Kommentar: Industriestrompreisbremse ist unnötig kompliziert

Teile der Regierung wollen Strom für besonders energieintensive Unternehmen auf Cents heruntersubventionieren. Dabei gäbe es viel einfachere Möglichkeiten.

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Umspannwerk

Umspannwerk in Bremen.

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 5 Min.

Deutschland ist eines der Länder mit den höchsten Strompreisen der Welt – selbst, wenn man die Kaufkraft berücksichtigt. Doch nicht alle Branchen leiden gleichermaßen darunter: Großverbraucher aus der Chemie- oder Aluminiumindustrie beispielsweise stärker als IT-Unternehmen. Ist es also nur konsequent, für genau diese Betroffenen den Strompreis auf wenige Cent herunterzusubventionieren, wie es die Grünen, Teile der SPD sowie einige Bundesländer fordern?

Nicht unbedingt. Solchen Maßnahmen haftet immer eine gewisse Willkür an. Wo genau zieht man die Grenze? Was ist mit Unternehmen, die knapp unter diese Grenze fallen – möglicherweise, weil sie rechtzeitig in energiesparende Technik investiert haben? Und wie lange sollen die Subventionen gelten? Eigentlich sind sie nur als "Brücke" gedacht, bis Erneuerbare die teuren Gaskraftwerke weitgehend aus dem Markt gedrängt haben. Doch die Erfahrung zeigt: Einmal eingeführt, fällt der Entzug von Subventionen schwer.

Schon der jetzige Strompreis ist ein Sammelsurium von Ausnahmen, Sonderfälle und Ad-Hoc-Lösungen, die längst abgewählte Regierungen irgendwann einmal eingeführt haben. Die eigentliche Beschaffung macht beim Haushaltsstrom nur rund die Hälfte des Endpreises aus. Der Rest sind Netzentgelte, Stromsteuer, Konzessionsabgaben an die Kommunen, Abgaben zur Kraft-Wärme-Kopplung, §19-NEV-Umlage, Offshore-Netzumlage, Mehrwertsteuer.

Die Liste zeigt: Wenn es irgendwo finanziell zwickte, wurde einfach eine neue Abgabe erhoben – und für Industriekunden teilweise wieder zurückgenommen. Eine Ursache, warum Industriestrom heute so viel billiger ist als Haushaltsstrom, seien "die zum Teil großzügigen (und in einem erneuerbaren Stromsystem energiewirtschaftlich nicht mehr zeitgemäßen) Ausnahmeregelungen für die Industrie bei den Netzentgelten und Umlagen (Kraft-Wärme-Kopplung-Umlage und Offshore-Netzanbindungsumlage)", schreibt die Agora Energiewende auf Anfrage. "Die Ausnahmen wurden seinerzeit aus zwei Gründen eingeführt: Erstens als Industriesubvention, zweitens als Anreiz, den Stromverbrauch so konstant wie möglich zu gestalten, weil die Hauptstromerzeuger im alten System – Kohle- und Kernkraftwerke – ihre Erzeugung nicht beliebig flexibel hoch- und runterfahren können."

Ein besonders bizarres Beispiel ist die §19-NEV-Umlage. Sie beträgt derzeit zwar nur gut 0,4 Cent/kWh, ist aber symptomatisch für den ganzen Verordnungs-Verhau. Die Bundesnetzagentur erklärt sie so: "Nach § 19 Stromnetzentgeltverordnung haben bestimmte Letztverbraucher die Möglichkeit, vom örtlichen Netzbetreiber niedrigere individuelle Netzentgelte zu erhalten. Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) müssen den örtlichen Netzbetreibern die durch diese niedrigeren Entgelte entgangenen Erlöse erstatten. Die ÜNB gleichen die Zahlungen für diese entgangenen Erlöse untereinander aus und errechnen einen Aufschlag auf die Netzentgelte, der als Umlage auf alle Letztverbraucher umgelegt wird."

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Alles klar? Etwas verständlicher steht es bei E.on: "Energieintensive Unternehmen können unter bestimmten Voraussetzungen individuelle reduzierte Netzentgelte beantragen" – wenn "die Jahreshöchstleistung beim Stromverbrauch entweder vorhersehbar in lastschwache Zeiten fällt oder erheblich von der Jahreshöchstlast aller Entnahmestellen in der jeweiligen Spannungsebene abweicht."

Es handelt sich also – durchaus vernünftig – um einen Anreiz für Unternehmen, das Netz weniger stark zu belasten. Doch warum müssen die Netzbetreiber dafür entschädigt werden? Den niedrigeren Einnahmen steht schließlich auch eine niedrigere Netzbelastung gegenüber.

Doch statt mit solchen Sonderregelungen aufzuräumen, soll mit der Industriestrompreisbremse jetzt noch ein weiteres kompliziertes Instrument hinzukommen, von dem wieder nur ein Teil der Betroffenen unter bestimmten Bedingungen profitiert. Sie soll nur für Unternehmen gelten, die im internationalen Wettbewerb stehen, sich an Tarifverträge halten, sich zur Transformation verpflichten und eine Standortgarantie abgeben. Alles berechtigte Anforderungen, aber auch Dinge, die nachgewiesen und kontrolliert werden müssen. Wieder ein Stück Bürokratie mehr.

Andere Ungerechtigkeiten wurden jahrelang hingegen gar nicht adressiert – vor allem bei den Netzentgelten. Sie sind gerade im Norden und Nordosten besonders hoch, weil dort viel Windkraft installiert und das Stromnetz entsprechend ausgebaut wird, und die Kosten dafür dann auf vergleichsweise wenige Verbraucher umgelegt werden. Dabei kommt der dort erzeugte Strom auch Nutzern zugute, die viel weniger Netzentgelte zahlen muss. Fairer wären gestaffelte Netzentgelte, die sich – zeitlich wie räumlich – an der tatsächlichen Beanspruchung des Netzes orientieren. Einen Schritt in diese Richtung hat die Bundesnetzagentur kürzlich angekündigt.

Solche radikalen Umbauten sind natürlich kompliziert. Aber es gibt noch ein einfacheres Mittel: die Steuern auf den Strom für alle senken. Davon würden auch Privatkunden profitieren. Hohe Strompreise geben zwar einen Anreiz, mehr Energie zu sparen, aber sie stehen auch der Verlagerung von fossilen zu erneuerbaren Quellen im Weg – etwa bei Autos und Wärmepumpen. Ob sich diese rentieren, hängt entscheidend vom Preisabstand zwischen Strom und fossilen Brennstoffen ab. Doch statt für einen angemessen kleinen Abstand zu sorgen, setzen die Regierungen auch hier wieder auf Pflästerchen, etwa in Form von Kaufprämien für E-Autos. Würde sie die Stromsteuern senken und die CO₂-Preise hochsetzen, könnte sich der Bund im Gegenzug viele Förderprogramme sparen.

(bsc)