Innovationspotenzial: Der Platz zur kreativen Entfaltung fehlt

Julia Kloiber hat selbst gegründet und kennt die Herausforderungen. Welche Rahmenbedingungen braucht es, um mutigen Menschen die Gründung zu erleichtern?

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(Bild: Black Salmon / Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Julia Kloiber

Bei meiner ersten Gründung war ich 34 Jahre alt. Ich wusste früh, dass auf mich kein großzügiges Erbe wartet. Meinen Eltern war wichtig, dass ich mit diesem Bewusstsein aufwachse. In den zwölf Jahren zwischen Studium und Gründung habe ich mir ein kleines finanzielles Polster, gute Netzwerke und Wissen erarbeitet. Rückblickend war diese Zeit von viel Arbeit und Unsicherheit geprägt. Manchmal frage ich mich, unter welchen Rahmenbedingungen ich zu einem früheren Zeitpunkt gegründet hätte? Denn dieses Land will doch mehr Innovationen und Gründungen. Doch was ist dafür nötig?

Deutschlands Wohlstand fußt maßgeblich auf Innovationen von vor über 100 Jahren. Die großen Entwicklungen danach – der Computer, auf dem ich dies schreibe, das Internet, über das ich es gleich versende, und das Smartphone, das mich vom Schreiben abhält, die KI, die den Text korrigiert, – die Industrien, die sie vorangetrieben haben, sind nicht in Deutschland angesiedelt.

Dabei tut Deutschland doch so viel, um aufzuholen und wieder ganz vorn mit dabei zu sein mit "Innovation made in Germany". Innovationsagenturen werden aufgebaut, Förderprogramme gestrickt. Die klügsten Köpfe des Landes beraten die Politik und überlegen, welche Maßnahmen noch in Angriff genommen und welche bürokratischen Hürden noch abgebaut werden müssen.

Allerdings wird selten über Chancengerechtigkeit, bezahlbare Mieten und die Umverteilung von Wohlstand gesprochen. Alles Dinge, an denen Innovation in Deutschland jeden Tag scheitert. Ein gut funktionierender Sozialstaat und bezahlbares Wohnen könnten wahre Innovationsbooster sein. Sie könnten bei mehr Menschen Ressourcen dafür freisetzen, um über Lösungen für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft nachzudenken – und an ihrer Umsetzung zu arbeiten.

TR-Kolumne von Julia Kloiber

Um Innovationen hervorzubringen, muss man Risiken eingehen und scheitern können. Das heißt vor allem, sich scheitern leisten zu können. Die Garage im Silicon Valley ist zum Symbol geworden, sie gilt als Keimzelle der heute billionenschweren US-Tech-Konzerne, in der an neuen Ideen getüftelt werden kann. Doch Platz zur kreativen Entfaltung fehlt: 2021 lebten 8,6 Millionen Deutsche in überbelegten Wohnungen.

Auch leben viele Gründerinnen und Gründer anfangs vom Ersparten. Doch wenn man wie 49,2 Prozent der Menschen in deutschen Großstädten mehr als ein Drittel seines Nettogehalts für Mieten ausgibt, dann bleibt nicht viel zum Ansparen. Ist man in armen Verhältnissen aufgewachsen, bleibt man in Deutschland häufig auch arm. Gerade 21 von 100 Arbeiterkindern gehen an die Universität. Und Gründen ist – unabhängig vom Geschlecht – in aller Regel Akademikersache. Die Zahlen zeigen, dass es nicht an fehlender Gründungsmentalität scheitert, sondern an Chancen.

Kein noch so gut dotiertes Förderprogramm wird es schaffen, diese systemischen Hürden aus dem Weg zu räumen. Um das Innovationspotenzial der vielen zu fördern, braucht es in erster Linie soziale Maßnahmen: eine Umverteilung von Vermögen, Bildungsgerechtigkeit und eine gerechtere Verteilung von Care-Arbeit. Diese Maßnahmen bereiten den Boden für eine Gesellschaft, in der sich viele an neuen Lösungen und Innovationen beteiligen können. Mit den richtigen sozialen Rahmenbedingungen schafft es Deutschland nach 137 Jahren dann vielleicht auch irgendwann, vom Land des Automobils zum Land der nachhaltigen Wirtschaft und der Chancengerechtigkeit zu werden. Als Gründerin und Mieterin hoffe ich, dass davor nicht die Eigenbedarfsklage kommt.

(jle)