Welchen Einfluss hat die Offshore-Windkraft auf Ökosysteme und das Klima?

Seite 5: Das SF₆-Problem – doch nicht ganz sauber?

Inhaltsverzeichnis

Neben den Einwirkungen durch Lärm, Veränderungen des Bodens und den anhaltenden Service-Arbeiten in den Windparks, wurde zuletzt ein weiteres Umwelt- und Klima-Problem angesprochen, das von der Energieversorgung durch Windkraftanlagen ausgehen kann.

In einem Bericht des Magazins PlusMinus wurde in diesem Sommer darauf aufmerksam gemacht, dass die Europäische Union noch immer den Einsatz des äußerst klimapotenten Gases SF₆ (Schwefelhexafluorid ) erlaubt – auch in Windkraftanlagen. Das Gas wird normalerweise zur Isolierung von Schaltanlagen genutzt, wo etwa die normale Umgebungsluft das nicht mehr leisten kann. Durch das Gas können Anlagen verkleinert, auch sollen mit SF₆ Bränden vorgebeugt und sie gelöscht werden. Es wird also in etlichen Schaltanlagen bundesweit eingesetzt, ist aber auch in Windkraftanlagen vorhanden. In der Halbleiterindustrie wird es etwa noch als Ätzgas genutzt und es war insbesondere in Schallschutzfenstern lange im Einsatz. Heute ist es auch noch für die Herstellung von optischen Glasfasern im Gebrauch.

Entweicht ein Kilo SF₆, ist das genauso wirksam wie circa 26.000 Kilogramm CO₂. Dementsprechend wird es im fünften IPCC-Bericht als das stärkste bekannte Treibhausgas eingestuft. Es verbleibt rund 3200 Jahre in der Atmosphäre.

Wie das Statistische Bundesamt in diesem Sommer erklärte, haben deutsche Unternehmen im Jahr 2021 insgesamt 743,2 Tonnen dieses Stoffs bezogen, das waren 10 Tonnen mehr als im Jahr 2020 (plus 1,4 Prozent). Die bezogene Menge SF₆ entspricht 17,5 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten. Zu 67 Prozent wurde diese Menge in der Elektroindustrie und im Apparatebau eingesetzt. 49,5 Tonnen gingen unter anderem an die Hersteller von optischen Glasfaserkabeln. Gegenüber 2020 gab es hier einen Zuwachs von 16 Prozent.

Das auch sehr potente Treibhausgas NF₃ mit einem sehr hohen GWP-Wert (Global-Warming-Potential) von 16.100 baut sich ebenso sehr langsam in der Atmosphäre ab. Im Jahr 2021 wurden laut Bundesamt insgesamt 63,4 Tonnen NF₃ an die deutsche Wirtschaft abgegeben, das entspricht rund 1,0 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten. Das bedeutete einen Rückgang gegenüber 2020 von 2,4 Prozent. Auch NF₃ werde vor allem in der Halbleiterindustrie zum Ätzen oder Reinigen der Beschichtungskammern eingesetzt, etwa bei der Herstellung von Flachbildschirmen.

(Bild: DeStatis)

Wie das Statistische Bundesamt weiter ausführt, seien diese Mengen nicht als freigesetzte Emissionsmengen zu verstehen. Das Gas werde zu großen Teilen innerhalb geschlossener Systeme verwendet und "damit (vorerst) nicht freigesetzt". Direkt freigesetzt wurden nach Berechnungen des Umweltbundesamtes innerhalb der nationalen Treibhausgas-Berichterstattung 3 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente SF₆. Dies habe einem Anteil von 0,4 Prozent an den gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland in Höhe von rund 728,7 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten im Jahr 2020 bedeutet. NF₃ hingegen wurde nach dieser Berechnung in sehr geringem Maß tatsächlich freigesetzt, nämlich nur in einer Menge von 0,01 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten.

Die statistische Erhebung erfolgte bei Unternehmen, die Schwefelhexafluorid beziehungsweise Stickstofftrifluorid herstellen, importieren, exportieren oder in Mengen von mehr als 200 Kilogramm im Inland abgeben. Das trotzdem nicht alles erfasst wird und die Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind, macht ein anderer Bericht des Umweltbundesamtes klar.

Laut Mitarbeitern von WindMW ist SF₆ auch in ihren Anlagen und auch der Umspannstation zu finden, allerdings gesichert. Bisher habe es keine Vorfälle aufgrund des Gases gegeben. Im normalen Betrieb könne das Gas kaum entweichen, allerdings muss während Umbaumaßnahmen oder des Recyclings genau auf die Sicherung des Gases geachtet werden. Hierzu hat die EU auch strenge Vorgaben gemacht. Neuere Windkrafträder von Siemens Gamesa benötigen das Gas auch nicht mehr.

In Deutschland hat man zur Reduktion des SF₆-Einsatzes bisher auf eine Selbstverpflichtung der Industrie gesetzt. Das Umweltbundesamt ist aber der Auffassung, dass es mittlerweile ausreichend Alternativen für SF₆ in neuen Mittel- und Hochspannungsschaltanlagen gibt oder in naher Zukunft geben wird. Das Umweltbundesamt setze sich deshalb, im Rahmen der Überprüfung des Anhangs III der Verordnung (EU) 517/2014, für ein Verbot von SF₆ in neuen Schaltanlagen für alle Spannungsebenen mit einer "angemessenen Übergangszeit" ein. Was hier "angemessen" genannt werden kann, dürfte wieder eine Streitfrage sein.

Ein Ecofys-Bericht aus dem Jahr 2018, der im Auftrag des Umweltbundesamts verfasst wurde, stellte fest:

"Die höchsten SF6-Emissionen in der Verteilung und Übertragung elektrischer Energie sind Emissionen in der Herstellung "sonstiger Betriebsmittel" sowie Betriebsemissionen von Hochspannungsschaltanlagen. Die Bestandsemissionen der Hochspannung (>52 kV) übersteigen die Emissionen der Mittelspannung um ein Vielfaches, obwohl in der Mittelspannung mehr SF6 installiert ist. Die Emissionen während der Herstellung sind ebenfalls hoch. Die hohen gemeldeten Emissionen in der Herstellung "sonstiger Betriebsmittel" (z. B. Messwandler, Durchführungen und Kondensatoren) sind nicht bis ins Detail nachvollziehbar. Eine genaue Analyse und Validierung der gemeldeten Zahlen erfolgt derzeit durch die Verbände und den Arbeitskreis SF6."

In der Mittelspannung gäbe es laut dem Bericht ausgereifte Alternativen zu SF₆. In der Hoch- und Höchstspannung sei die Auswahl technisch praktikabler Alternativen begrenzter.

Der Bericht geht davon aus, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie zu einer "signifikanten Reduzierung" der SF₆-Emissionen geführt haben, das Magazin PlusMinus erklärte allerdings, dass seitens der Bundesrepublik Deutschland kein richtiges Monitoring durchgeführt wird. Das gibt der Ecofys-Bericht für das Umweltbundesamt auch indirekt zu, indem klar gemacht wird, dass etwa im Bereich "sonstige elektrische Betriebsmittel" nicht genug Wissen vorhanden ist.

"Der Ursprung der hohen absoluten Emissionen bei der Herstellung von "sonstigen elektrischen Betriebsmitteln" ist nicht hinreichend geklärt. Die bestehende Berichterstattung erlaubt es nicht, die genauen Quellen dieser Emissionen zu identifizieren und lässt darüber hinaus keinen Rückschluss auf die Art des Betriebsmittels zu. Die technische Machbarkeit von Alternativen oder Emissionsreduktionen bleibt damit vorläufig unklar."

Im Bereich Mittelspannung sieht es ähnlich aus: "Das tatsächliche Reduktionspotential ist aufgrund des Modellansatzes im Rahmen des aktuellen Monitorings nicht verlässlich quantifizierbar."

Und auch im Bereich Entsorgung und Recycling zeigt sich, dass man quasi nicht viel weiß und dadurch auch kaum gut überprüfen kann, wie SF₆ tatsächlich in der Industrie gehandhabt wird:

"Die ersten großen Chargen von SF6-haltigen Betriebsmitteln erreichen zeitnah das Ende der technischen Lebensdauer. Daher werden Stilllegung und Entsorgung in naher Zukunft für die Emissionskontrolle relevant werden. Es bestehen allgemeine Verpflichtungen für die ordnungsgemäße Rückgewinnung von Gasen am Ende der Lebensdauer. Diese sind auch Teil der freiwilligen Selbstverpflichtungen der Industrie. Angesichts der stark verstreuten Betriebsmittel und der nicht registrierten Zuordnung von Betriebsmitteln und Akteuren bleibt abzuwarten, ob die Prozesse von allen Beteiligten mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt werden."

Um das Problem zu lösen, wird im Ecofys-Bericht auf klare Leitlinien der Politik gedrungen, wie man es auch schon aus der generellen Klimapolitik kennt.

"Wir empfehlen die Festlegung klarer politischer Ziele für die weitere Reduktion des SF6-Einsatzes und der damit verbundenen Emissionen. Ohne klare politische Zielstellung werden weitere Reduktionen der SF6- Emissionen durch die Industrie hinter den Möglichkeiten zurückbleiben."

Möchten die Bundesrepublik Deutschland und die EU das Gas also langfristig aus Schaltanlagen ausschließen, – auch in Windrädern – , muss sie tatsächlich bald eine Entscheidung treffen und auch ein adäquates Monitoring installieren. Laut aktuellen Entwürfen sind aber noch Übergangsfristen von 2026 bis zum Jahr 2030 im Gespräch. Warum der Bericht von PlusMinus sich nur auf Windkraftanlagen konzentriert hat, statt auf das generelle Problem in Schaltanlagen einzugehen, wurde teils heiß diskutiert. Vielleicht hat es auch mit dem Gedanken etwas zu tun, der am Anfang dieses Textes genannt wurde: "In der Vergangenheit haben wir es nicht gut gemacht, nicht besser gewusst – in der Zukunft möchten wir es besser machen."


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(kbe)