Assange-Freilassung: In der Sache leider gescheitert​

Julian Assange kommt wohl frei. Das ist eine gute Nachricht. Zum Heiligen taugt der Australier jedoch nicht – den Preis für seine Popularität zahlten andere.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 290 Kommentare lesen
Julian Assanges Gesicht mit "Kommentar"-Schriftzug

(Bild: Katherine Da Silva/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Falk Steiner

Die Nachricht von der Einigung zwischen Assange und den US-Justizbehörden kommt rechtzeitig zum US-Wahlkampf. Sie bedeutet das vorläufige Ende einer langen Auseinandersetzung darum, wie viel Falsches auf dem Weg zum Richtigen möglich sein muss. Der Wikileaks-Gründer, dessen eigentliches Wirken kurz war und der langsam in Vergessenheit geriet, wird frei sein. Von seinem Wirken aber bleibt wenig.

Wikileaks hat Dinge ans Licht befördert, die an die Öffentlichkeit gehörten – und solche, die dort nicht hingehörten. Wikileaks hatte zeitweise einen radikalen Anspruch an die Informationsfreiheit: Macht müsse mit notfalls erzwungener Transparenz zurechtgestutzt werden. Gerne wird an die großen Fälle erinnert, etwa an das Collateral Murder-Video von 2010, die Leaks zu Guantánamo oder anderes Fehlverhalten, vor allem der USA, das Wikileaks anprangerte. Ja, Journalismus ist kein Verbrechen. Und kann es auch nicht sein. Doch Wikileaks hat massive Fehler gemacht. Denn die berühmten Leaks waren nur ein Teil dessen, was Wikileaks publizierte. Zeitweise setzte die Plattform auf Masse, ohne selbst ausreichend auf Kollateralschäden zu achten, den Wahrheitsgehalt zu prüfen oder wenigstens auf Plausibilität zu achten. Und es waren viele Dokumente darunter, die vor allem für Dritte gefährlich waren – nicht für die Mächtigen, nicht für Assange oder die Wikileaks-Anhänger.

Ein Kommentar von Falk Steiner

Falk Steiner ist Journalist in Berlin. Er ist als Autor für heise online, Tageszeitungen, Fachnewsletter sowie Magazine tätig und berichtet unter anderem über die Digitalpolitik im Bund und der EU.

Julian Assange ist, so hart muss man es feststellen, in der Sache gescheitert. Ganz persönlich, aber vor allem mit seiner Mission, die ihn berühmt gemacht hat. Wikileaks sollte die geheimsten Geheimnisse der Welt verbreiten können. Und doch fehlte eine, vielleicht die entscheidende Komponente: Wenigstens diejenigen schützen zu können, auf die Wikileaks angewiesen ist – die Whistleblower. Der Ex-CIA-Softwarespezialist Joshua Schulte etwa, oder Chelsea Manning. Manning ist zwar inzwischen frei, Schulte aber, der Wikileaks mit Informationen zu den Hackingfähigkeiten der CIA alias Vault 7 versorgte, wird wohl für die kommenden 35 Jahre in Haft bleiben müssen. Und Edward Snowden, der offenkundig von Assange inspiriert war, sitzt – solange es Wladimir Putin gefällt – in Russland fest.

Dass Assange nun nach mehr als einem Jahrzehnt eine Lösung für sich mit der Biden-US-Regierung aushandeln konnte, ist gut für ihn. So lange hat Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London und Hochsicherheitsgefängnissen des Vereinigten Königreichs verbracht und dabei offenkundig gelitten. Trotz aller Bemühungen von Aktivisten wurde das Auslieferungsverfahren seitens der USA immer weiter betrieben, nachdem die ursprüngliche Inhaftierung aufgrund eines schwedischen Haftbefehls entfallen war, der von Assange-Freunden mit einigem Grund als willkürlich betrachtet wurde.

Auch die USA haben sich im Umgang mit Assange selbst keinen Gefallen getan, indem sie nahezu alle Register im Kampf gegen den Australier zogen. Und dabei alles andere als sauber spielten. Assange allerdings hatte die Auseinandersetzung von Beginn an selbst zum Kräftemessen erhoben, zum Kampf "Informationsfreiheit vs. USA". Er, der zu jener Zeit fast als Popstar durch die Lande zog, hat dabei sich und seine Kraft überschätzt. Nicht zuletzt seine eigene Strahlkraft und die von Wikileaks. Und doch war die immer noch laufende Verfolgung am Ende für die USA vor allem eines: lästig. US-Präsident Joe Biden musste dieses Thema irgendwie von der Agenda bekommen, kurz vor dem ersten Fernsehduell mit Donald Trump bei CNN am Donnerstag, und das hat offenbar geklappt.

Freizukommen ist für Julian Assange persönlich gut – und für den Rest der Welt im Kern egal. Die Plattform Wikileaks spielt so gut wie keine Rolle mehr. Für die jüngere Generation der Internetnutzer ist sie nur noch eine Anekdote der relativen Internet-Steinzeit. Wenn jetzt einige hoffen, dass Wikileaks zu der (kurzen) alten Bedeutung zurückfinden könnte, ist das verfrüht. Keines der Probleme, das den Betrieb störte, ist gelöst. Weder der Whistleblower-Schutz noch die Kollateralschadensvermeidung noch der menschliche Faktor. Die Teams rund um die Plattform haben sich immer wieder zerstritten, Assanges persönliche Eitelkeiten spielten in der Frühzeit dabei eine große Rolle. Dass sich das nach dessen Freilassung bessern könnte, dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

Die Idee einer zentralen Stelle für Wahrheitspublikation war immer problematisch, und mit Julian Assange als Person an der Spitze der Organisation erst recht. Über Wikileaks und die Nachahmer ist die Zeit hinweggegangen. Heute werden Informationen über anonyme Social-Media-Kanäle verbreitet oder direkt Medien zugespielt, die zumindest technisch etwas aufgerüstet haben. Hier hat sich etwas durch Assange in Bewegung gesetzt, wofür man ihm und seinen Mitstreitern dankbar sein kann.

Für Julian Assange persönlich darf man sich freuen, dass er nun endlich einen Weg gefunden hat, den Rest seines Lebens in Freiheit verbringen zu können, auch wenn es dafür einen Deal mit der US-Regierung brauchte. Es war die letzte Ausfahrt vor dem Vergessenwerden für den inzwischen fast 53-jährigen Familienvater.

(dahe)