Weiche Hardware

Die übernächste Generation von Robotern wird anpassungsfähiger als je zuvor. Sie kann sogar ihre Gestalt verändern.

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Die übernächste Generation von Robotern wird anpassungsfähiger als je zuvor. Sie kann sogar ihre Gestalt verändern.

Die Hand hat keine Finger. Braucht sie auch nicht. Stattdessen stülpt sich ein faustgroßer violetter Gummiball über den Kaffeebecher. Der Roboter hebt seinen Arm – und der Becher hängt wie festgeklebt daran. Der Arm fährt herunter und gibt den Becher wieder frei. "Das klappt sogar mit rohen Eiern", sagt Hod Lipson, Robotiker an der Cornell University in Ithaca, triumphierend.

Wenn man die Lösung weiß, ist der Trick ganz simpel. Die Forscher nutzen einen Effekt, den jeder aus der heimischen Küche kennt: Ein frisch gekaufter, vakuumverpackter Beutel Kaffee ist steinhart. Reißt man die Tüte auf, wird sie weich. Lipson und Kollegen lassen das Ganze nun gerade umgekehrt ablaufen. Erst ist der Gummiball, ebenfalls mit Kaffeebohnen gefüllt, weich und passt seine Form jedem Gegenstand an. Dann pumpen sie die Luft heraus, und das Innere wird hart – der Greifer hält das Objekt fest. Strömt anschließend wieder Luft in den Ball, gibt der das gegriffene Objekt frei.

"Uns haben Leute gemailt und gefragt, warum es bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts gedauert hat, so etwas zu entwickeln", sagt Lipson. Die Idee funktioniert so gut, dass gleich mehrere Unternehmen daraus Produkte entwickeln wollen. Welche das sind, will Lipson nicht verraten. So ein Greifer, erklärt er aber, sei vor allem für Anwendungen interessant, bei der Roboter immer wieder neue Gegenstände bewegen müssen. Aber für Lipson ist der Greifer weit mehr als nur eine elegante technische Lösung. Er verkörpert ein neues Prinzip, das die Robotik völlig auf den Kopf stellt: "soft robotics".

Mit dem Begriff umschreibt Lipson in diesem Fall weit mehr als nur Leichtbauroboter mit flexiblen Gelenken, die Kollisionen verhindern sollen. Er meint flexible Maschinen, die ihre Form an die jeweilige Aufgabe anpassen – so wie der Greifer sich an das zu greifende Objekt anschmiegt. "Wenn Sie sich in der Natur umsehen, stellen Sie fest, dass alle Lebewesen weich und flexibel sind. Sie können sehr viel mehr tun als Roboter mit harten, steifen Materialien", sagt Lipson. "Man kann einen Teil der Aufgabe allein auf das Material verlagern." So wie bei seinem Greifer: Es ist keine komplizierte Software notwendig, um zunächst die Form des zu greifenden Gegenstandes zu ermitteln, damit dann die Roboterhand dazu passend anzugesteuert werden kann.

Wie das praktisch funktioniert, demonstriert beispielsweise auch der "bionische Handling Assistent" der Esslinger Firma Festo. Der pneumatisch betriebene Greifarm, einem Elefantenrüssel nachempfunden, besitzt an seiner Spitze ebenfalls eine weiche, dreifingrige Hand. Sie passt sich ähnlich perfekt wie das natürliche Vorbild an den zu greifenden Gegenstand an. Für das Design wurde das Unternehmen 2010 mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet.

Dass man auch ohne finanzstarke Unternehmen im Rücken solche Roboter bauen kann, zeigt Matthew Borgatti. Der Designer mit den grünen Haaren präsentierte auf dem Hackerkongress 29C3 in Hamburg unter der Überschrift "Drucke deinen eigenen Roboter aus" einen Silikon-Tentakel: Er kann sich ausstrecken und aufrollen, drehen und tasten wie der Arm einer echten Krake – und lässt sich dabei ganz simpel über den Luftdruck in vier Kammern steuern. Sein neuestes Projekt ist ein Vierfüßer, der sich wie ein Gecko bewegt. Borgattis Vision: Eine aktive Online-Community entwickelt Gussformen, die jeder auf einem 3D-Drucker produzieren kann. Die eigentlichen Roboterteile werden dann aus Silikon in diesen Formen gegossen.

Auch Lipson ist überzeugt, dass die Verbreitung von 3D-Druckern die Entwicklung von amorphen Robotern entscheidend vorantreiben wird. Das Ziel seien Roboter, die mehr Amöben ähneln als Maschinen, die beliebig wachsen oder schrumpfen, dicker oder dünner werden, sich zu Kugeln zusammenrollen oder Tentakel ausstrecken können. "Mit solchen Maschinen", ist Lipson überzeugt, "kann man Dinge tun, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können."

Damit aus den Visionen Wirklichkeit wird, benötigen Lipson und seine Mitstreiter allerdings "programmierbare Materie". So nennen sie Materialien, deren physikalische Eigenschaften sich gezielt verändern lassen – und deren Veränderungen wieder rückgängig zu machen sind. Sie gibt es bisher zwar noch nicht. Aber die technischen Grundlagen dafür sind gelegt, ist Lipson überzeugt.

Mit solchen Formgedächtnis-Kunststoffen experimentieren Forschergruppen bereits weltweit – daneben aber auch mit anderen Methoden wie Phasenwechsel-Materialien, elektronischen Mikromaschinen und Nano-Kompositen. Phasenwechsel-Materialien zum Beispiel verändern ihren Zustand von fest zu flüssig und umgekehrt, wenn man ein Magnetfeld an sie anlegt. Mikromaschinen ermöglichen die Integration von Sensoren und Motoren in ein Material, und Nano-Komposite können für den Bau künstlicher Muskeln verwendet werden, die sich elektronisch gesteuert zusammenziehen oder ausdehnen.