Duolingo vs. Babbel: Was die eine Sprachlern-App besser macht als die andere

Es ist eine große Kunst, User von Lernapps bei der Stange zu halten. Manche Anbieter beherrschen diese Kunst virtuos – und vergessen das eigentliche Ziel.

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(Bild: Sulastri Sulastri/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

Seit drei Jahren lerne ich Niederländisch mit der Duolingo-App. Meine Erfolge können sich sehen lassen: Ich habe einen 550-Tage-Streak, insgesamt 63 002 XP gesammelt, bin seit 57 Wochen in der Diamond League, habe in sechs Achievements das höchste Level erreicht und kann für jeden Monat seit August 2021 eine lückenlose Sammlung an Badges vorweisen.

Leider kann ich immer noch kein Niederländisch. Beim letzten Urlaub kam ich kaum über eine gestotterte Essensbestellung hinaus. Sprachen lernt man vor allem durch Sprechen, schon klar. Ich habe auch nie ernsthaft erwartet, allein durch eine App irgendwann flüssig parlieren zu können. Trotzdem: So grottig hatte ich mir das digitale Lernen nicht vorgestellt.

Wirklich virtuos funktioniert bei Duolingo vor allem das "Nudging", und zwar nach dem Schrotflinten-Prinzip: Alle erdenklichen Elemente der Gamification werden gleichzeitig auf die User losgelassen – irgendetwas wird schon treffen. Sozial beflissene Menschen können Freunde einladen, wettbewerbsorientierte an Challenges teilnehmen, prestigesüchtige ihren Avatar aufbrezeln, Sammlernaturen Auszeichnungen anhäufen. Und pausenlos wird man für die trivialsten Dinge gelobt, mechanisch und völlig undifferenziert – wahrscheinlich, weil irgendein Entwickler in einem Motivationshandbuch etwas über "positive Verstärkung" gelesen hat.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Das Ärgerlichste an diesem Ansatz: Er funktioniert. Irgendwo hat eben jeder seinen weichen Fleck. Auch ich. Das ganze Punktesammeln ist mir eigentlich ziemlich wurscht. Aber aus einer einmal erreichten Liga absteigen? Niemals!

Dass mich die kleinen, billigen, stets zwischendurch schnell erklickbaren Erfolgserlebnisse tatsächlich angefixt hatten, musste ich mir eingestehen, nachdem ich für ein halbes Jahr zum Konkurrenten Babbel gewechselt hatte. Babbel ist so etwas wie Duolingo für Erwachsene. Man merkt der App an, dass dort Leute mit einem sprachpädagogischen Konzept und Liebe zum Detail involviert sind.

Es gibt lebensnahe Dialoge oder Erklärungen zu Kultur, Sitten und Gebräuchen. Und Babbel schreckt auch nicht vor Grammatik zurück. Bei Duolingo muss man sich alle Regeln selbst erschließen, erklärt werden sie nie. Dabei wäre die eine oder andere Erläuterung oder Eselsbrücke durchaus hilfreich. Wann zum Beispiel welche Adjektive flektiert werden, habe ich trotz unzähliger Beispielsätze bei Duolingo immer noch nicht begriffen.

Dieser Text stammt aus MIT Technology Review 6/2023

ChatGPT und Co. stellen infrage, inwiefern die klassische Wissensvermittlung im Klassenzimmer noch sinnvoll ist, wenn eine KI in Zukunft nahezu alles Wissen der Welt innerhalb von Sekunden in geforderter Form liefert. Wie kann Schule darauf reagieren? Dieser Frage geht die neue Ausgabe von MIT Technology Review nach. Highlights aus dem Heft:

Dahinter mag eine didaktische Philosophie stecken, aber ich bezweifle das. Es macht halt viel weniger Arbeit, den einmal erstellten Fundus an Beispielsätzen immer wieder auszuspielen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Duolingo-App selbst nur begrenzt lernfähig ist. Ständig ist zwar von "personalisierten Übungen" die Rede, aber was genau daran personalisiert sein soll, erschließt sich mir nicht.

Auch der begriffsstutzigste Algorithmus hätte eigentlich merken müssen, dass ich zum Beispiel gewisse Probleme mit den verschiedenen Demonstrativ-Pronomen ("dit", "dat", "deze") habe. Doch statt gezielt an dieser Schwäche zu arbeiten, legt mir die App immer wieder eine wahllose Mischung aus Übungen vor, die ich schon tausend Mal richtig beantwortet habe. Würden die Duolingo-Macher nur einen Bruchteil ihrer Nudging-Begeisterung für wirklich individualisiertes Lernen aufbringen, sollte so etwas nicht vorkommen.

Trotz all dieser Nervfaktoren bin ich nach einem halben Jahr Babbel wieder zurück zu Duolingo gewechselt. Mir fehlte irgendwann einfach die regelmäßige Infusion an mentalen Streicheleinheiten. Es ist wie mit Kartoffelchips: Das Wissen darum, dass es auch gesündere Lebensmittel gibt, führt nicht automatisch dazu, die Finger aus der Tüte zu lassen. Nudging, du hast gewonnen.

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(grh)