Kommentar: Darum hat Flugtaxi-Anbieter Lilium keine staatliche Rettung verdient
Flugtaxis gelten als umweltfreundliche Lösung für verstopfte Innenstädte. Vorreiter Lilium muss jetzt Insolvenz anmelden. Nicht so schlimm, meint Gregor Honsel.
Dass Lilium regelmäßig die eigenen Ziele gerissen hat – geschenkt. Tesla macht das schließlich dauernd, und ein elektrischer Senkrechtstarter ist noch einmal um Größenordnungen komplexer als ein E-Auto. Dass ein Start-up mit einer derart ambitionierten Technik stets knapp bei Kasse und jetzt insolvent ist, dürfte vor diesem Hintergrund kaum verwundern. Verpasst Deutschland mit den versagten Zuschüssen also wieder einmal die Chance, Spitzentechnik im Land zu halten – und das wegen vergleichsweise bescheidener 100 Millionen Euro? (Zum Vergleich: Alleine die Sanierung der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim kostet das 13-fache.)
Lilium-Insolvenz: Warum stehen die Investoren nicht Schlange?
Nein. Für die verweigerte Zahlung vom Bund gibt es gute Gründe. Erstens: Wenn sich private Anleger zieren, warum sollten dann ausgerechnet die Steuerzahler:innen ins Risiko gehen? Wenn elektrischen Flugtaxis wirklich ein so riesiger Markt winkt, wie gerne behauptet – warum stehen die Investoren dann nicht Schlange? Es wäre nicht das erste Mal, dass die Politik aus Standortpatriotismus sinnlos Steuergelder versenkt. (Den Älteren unter uns sagt der Name Philipp Holzmann vielleicht noch etwas. Die Jüngeren werden sich sicherlich noch an die ganzen Rettungspakete für Galeria Kaufhof erinnern.)
Zweitens hätte eine Entscheidung zugunsten von Lilium etwas Willkürliches. Warum soll genau diesem Start-up geholfen werden, und anderen nicht? Es ist ja nicht so, dass sich der Bund komplett aus der Unterstützung visionärer Technik heraushält. Genau zu diesem Zweck hat er schließlich die Agentur für Sprunginnovationen (Sprind) gegründet. Dort werden allerdings alle Projekte von Expert:innen nach bestem Wissen und Gewissen evaluiert. Das ist bei Lilium offenbar nicht der Fall.
Drittens geht es dabei nicht nur um Investitionen in ein bestimmtes Start-up, sondern auch in ein bestimmtes Verkehrssystem. Deshalb sollte sich die Politik auch fragen, ob sie dieses System wirklich benötigt oder haben will. Vieles spricht dafür, dass Flugtaxis nicht wirklich zur Lösung irgendwelcher Probleme beitragen. Dazu reicht ein kleines Gedankenexperiment. Man stelle sich etwa den Mittleren Ring in München zur Rushhour vor. Und jetzt male man sich aus, ein nennenswerter Anteil dieser unfassbar vielen Autos würde über einem kreisen und nach einem freien Landeplatz suchen. Will man so etwas wirklich?
Energie für Flugtaxis könnte andernorts besser genutzt werden
Dazu kommt: Die Lufttaxis verbrauchen unnötig viel Energie. "Senkrecht zu starten und zu landen ist die ineffizienteste Art, sich in der Luft zu bewegen", sagte Luft- und Raumfahrtingenieur Kay Plötner gegenüber dem Spiegel. Dass die Lufttaxis mit Ökostrom geladen werden sollen, ist kein Gegenargument. Dieser wird auf absehbare Zeit knapp sein. Jede für ein Lufttaxi verbrauchte Kilowattstunde könnte andernorts besser genutzt werden.
Überbordender motorisierter Individualverkehr lässt sich eben nicht bekämpfen, indem man ihn durch eine andere Form des motorisierten Individualverkehrs ersetzt. Wenn wir also überhaupt eine neue Art von Luftfahrzeugen gebrauchen können, dann doch wohl so etwas wie einen fliegenden Fernbus. Dieser würde pro Person weniger Platz, Geld und Energie verschlingen.
Ein Öffi für den Luftverkehr?
Leider lässt das Prinzip des öffentlichen Nahverkehrs nicht so einfach auf Fluggeräte übertragen. Schließlich können sie nicht alle paar Kilometer Leute ein- oder aussteigen lassen. Auch Ridepooling funktioniert nicht. Und verzichtet man auf energiehungrige Senkrechtstarter und platzraubende Landeplattformen in der Stadt, müssen die Fluggäste jedes Mal auf eine andere Weise zum nächsten Flughafen kommen.
Halten wir fest: Elektrische Lufttaxis sind verkehrspolitisch sinnlos. Die Dekarbonisierung von Mittel- und Langstreckenflügen ist zwar hochgradig wünschenswert, technisch aber sehr schwierig. Wo genau ist also der Sweetspot für die elektrische Verkehrsfliegerei?
Ein ideales Revier wären etwa schwer zugängliche Gegenden, etwa Norwegen mit seinen ganzen Fjorden, oder Länder mit vielen verstreuten Inseln. Doch was ist mit dem eng vernetzten Mitteleuropa? Oft wird der Zubringerflug vom Flughafen in die Stadt als Szenario genannt. Aber ließe sich nicht deutlich einfacher eine Schnellbahn oder eine dedizierte Fahrspur für Elektrobusse einrichten?
Naheliegender wäre es, möglichst viele der bisherigen Inlandsflüge zu elektrifizieren, ob mit Batterien oder Brennstoffzellen. Das Passagieraufkommen dürfte sich dafür aber in Grenzen halten. Pendlerflugzeuge mit weniger als 19 Plätzen machen laut ICCT derzeit nur etwa vier Prozent aller Abflüge aus und 0,03 Prozent der Passagierkilometer aus.
Und baut man rund um die Elektro-Shuttles ein neues, attraktives Geschäftsmodell auf, stellt sich die Frage: Macht man damit nicht vor allem Bussen oder Bahnen Konkurrenz? Oder erzeugt man gar zusätzlichen Verkehr?
Je länger man darüber nachdenkt, desto kleiner wird die Nische für die Elektro-Passagierflieger. Sinnvoll könnten sie beispielsweise zwischen Städten mit schlechter Bahnanbindung und eigenem Regionalflughafen sein. Theoretisch wäre es meist wohl effizienter, das Bahnnetz auszubauen. Etwas zynisch könnte man aber auch sagen: Möglicherweise werden wir eher reichweitenstarke Regionalflieger mit Superhochleistungsbatterien bekommen als eine funktionierende Bahn.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf t3n.de
(vza)