US-Börsenaufsicht: Verpasste Chance, Firmen zu besserem Klimaschutz zu zwingen

Lobbyarbeit zwang die SEC, ihre Vorschriften zur Offenlegung des CO₂-Fußabdruckes von Unternehmen zu verwässern. Die fossile Wirtschaft profitiert.

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Dollar-Note an Fahnenmast

(Bild: gemeinfrei)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Dara O'Rourke

In der vergangenen Woche hat die US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission, kurz SEC, eine Reihe lang erwarteter neuer Klimatransparenzregeln erlassen. Sie sollen die meisten börsennotierten Unternehmen dazu verpflichten, ihre Treibhausgasemissionen und die Klimarisiken, die sie in ihren Bilanzen aufbauen, offenzulegen. Das Problem: Die SEC hat die Vorschriften aufgrund intensiver Lobbyarbeit vonseiten der Wirtschaft verwässert, was letztlich ihre Wirksamkeit untergräbt. Damit wird eine wichtige Chance verpasst, an US-Märkten gelistete Unternehmen zu zwingen, sich mit den wachsenden Gefahren der Erderwärmung zu beschäftigen.

Ausschlaggebend für die neuen SEC-Vorschriften war die Erkenntnis, dass Klimarisiken auch finanzielle Risiken sind. Globale Unternehmen sind beispielsweise heute schon mit klimabedingten Unterbrechungen der Lieferkette konfrontiert. Ihre Sachwerte sind anfällig für Stürme, ihre Mitarbeiter extremen Hitzeperioden ausgesetzt. Ihre Kunden könnten gezwungen sein, Standorte zu verlagern. Hinzu kommt: In ihren Bilanzen befinden sich Vermögenswerte auf Basis fossiler Brennstoffe, die sie vielleicht nie verkaufen können. Und viele Geschäftsmodelle werden durch den Klimawandel zumindest infrage gestellt.

Dabei geht es nicht nur um Unternehmen aus den Bereichen Kohle, Öl oder Gas. Es handelt sich auch um Versorgungsunternehmen, Transportfirmen, Rohstoffproduzenten, Konsumgüterhersteller und sogar Lebensmittelkonzerne. Und die Anleger – wir alle – kaufen und halten diese Aktien, die mit fossilen Energieträgern verknüpft sind, oft ohne es zu wissen. Investoren, politische Entscheidungsträger und die breite Öffentlichkeit benötigen deshalb klarere und bessere Informationen darüber, ob und wie Unternehmen den Klimawandel antreiben, was sie vielleicht tun, um seine Auswirkungen zu bekämpfen und was Kaskadeneffekte für ihre Bilanzen bedeuten könnten.

Kommentar von Dara O'Rourke

Dara O'Rourke ist außerordentlicher Professor und Co-Direktor des Master of Climate Solutions Programms an der University of California, Berkeley. Das Bild zeigt ihn beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2011.​

(Bild: 

Wikimedia / cc by-sa 2.0​

)

Die neuen SEC-Vorschriften schreiben vor, was bisher im Wesentlichen ein freiwilliges System der "Corporate Carbon Governance" war. Sie verpflichten die Unternehmen nun, darüber zu informieren, wie sich klimabezogene Risiken auf ihr Geschäft auswirken könnten. Außerdem müssen sie direkte Emissionen aus Quellen, die sie selbst besitzen oder die sie kontrollieren, sowie ihre indirekten Emissionen aus der Erzeugung von eingekaufter Energie offenlegen, also beispielsweise dem Erwerb und Strom und Wärme. Entscheidend ist allerdings, dass die Unternehmen dies nur dann tun müssen, wenn sie diese Informationen als finanziell "wesentlich" einstufen. Und genau das lässt den Unternehmen einen beträchtlichen Spielraum bei der Entscheidung, wie transparent sie sein wollen.

Der ursprüngliche Entwurf der SEC-Vorschriften hätte von den Unternehmen auch verlangt, die Emissionen aus "vor- und nachgelagerten Aktivitäten" in ihren Wertschöpfungsketten anzugeben. Dies bezieht sich im Allgemeinen auf die damit verbundenen Emissionen von Lieferanten und Kunden, die oft 80 Prozent der gesamten Klimabelastung eines Unternehmens ausmachen. Der Wegfall dieser Anforderung und die Hinzufügung des Standards der "Wesentlichkeit" scheinen nun auf den starken Druck von Firmengruppen zurückzuführen zu sein. Immerhin dürften die neuen SEC-Vorschriften dazu beitragen, dass klarer wird, wie einige Unternehmen mit dem Klimawandel und ihrem Beitrag dazu umgehen. Aus rechtlicher Vorsicht dürfte einiges finanziell "wesentlicher" sein als bislang gedacht.

Klarere Informationen werden dazu beitragen, die Klimaschutzmaßnahmen der Unternehmen zu beschleunigen, da um ihren Ruf besorgte Firmen zunehmend Druck von Kunden, der Konkurrenz und einigen Investoren spüren dürften, ihre Emissionen zu reduzieren. Aber die SEC hätte noch viel weiter gehen können. Schließlich sind ähnliche Maßnahmen in der EU bereits umfassender und strenger. Selbst ein kalifornisches Gesetz zur Offenlegung von Emissionen, das im vergangenen Oktober unterzeichnet wurde, geht weiter. Es verpflichtet sowohl börsengelistete als auch private Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde US-Dollar, über jede einzelne Emissionskategorie zu berichten und diese Daten anschließend von einer dritten Partei überprüfen zu lassen.

Leider bringen die neuen SEC-Vorschriften die Unternehmen lediglich an die Startlinie eines solchen Prozesses, der für die Dekarbonisierung der Wirtschaft erforderlich wäre. Dabei sollten die Konzerne längst in diesem Rennen sein. Freiwillige Transparenz ist wenig hilfreich. Firmen, die diese betreiben, haben bislang nur minimale Fortschritte bei der Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen gemacht. Das Offenlegungssystem, auf dem die SEC-Vorschriften beruhen, hat dabei mit zwei grundlegenden Problemen zu kämpfen, die den Umfang und die Wirksamkeit der CO₂-Offenlegung einschränken.

Erstens: Probleme mit den Daten selbst. Die SEC-Vorschriften räumen den Unternehmen einen erheblichen Spielraum bei der Bilanzierung ihrer Emissionen ein, der es ihnen erlaubt, unterschiedliche Grenzen für ihren CO₂-Fußabdruck festzulegen, Emissionen unterschiedlich zu modellieren und zu messen und sogar zu variieren, wie sie ihre Emissionen letztlich melden. Insgesamt werden wir zum Schluss wohl nur Unternehmensberichte über Teilemissionen des Vorjahres erhalten, ohne dass wir wissen, was ein Unternehmen tatsächlich tat, um seine Emissionen zu verringern. Zweitens: Einschränkungen bei der Nutzung dieser Daten durch Interessengruppen. Wie man schon bei freiwilligen Klimaverpflichtungen von Unternehmen sehen kann, machen es die verschiedenen Standards beim Reporting nahezu unmöglich, Firmen genauer zu vergleichen. So warnt das New Climate Institute davor, dass es immer schwieriger wird, zwischen echten Klimaschutzmaßnahmen und Greenwashing zu unterscheiden – trotz zunehmender Transparenzforderungen.

Die bisherigen Bemühungen von Investoren, CO₂-Emissionen, Dekarbonisierungspläne und Klimarisiken durch ESG-Bewertungssysteme zu bewerten, haben lediglich zu noch mehr Verwirrung geführt, bemängeln Forscher. Unternehmen wurden bislang kaum dafür abgestraft, wenn sie ihre Emissionen nicht klar offenlegten oder nicht einmal die eigenen Standards erfüllten. Die neuen SEC-Klimaregeln dürften diesen unhaltbaren Zustand nicht ändern. Dabei benötigen Firmen, Investoren und die Öffentlichkeit Transparenz, um positive Veränderungen innerhalb der Unternehmen vorantreiben und sie von außen angemessen bewerten zu können.

Ein solches System muss die Hauptverursacher geschäftlicher Emissionen aufspüren und den Unternehmen Anreize für echte Investitionen in Bemühungen um tiefgreifende Emissionssenkungen bieten, sowohl innerhalb einer Firma selbst als auch in ihrer gesamten Lieferkette. Die gute Nachricht ist, dass man solche unvollständigen Regeln wie die der SEC als Anlass nehmen kann, sinnvollere Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen.

Die klügsten Firmen und Investoren gehen bereits über die SEC-Vorschriften hinaus. Sie entwickeln bessere Systeme, um Ursachen und Kosten von Kohlendioxidemissionen zu ermitteln, und unternehmen konkrete Schritte, um sie zu bekämpfen. Dabei geht es um die Reduzierung des Energieverbrauchs, neue, effizientere Infrastrukturen und CO₂-ärmere Materialien, Produkte und Verfahren. Das kann wiederum zum guten Geschäft werden, denn weniger CO₂ bedeutet oftmals auch weniger Kosten.

Die SEC hat daher einen wichtigen, wenn auch mangelhaften ersten Schritt getan, um die amerikanische Finanzelite zur Anerkennung von Klimaauswirkungen und deren Risiken zu bewegen. Aufsichtsbehörden und Unternehmen müssen nun selbst das Tempo erhöhen und sicherstellen, dass sie ein klares Bild davon vermitteln, wie schnell oder langsam sich die einzelnen Branchen bewegen. Nur dann werden sie auf einem sich erwärmenden Planeten weiter erfolgreich sein.

(jle)