Kommentar: Deutschland muss raus aus der Abofalle der US-Techriesen

Deutschland muss dringend die Abhängigkeit von Big Tech reduzieren und statt teurer Lizenzen lieber in eigener Software investieren, findet Dennis-Kenji Kipker.

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Symbolbild digitale Souveränität mit Text Kommentar als Overlay

(Bild: iX)

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  • Prof. Dennis-Kenji Kipker
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Die Zahlen sind es, die einen aufhorchen lassen: Alle Ressorts der Bundesregierung haben im Jahr 2023 erstmals mehr als eine Milliarde Euro für Lizenzen von Computerprogrammen und IT-Services ausgegeben – ein Jahr zuvor waren es "nur" 771 Millionen Euro. Diese Zahlen sind es auch, die belegen, dass die deutschen Verwaltungen keineswegs technologisch unabhängig oder gar digitalsouverän sind, wie es uns politisch immer vorgemacht wird, in Digitalstrategien oder im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung.

Ein Kommentar von Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker

Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker ist Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Hochschule Bremen und arbeitet dort an der Schnittstelle von Recht und Technik in der Informationssicherheit und im Datenschutz. Dabei kommt bei ihm auch die Praxis und Beratung nicht zu kurz: So ist er außerdem als Legal Advisor des VDE, CERT@VDE tätig und prägt im Policy-Bereich als Mitglied des Vorstandes der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID) in Berlin die zukünftige europäische und deutsche Cyber-Politik maßgeblich. Als Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Certavo in Bremen setzt er sich überdies für die Entwicklung und Umsetzung pragmatischer Lösungen zur digitalen Compliance-Konformität von Unternehmen international ein.

Und digitale Souveränität ist nicht bloß ein politisches Buzzword oder gar Selbstzweck, denn gerade in diesen Zeiten sollte in uns allen eigentlich die Erkenntnis reifen: Staat und Verwaltung sollten nicht von US-Software- und Cloudprodukten abhängig sein, die man nicht selbst unter Kontrolle hat, geschweige denn deren Funktionen über die Produktdokumentation hinaus kennt.

Doch genau das ist es, was wir aktuell sehen: Durch den Vendor Lock-in, der natĂĽrlich auch eine zumindest mittelbare Folge des Umzugs digitaler Infrastruktur in die Cloud ist, wird der deutsche Staat erpressbar und seiner Entscheidungsfreiheit beraubt. Und so bestimmen vor allem US-amerikanische Big-Tech-Konzerne, wie in Deutschland die Verwaltungsdigitalisierung vonstattengeht, wie viel sie kostet und im Endeffekt auch, wie sicher und verfĂĽgbar unsere nationale IT-Infrastruktur ist.

Dass das kein besonders guter Deal ist, haben wir in den vergangenen Monaten immer wieder sehr deutlich gesehen.

Doch es geht nicht nur um die Technik: Das Bequeme an Abo-Modellen ist für die Hersteller, dass sie über eine regelmäßige, gesicherte Einnahmequelle verfügen, haben sie ihre Kunden denn erst einmal an sich gebunden. Und hat schon einmal jemand erlebt, dass Abo-Modelle im Zeitverlauf günstiger geworden sind? Das ist wie mit der Autoversicherung, die jedes Jahr teurer wird, wenn man nicht kündigt.

Schauen wir doch mal auf den Primus Microsoft. Dessen LizenzgebĂĽhren sind laut den aktuellen Zahlen in einem Zeitraum seit 2017 um mehr als 250 Prozent angestiegen. Und bei anderen Anbietern von Softwarelizenzen haben sich die Kosten vom Haushaltsjahr 2022 zum Jahr 2023 fast verdoppelt. Welche Anbieter dies sind, darĂĽber schweigt sich die Bundesregierung aus. Anhand der Ressorts "Verteidigung" und "Inneres" kann man aber durchaus MutmaĂźungen darĂĽber anstellen.

Ein weiterer Punkt: Wir brauchen unbedingt eine Konsolidierung der nationalen IT-Infrastruktur und müssen endlich Herr über das digitale Verwaltungschaos werden! Es kann nicht sein, dass durch den Föderalismus völlig unterschiedliche Konzepte in der Softwarenutzung in der Landesverwaltung gefahren werden, wie dies zum Beispiel im Vergleich von Schleswig-Holstein und Niedersachsen der Fall ist.

Hinzu kommt, dass die Kommunen wiederum vielerorts ihre eigene IT betreiben. So lange man sich hier nicht abstimmt und auf einheitliche, wiederverwendbare und eben nicht durchgängig proprietäre Lösungen setzt, werden die IT-Ausgaben weiterhin exorbitant hoch bleiben.

Dabei gibt es mehr als genügend Möglichkeiten, um dieser Herausforderung Herr zu werden, wenn es denn nur den politischen Willen dazu gäbe. Das Problem aber ist, dass es nicht darum geht, die Anwender von neuen Wegen zu überzeugen, sondern die Entscheider. Und das ist eben etwas, das Big-Tech-Konzerne besonders gut können, mit ihren Marketingleuten, Werbetextern, Slide-Decks und bunten Prospekten.

Abhängigkeit in ihrer schönsten Form liegt eben dann vor, wenn man nicht merkt, dass man abhängig ist. Oder zumindest sagen kann: Es ist gar nicht nötig, über alternative Anbieter oder neue, innovative Lösungen nachzudenken, wenn wir doch den Monopolisten auf dem Softwaremarkt haben, auf den wir immer schon aus Tradition zurückgegriffen haben.

Was brauchen wir also? Ganz eindeutig mehr Rechtfertigungsdruck in der IT-Beschaffung in Bund, Ländern und Kommunen. Einerseits fehlen in den deutschen Verwaltungen allenthalben die Finanzmittel und es wird sogar an Wasserflaschen bei Konferenzen gespart, andererseits werden bereitwillig Millionen für Lizenzen ausgegeben, ohne dies groß zu hinterfragen.

Und dabei muss ja nicht immer alles sofort und vollständig auf Open Source umgestellt werden. Wie wäre es denn beispielsweise, für den Anfang auf europäische Software-Anbieter zurückzugreifen? Gerade im Cloud-Markt gibt es mittlerweile mehr als genügend davon und das wäre ein erster Ansatz, um sukzessiv die über Jahrzehnte entstandenen Monopole aufzubrechen und die heimische IT-Wirtschaft zu stärken. Digitale Souveränität mal ganz konkret, statt nur als Hochglanzbroschüre.

Doch das kann nicht mehr als nur ein erster Schritt sein: Was wir letztlich brauchen, ist eine groß angelegte neue Strategie in der Förderung und Entwicklung der heimischen IT-Industrie. Gerne auch im Sinne eines europäischen Gemeinschaftsprojekts, denn Deutschland ist bei Weitem nicht der einzige Mitgliedstaat der EU, der massiv unter dem Cloud- und Lizenz-Dilemma leidet. Schon mit den Unsummen, die alleine die deutsche öffentliche Verwaltung zurzeit für Lizenzen ausgibt, ließen sich Tausende Programmierer anstellen.

Und wenn das mit der eigenen deutschen oder europäischen Bürosoftware dann klappen sollte, gäbe es die Compliance-Konformität mit den europäischen IT-Gesetzen gratis dazu. Wäre das nicht ein Deal?

(axk)