Wie die Elbphilharmonie und Hamburger Clubs ihre Konzerte ins Netz streamen

Seite 3: Moderatoren und Regisseure

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Für eine professionelle Übertragung reicht das aber nicht. Deshalb beschäftigt der Liveclub Knust, der als erster Hamburger Club gestreamt hat, seit Neustem einen Streaming-Experten. Darüber hinaus sollten Streaming-unerfahrene Künstler im Knust zunächst ein Kameratraining absolvieren, bei dem sie lernen, die Intensität ihrer Mimik und Gestik an Close-ups der Kameras anzupassen. Dirk Matzke, Booker des Knust, hat außerdem gute Erfahrungen damit gemacht, den ohne Publikum vor Ort auftretenden Bands einen Moderator an die Seite zu stellen. Dieser interagiert mit den Musikern zwischen den Stücken und leitet Rückmeldungen vom Online-Publikum aus dem Chat weiter.

Das Hamburger Knust stellt den Bands zusätzliche Moderatoren zur Seite, die mit dem Online-Publikum chatten. Gestreamt wird auf backonstage.tv.

(Bild: Photostudio Ottensen, Hamburg)

Besonders wichtig ist ein auf Musikvideos spezialisierter Regisseur. Damit er live schnell die richtigen Bilder der Kameras auswählt und Zusatzinformationen einblendet, sollte er die Band und die Stücke gut kennen.

Die Elbphilharmonie überlässt dabei nichts dem Zufall: Ein Team aus elf Fachkräften beginnt etwa zehn Wochen vor einer Aufführung mit der Planung. Vierzehn Tage vor dem Stream beginnt die heiße Phase. Spätestens jetzt erfährt die Regie, wo das Orchester sitzt und an welchen Orten im Saal Solisten auftreten. Nun wird unter anderem festgelegt, wo welche Kamera steht, ob sie ferngesteuert oder bemannt eingesetzt wird und welche Grafiken oder Bauchbinden eingebunden werden sollen.

Eine klassische Konzertaufnahme hat durchschnittlich 1200 Schnitte. Alle Beteiligten erhalten vom Regisseur ein Schnittbuch genanntes Skript, nach dem sie am Auftrittstag arbeiten. Am Bild-Ingenieursplatz wird das Material aus den Kameras unter anderem mit Blenden und Color Matching angeglichen, sodass alle Bilder einheitlich wirken. Am sogenannten Playout, einem Grafik- und Systemtechnikplatz, werden Texte und Logos eingebunden, Signale aufgezeichnet, geroutet und in die Encoder geschickt. Die Einarbeitung an einem dieser Arbeitsplätze kann schon mal ein Dreivierteljahr dauern.

Dass sich dieser hohe Aufwand bei der Elbphilharmonie lohnt, zeigen die Zugriffszahlen: Beim Eröffnungs-Stream waren es insgesamt 873.856, bei anderen Konzerten sind es durchschnittlich 80.000. Die Zuschauer kommen aus allen Ecken der Welt und tauschen sich im Chat über die Aufführungen aus. Die Elbphilharmonie beschäftigt in ihrer Social-Media-Abteilung inzwischen zwei Expertinnen, die die Nutzer auf Facebook und YouTube betreuen. Die Zahl der regelmäßig hereinschauenden Abonnenten unterscheidet sich auf den Plattformen deutlich: Bei YouTube sind es 27.500, auf Facebook über 246.000.

Seit August streamt die Elbphilharmonie kostenlos komplette Konzerte vor leeren Rängen über YouTube und Facebook.

Pressesprecher Tom Schulz ist sich aber noch nicht sicher, ob sich aus den Streams der Elbphilharmonie künftig ein neues Geschäftsmodell entwickelt. Man wolle dies weiter beobachten und freue sich über das große internationale Interesse der Zuschauer.

Die Clubs kochen derweil auf kleinerer, intimerer Flamme: Das Knust begrüßte bei seinen ersten Streams auf dringeblieben.de im Frühjahr 2020 gerade mal 150 Online-Besucher. Mittlerweile können es bei einem Konzert von Bernd Begemann oder zur Silvesterparty an die 1000 Online-Gäste werden. Das Publikum kennt sich oft persönlich und ist in der Punkrockszene aktiv. Wenn eine befreundete Band bei einer Auswärtsprobe erstmalig ihre neuen Songs öffentlich spielt, fiebern die Fans online mit.

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Dabei wird es immer wichtiger, dass die Künstler mit ihrem Publikum online interagieren. Beim Format "Back on Stage“ ist der Moderator gleichzeitig im Chat aktiv und trägt Wünsche des Publikums an die Bands heran. Das Publikum bedankt sich mit dem Kauf eines virtuellen Biers oder der Bestellung einer ganzen "Saalrunde“. Die Einnahmen daraus teilt der Club mit den auftretenden Künstlern.

Dirk Matzke vom Knust sieht seine Aufgabe darin, den Stream nicht als Konzert, sondern als Show mit einer guten Portion Storytelling aufzubauen und das Publikum mitzunehmen. Mancher Konzertabend werde zu einer gelungenen Comedyshow. Matzke erwägt aktuell die Möglichkeiten eines zusätzlichen Streams auf micdrops.de. Dort können bis zu 50 Teilnehmende gegen ein entsprechendes Eintrittsgeld ihre Stars ganz exklusiv erleben, zum Beispiel vor dem Konzert bei einem Meet and Greet oder nach dem Auftritt bei einer virtuellen After-Show-Party. Matzke sieht das Streamen als eine tolle Erweiterung seines Clubs und freut sich auf die Zeit nach Corona: "Ausverkaufte Konzerte gehören ab jetzt der Vergangenheit an – gibt’s keine Clubtickets mehr, streamen wir einfach!"

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(hag)