dem Wirtschaftsdienst Axios argumentierte. Und vielleicht reagieren bestimmte Nationen auf eine Wirtschaftskrise mit Konjunkturmaßnahmen, um Geld in saubere Energie und Klimaanpassung pumpen.

Es könnte auch passieren, dass sich der CO2-Ausstoß der Menschheit künftig grundsätzlich reduziert, weil die Menschen auch weiterhin Angst vor Flug- und Kreuzfahrtschiffen haben, weniger Geschäftsreisen unternehmen und immer mehr Home Office und virtuelle Konferenzen stattfinden. Die Reaktionen angesichts der akuten Gefahr zeigen ja, dass wir die vom Klimawandel geforderten gesellschaftlichen Veränderungen grundsätzlich vornehmen könnten – so hart sie auch sind.

Gernot Wagner, Dozent am Department of Environmental Studies der New York University, meint jedoch, dass die Entwicklung derzeit gegen Fortschritte im Hinblick auf den Klimawandel sprechen – und dass wir sehr vorsichtig sein sollten, irgendwelche größeren Lehren aus diesem Moment zu ziehen.

"Die Emissionen in China sind gesunken, weil die Wirtschaft stehen geblieben ist und die Menschen sterben, weil arme Menschen keine Medikamente erhalten können", sagt er. Auf diese Art dürfe man die Emissionen nicht senken. In der Tat geht es ja auch bei der Bekämpfung der globalen Erwärmung darum, weit verbreitetes Leiden und Sterben der Menschheit zu vermeiden.

(bsc)