Sagt die Apokalypse ab – Neue Visionen der digitalen Zukunft müssen her

Tech-Konzerne warnen vor einer düsteren Zukunft mit vermeintlich übermächtigen KI-Systemen. Dabei sollten sie lieber aktuelle Risiken minimieren helfen.

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(Bild: Alfa Photo/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Julia Kloiber

Ich bin Optimistin. Trotzdem finde ich es zurzeit unverhältnismäßig schwer, mir positive Zukünfte auszumalen. Mich begleitet das immer gleiche Gefühl: Von hieraus geht es bergab. Die menschengemachte Klimakrise zerstört den Planeten, Tech-Firmen werden immer mächtiger, Wohnen ist bald unbezahlbar. Ein Großteil meiner Zukunftsszenarien fußt auf Schadensbegrenzung, nicht auf kühnen Utopien.

Schadensbegrenzung, das kenne ich nur zu gut aus meiner aktivistischen Arbeit zum Thema Digitalisierung. Ich bin tagein, tagaus damit beschäftigt, den größtmöglichen Schaden abzuwenden: Diskriminierung, Überwachung, you name it. Die Tech-Konzerne haben lange die Gegenposition dazu eingenommen. Sie haben uns erzählt, wie toll die Zukunft mithilfe ihrer Produkte für uns alle wird. Doch der Wind hat gedreht. Inzwischen vergeht keine Woche mehr, in der Tech-Konzerne uns nicht vor übermächtigen KI-Systemen und einer dystopischen Zukunft warnen, anstatt große Utopien zu verkünden.

TR-Kolumne von Julia Kloiber

Was mit einem alarmierenden Brief aus dem Silicon Valley begann, zieht immer größere Kreise. Der Google-CEO Sundar Pichai sagt, dass ihn das Thema KI nachts oft nicht schlafen lässt, der Philosoph Yuval Harari sagt nichts Geringeres als das Ende der Menschheit voraus und Sam Altman, CEO von Open AI, drängt vor dem US-Senat auf eine strengere Regulierung von KI. Sie alle bedienen Erzählungen, die schon seit Tausenden von Jahren funktionieren: Die Apokalypse naht, rette sich, wer kann.

Es sind ihre Konzerne, die Milliarden in die Entwicklung dieser Technologie stecken. Sie profitieren von der Berichterstattung, ihre Firmennamen sind nonstop in den Medien, sie treffen Staatsoberhäupter. Sie inszenieren sich als Retter. Was mich am meisten frustriert: Mit ihren Warnungen vor einer düsteren Zukunft relativieren sie die Gefahren, die diese Systeme heute schon bergen: Diskriminierung, Ausbeutung und Überwachung. Anstatt über zukünftige Risiken zu spekulieren, könnten die Unternehmen sie hier und heute in Angriff nehmen. Aber soziale Gerechtigkeit ist nun mal nicht so shiny.

In Momenten der Überforderung durch diese Szenarien hilft mir eine sehr nüchterne – manche mögen sagen zynische – Betrachtung der Dinge. Bevor KI-Systeme die Menschheit auslöschen, sind es wir Menschen, die den Stecker ziehen können. Vielleicht erledigt sich das Thema aber auch ohne unser Zutun: Während wir uns von vermeintlich allmächtigen KI-Systemen ablenken lassen, schlägt die Klimaapokalypse zu und flutet die Rechenzentren. Ich bin dann zwar für einen Moment abgelenkt, aber am Ende lässt mich auch das frustriert zurück. Die Warnungen der Konzerne sind zwar überzogen, setzen sich aber so gut bei uns fest, dass sie uns prägen: Sie werden zu selbsterfüllenden Prophezeiungen.

Wir waren jahrzehntelang so mit Schadensbegrenzung beschäftigt, dass wir versäumt haben, alternative Erzählungen über die digitale Zukunft zu entwerfen. Erzählungen, in denen gesellschaftliches Wohl und nicht das Wohl der Konzerne im Zentrum steht. Wir haben keine Antworten darauf, wie hoffnungsvolle Zukünfte aussehen, in denen wir die Klimakrise und KI-Hypes überwunden haben. Was macht ein glückliches Leben in 20, 50, 100 Jahren aus? Was müssen wir heute tun, um den Boden für nachhaltige und gerechte Zukünfte zu bereiten? Wenn wir den aktuellen Erzählungen der Tech-Konzerne etwas entgegensetzen wollen, dann brauchen wir Visionen über gerechte, positive und diverse Zukünfte. Erzählungen, die so einprägsam sind, dass sie ihrerseits zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden und die dystopischen Zukünfte damit überschreiben.

(jle)