RTX-4000-Grafikkarten: Nvidia, wen wollt Ihr veralbern? - Ein Kommentar

Mit der RTX-4000-Serie führt Nvidia Käufer erneut in die Irre – ein Ausdruck von aggressiver Firmenkultur, die den GPU-Vorreiter seit Jahren prägt.

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Von
  • Nico Ernst

Hurra, die Grafikkarten-Serie RTX 4000 ist angekündigt, nach über zwei Jahren endlich mehr Leistung für Spieler! Für 50 Prozent mehr Leistung, laut Herstellerangaben, sind nur rund 30 Prozent mehr Geld fällig! Also alles wie immer im Markt für spieletaugliche Grafikkarten, der dank eines Duopols sehr besonderen Regeln unterliegt?

Mitnichten! Das ohnehin schon sehr vom Marketing getriebene Unternehmen Nvidia hat sich diesmal nämlich besondere Mühe gegeben, Interessenten zu verwirren und dafür nicht nur das Preisgefüge nach oben verschoben. Der Zeitpunkt der Ankündigung – denn geliefert wird erst in einigen Wochen –, die Namensgebung und die wenigen technischen Details enthalten möglichst viele Nebelkerzen, damit Interessenten womöglich hinters Licht geführt werden.

Das wird deutlich, wenn nach dem aufpolierten Ankündigungsvideo noch Spezifikationen nachgereicht werden, die im Livestream gar nicht vorkamen. Denn die RTX 4080 mit 12 GByte ist nicht bloß ein etwas günstigeres Modell der Karte mit 16 GByte, sondern eine völlig andere Grafikkarte – und das trotz gleicher Bezeichnung "4080". Sie basiert auf einer anderen GPU, dem AD104 statt AD103 (absteigende Zahlen bedeuten bei Nvidia größere GPUs), und die hat 21 Prozent weniger Shader-Einheiten. Zwar sind die Takte beim kleineren Modell etwas höher, aber das gleicht diesen Nachteil kaum aus. Der Preisunterschied ist mit rund 370 Euro so groß, dass Viele wohl zum kleineren Modell greifen - hat ja auf den ersten Blick nur weniger Speicher, wie von früheren GeForces schon gewohnt.

Technisch interessierte Menschen kaufen natürlich nicht nur nach Modellnummer und RAM-Ausstattung, aber global gesehen gewinnt das Marketing oft gegen die Spezifikation. Beispiel USA: Dort gibt es noch die großen Computerhandelsketten wie Microcenter, bei denen Dutzende Grafikkarten im Regal stehen. Und weil Nvidia im Rahmen seines Green Light Programms sich auch die Kontrolle über die Gestaltung der Verpackung für alle Anbieter von GeForce-Karten vorbehält, dürften da im Falle zweier RTX 4080 nur 12 oder 16 GByte als großes Unterscheidungsmerkmal draufstehen.

Angesichts der Daten der kleineren Karte hätte sie, wie in den letzten drei Generationen gewohnt, RTX 4070 heißen müssen. Warum Nvidia das nicht gleich so gemacht hat? Das kann nur an der für den 3. November vorgesehenen Vorstellung von AMDs R7000-Serie liegen. Wenn sich die als überraschend schnell und günstig erweisen sollte, lässt sich fix noch eine RTX 4070 nachschieben, eventuell auch Ti-Modelle von 4080 und 4090. Nvidia konnte wohl einfach nicht abwarten, was der Konkurrent so bringt, um nicht einmal für ein paar Tage den Titel der schnellsten Grafikkarte abzugeben. Egos spielen da eine große Rolle.

Das ist nicht nur beim Produktmarketing so, sondern in der Firmenkultur von Nvidia fest einbetoniert. Sichtbar wurde das erst kürzlich als EVGA die Zusammenarbeit mit Nvidia nach über 20 Jahren beendete. Der CEO beklagte sich unter anderem über mangelnden Respekt, bei dem Nvidia jede Begeisterung für neue Produkte nur für sich beansprucht und den sogenannten "Partnern" nichts übrig lässt. Das war auch im Vorstellungsvideo zur 4000er-Serie zu sehen: Nicht eine Karte eines Grafikkarten-Partnerherstellers hatte Nvidia eingeblendet.

Über andere Nvidia-Partner lässt sich zudem verifizieren, dass Preise den Partnern seit einigen Generationen nur am Tag der Vorstellung bekannt gegeben werden, die Nvidia-eigenen Modelle der Founders Edition sind immer die billigsten, und Treiber für vernünftige Tests gibt es für die Hersteller vorab nicht oder nur in sehr eingeschränkter Form. Kurz: Hardware-Hersteller sollen große Beträge in Entwicklung und Produktion investieren, ohne den Preis, die Leistungsfähigkeit und Stabilität genau zu kennen. Wenn dabei etwas schiefgeht, dürfen sie aber selbstverständlich mit ihrem eigenen Markennamen dafür geradestehen.

Apropos Treiber: Nvidias Misstrauen seinen direkten Kunden gegenüber führt zu der bizarren Situation, dass Hersteller von Grafikkarten schon bei Journalisten in den Wochen vor einem Marktstart angefragt haben, ob die nicht mal die Treiber irgendwo unauffällig liegen lassen können. Das ist natürlich vertraglich verboten, heißt aber nicht, dass Medien bei Nvidia generell bevorzugt oder auch nur respektvoll behandelt werden. Die Jahrzehnte geführte Liste aus Gängeleien, Druckmaßnahmen und anderem ist für diesen Kommentar zu lang, daher nur zwei Beispiele aus jüngerer Zeit: 2018 sollten alle Medien, die noch Testmuster oder Informationen erhalten wollten, ein General-NDA für alle Zeiten und alle Produkte und Technologien unterzeichnen, und 2020 wurde der Youtube-Kanal Hardware Unboxed von der Bemusterung ausgeschlossen, weil er die Grafikkarten nicht so testete wie Nvidia das gerne hätte.

Wer meint, das wäre alles zu scharf formuliert oder ganz einfach ein "freier Markt", möge sich den Wutausbruch des großen Youtubers Linus Sebastian (LTT) zum Fall Hardware Unboxed ansehen der noch einige weitere Geschichten aus dem Nähkästchen enthält. Es geht um Fairness, Respekt und gute Zusammenarbeit - auch mit den "Endkunden". Aber es scheint, als zählten die, zumindest was Spieler betrifft, für Nvidia immer weniger.

Im letzten Quartal machte Nvidias Gaming-Sparte einen Umsatz von 2,04 Milliarden US-Dollar, mit GPUs für Rechenzentren 3,81 Milliarden US-Dollar. Der Zuwachs lag bei letzterem bei 61 Prozent, bei den Spiele-Karten gab es dagegen eine Schrumpfung um 33 Prozent. In der Telefonkonferenz für Finanzjournalisten kündigte Nvidia-Chef Jensen Huang dann an, man werde "die Verkäufe in den nächsten paar Quartalen reduzieren um den Bestand bei den Händlern zu korrigieren. Wir haben auch Programme für die preisliche Positionierung unserer aktuellen Produkte eingerichtet, um uns für die nächste Generation vorzubereiten." Lies: Die Preise für die RTX 3000 werden künstlich hochgehalten, weil noch zu viele davon da sind. Logisch, dass bei solchen Praktiken die Preise der RTX 4000 noch höher ausfallen müssen.

Hey, Nvidia: Es ist nicht die Schuld der Spieler, dass Ihr Euch bei Euren Produktionsvorhersagen für den endlich beendeten Boom bei Crypto-Mining auf GPUs verschätzt habt. Auch können sie nichts dafür, dass die Wafer bei TSMC jetzt nach Eurem kurzen Ausflug zu Samsung als Produktionspartner wieder teurer geworden sind. Dass ihr mit extremen Preisen und Mogelpackungen wie der RTX 4080 mit 12 GByte auf Eure eigenen Fehlentscheidungen reagiert, wirkt panisch und kein bisschen so souverän, wie man es von einem Technologieführer für Spiele-GPUs erwarten könnte. Obwohl: In Playstation und Xbox steckt seit zwei Generationen eine Grafikeinheit von AMD. Dafür gibt es sicher gute Gründe, die ihr nur vor rund zehn Jahren nicht gesehen habt. (mfi)