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Kleinanzeigen.de schmeißt Nutzer bereits vor dem ersten Einloggen raus

Die Anti-Fraud-KI der Anzeigen-Plattform agiert eisenhart: Sie sperrt harmlose Neu-User auch schon mal nach der SMS-Verifizierung, weiß Ben Schwan zu berichten.

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Tisch eines Flohmarkts; Tand; darunter ein Stoß Schilder "Garage Sale"

Analog ist besser: Garagenverkauf in Nordamerika.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

In Berlin gibt es am Hauptbahnhof jetzt ein schönes großes Werbeschild für die Plattform Kleinanzeigen.de. Es befindet sich genau an der Stelle, wo einst der Rundfunk Berlin Brandenburg mit dem Slogan "Bloß nicht langweilen" warb. Langweilen muss sich unter Umständen auch nicht, wer sich bei dem einst zu eBay gehörenden, größten Online-Kleinanzeigenportal Deutschlands anmelden möchte. Denn die Anti-Fraud-Maßnahmen des Anbieters sind unter Umständen gnadenlos, ohne dass es eine konsistent funktionierende Beschwerdemöglichkeit gäbe. Bei einer derartigen Marktmacht wird das für Betroffene potenziell sehr ungemütlich.

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Das Internet ist voll von heißen IT-News und abgestandenem Pr0n. Dazwischen finden sich auch immer wieder Perlen, die zu schade sind für /dev/null.

Genau das passierte auch mir. Ich hatte Kleinanzeigen.de lange gemieden, da der Dienst – zumindest in Großstädten – ein eher raubeiniges Image hat. Dennoch wollte ich eines Tages wegen eines dringenden Verkaufs eines nicht stornierbaren Sportkurses, der über nebenan.de keine Ersatzperson fand, den Marktführer nutzen. Wie sich herausstellte, funktionierte mein alter eBay-Kleinanzeigen-Account nicht mehr, was mich verwirrte, schließlich dachte ich, der Kleinanzeigen.de-Käufer Adevinta aus Norwegen habe den Dienst auch wegen seiner zahllosen Nutzer übernommen. Wurde vielleicht zu selten genutzt, mein Account.

Sei's drum, lege ich eben einen neuen Zugang an. Wie so viele andere auf ihre Privatsphäre bedachte Nutzer verwende ich im Browser Safari standardmäßig Apples iCloud Private Relay. Als E-Mail-Anbieter nahm ich Apples Hide-my-E-Mail-Dienst – ebenfalls Teil von iCloud, dieser leitet E-Mails weiter, bietet abschaltbare Adressen. Das ist sinnvoll, wenn man verhindern will, Mailinglisten nicht loszuwerden oder Spam vermeiden möchte. Nach Eingabe dieser Daten gab ich auch noch meine Mobilfunknummer durch und verifizierte sowohl diese als auch die E-Mail-Adresse.

Dann wollte ich mich auch schon einloggen, um besagten Sportkurs anzubieten. Doch was war das? Der Account war sofort gesperrt. Ich konnte mich nicht einmal erstmalig einloggen. Stattdessen kam in der gleichen Minute, in der die Verifizierungsbotschaft eintrudelte, eine E-Mail, ich sei gemäß Paragraf 6 der Nutzungsbedingungen gesperrt worden. "Da wir auffällige bzw. untypische Aktivitäten in Deinem Nutzerkonto feststellen mussten" – und zwar ohne jegliche Aktivität in selbigem. "Diese Maßnahme wurde durch unser automatisiertes Kontrollsystem und eine potenzielle Prüfung durch einen Moderator durchgeführt." (Das war aber ein schneller Moderator!) "Du kannst daher nicht mehr auf unsere Plattform zugreifen." (Wieso nicht mehr? Ich war ja nie drin.) "Bei Kleinanzeigen[.de] verpflichten wir uns, ein sicheres Umfeld für alle unsere Nutzer zu fördern." (Ich fühle mich gleich viel sicherer, wenn ich Kleinanzeigen.de nicht nutzen darf.)

Da ich ein neugieriger Mensch bin, verfasste ich sogleich eine Antwort auf das Sperrschreiben, um, lt. Kleinanzeigen.de, "gemäß § 7 Nr. 4 unserer Nutzungsbedingungen binnen sechs Monaten ab Erhalt dieser Nachricht über unser internes Beschwerdemanagementsystem Beschwerde" einzureichen. In einer nicht ganz freundlich formulierten E-Mail fragte ich nach, wie es denn zu dem Vorfall komme: "Der Account wurde sofort nach Aktivierung (!) gesperrt. Keine Ahnung, was bei Ihrem Laden abgeht und was an einer normalen Erstanlegung eines Accounts auffällig sein soll. Vielleicht mal die KI nachtrainieren?" Ich gebe zu, ich hätte netter sein können, aber meine Verwandtschaft saß mir schon wegen des Sportkurses im Nacken, die Uhr tickte. "Du kriegst es nicht einmal hin, Kleinanzeigen.de zu bedienen?", hörte ich sie innerlich schon rufen.

Eine Antwort auf meine Beschwerde kam allerdings erst nach zwei Tagen. Wirklich erquicklich war auch diese nicht. "Die Anmeldung über Ihr Nutzerkonto ist nicht mehr möglich." (Aha, das weiß ich.) "Diese Entscheidung ist endgültig und wir bitten Sie daher, Abstand von unserem Marktplatz zu nehmen." (Sehr freundlich und etwas blöd, aufgrund der Marktmacht.) "Weitere Anfragen Ihrerseits werden wir gern zur Kenntnis nehmen, jedoch nicht mehr beantworten." (Talk to the hand.) Man wünschte mir "dennoch alles Gute" und grüßte viel vom Kleinanzeigen[.de]-Team, gezeichnet Chloe D.

Nun hätte ich mir natürlich die Mühe machen können, ein selten verwendetes Gmail-Konto auszugraben, um einen neuen Versuch zu starten, doch noch an einen Kleinanzeigen.de-Zugang zu gelangen. Allerdings wäre ich dann vermutlich erneut gegen eine Wand gelaufen, denn meine Mobilfunknummer gehörte ja nun ganz eindeutig zu einem fiesen, von der Plattform gesperrten Account. Soll ich jetzt vielleicht eine neue SIM bestellen und allen meinen Kontakten eine neue Telefonnummer mitteilen, um an dem Kleinanzeigenmarkt teilnehmen zu dürfen?

Doch wie kommt es überhaupt zu solchen Vorfällen? Was denkt sich das Anti-Fraud-System des Marktgiganten Kleinanzeigen.de dabei? Und wieso reagiert der (offenbar menschliche, vielleicht bin ich aber auch naiv) Service so pampig auf sinnhafte Beschwerden? War es wirklich iCloud Private Relay und/oder Apples offenbar doppelplusböses Hide-my-E-Mail, das tagtäglich vermutlich Hunderttausende bis Millionen Menschen nutzen? Mag Kleinanzeigen.de vielleicht meinen selbstgebastelten Safari-Werbeblocker nicht? Aber auch so einen setzt doch mittlerweile fast jeder ein.

Fragen über Fragen, die ich in Teilen auch dem Kleinanzeigen.de-Pressesprecher gestellt habe. Dessen Antwort trudelte dann einen Tag später ein, landete aber zunächst – die Rache des Entnervten – im heise.de-Spamfilter. Unter der Kennzeichnung "Threat" (Gefahr), die ich erst mithilfe unseres Admins freischalten konnte, welch Ironie. "Ihr Nutzerverhalten ist insofern auffällig, als dass es nicht dem üblichen Muster entspricht", schrieb der Sprecher. "Allerdings sollte das allein meines Erachtens nicht dazu führen, dass Sie gesperrt werden." Ich solle doch bitte angeben, welche E-Mail-Adresse ich verwendet habe, damit man sich die Sache näher ansehen kann – ein Service, der stinknormalen Nutzern sicherlich nicht so leicht offen steht. Er selbst zähle übrigens auch zu den Menschen, die "entsprechende Systemfunktionen" (wie iCloud Private Relay und Hide-my-E-Mail) nutzen. Aber der Kollege hat ja vermutlich längst einen Account bei seinem Arbeitgeber und läuft nicht in die Sperrfalle rein.

Auf eine weitere Nachfrage hin bestätigte mir der Kleinanzeigen.de-Sprecher, dass mit einem gesperrten E-Mail-Konto auch die Telefonnummer blockiert wird. "In der Regel sperren wir mit einem Nutzerkonto auch die verifizierte Rufnummer, um eine erneute Registrierung zu verhindern." Letztlich habe die Kombination der Informationen, die ich bei meiner Registrierung übermittelt hätte – "darunter auch Informationen wie IP-Adresse, Standort etc." – zu der Sperre geführt. "Wir prüfen an verschiedenen Stellen anhand einer Vielzahl von Kriterien, ob betrügerisches Verhalten oder eine widerrechtliche Neuanmeldung vorliegen könnte. Aus der Summe der Informationen bilden wir ein Profil." Dabei scheine ich sehr speziell gewesen zu sein: Denn: "Je ungewöhnlicher das auf diese Weise erstellte 'Profil' ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Registrierung bzw. anschließende Nutzung von Kleinanzeigen[.de] unterbinden." Immerhin räumte der Sprecher ein: Nicht immer liegt das System dabei richtig.

Deshalb habe man eigentlich eine weitere Kontrollschleife, eine manuelle Prüfung durch Mitarbeiter, die aber offenbar erst nach Beschwerde losgetreten wird. "Ihre E-Mail hätte diese Prüfung anstoßen und dafür sorgen sollen, dass die Entscheidung überprüft wird. In der Regel funktioniert dieses Korrektiv." Leider hätten die Kollegen im vorliegenden Fall versäumt, die Umstände, die zu der Sperre geführt haben, eingehend zu prüfen. "Mit anderen Worten: Wir haben es uns zu leicht gemacht." Man entschuldige sich dafür. "Wir arbeiten kontinuierlich daran, das System zu verbessern. Wir haben selbstredend kein Interesse daran, 'seriöse' Nutzer von der Nutzung von Kleinanzeigen[.de] auszuschließen." Angaben zur Anzahl ähnlich gelagerter Fälle wollte der Kleinanzeigen.de-Sprecher nicht machen, riet aber dazu, eventuell die Nutzung eines VPNs (und damit iCloud Private Relay) bei Anmeldevorgängen zu vermeiden, auch wenn dies "kein Ausschlusskriterium" sei. Es liege "in der Natur der Sache, dass ein gewisses Risiko besteht, dass Sie eine IP nutzen (teilen), die bereits negativ aufgefallen ist".

Den Sportkurs, mit dem der ganze Ärger losgetreten wurde, sind wir übrigens nicht mehr losgeworden, das Geld ist in Teilen weg. Ich werde wohl beim nächsten Verkaufsversuch zu analogen Pinnwänden und Printzeitungen wechseln. Die sperren mich wenigstens nicht, hoffe ich zumindest. Und der EU rufe ich zu, ihren Digital Markets Act einmal für sinnvolle Dinge einzusetzen: Beispielsweise große Plattformen regulieren, die Nutzer sinnfrei ausschließen, was dazu führt, dass man nicht mehr an wichtigen Märkten teilhaben kann. Das ist durchaus ein wettbewerbsrechtliches Thema: Die Adevinta-Gruppe, zu der Kleinanzeigen.de gehört, ist der größte Betreiber von Online-Kleinanzeigenportalen weltweit.

(bsc)