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Was war. Was wird.

Ach, was sind wir ein glückliches Volk, das mit Habe selig wird und doch mühselig sich plagt, ohne Geld unglücklich zu werden. Oder ist Hal Faber nur das Ende der Sommerzeit und der Feiertag aller Trolle aufs Gemüt geschlagen?

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Und wo sonst der Weg zum spirituellen Glück, zur Seligkeit also, eher in der Abwendung von weltlichen Gütern oder doch zumindest in der inneren Loslösung aus der Abhängigkeit von Weltlichem gesehen wird, so fassen wir hier die Liebe zu Dingen, allerdings zu den kleinen, den wertlosen Dingen auf als Voraussetzung zum Glück." Ja liebe Leserin, ja, lieber Leser, das schöne deutsche Wort Habseligkeiten ist vom Deutschen Sprachrat zum schönsten deutschen Wort gekürt worden und die Begründung ist ganz allerliebst. Leben wir nicht in den Zeiten des Arbeitslosgeld II, wo die Liebe zu den Dingen dem Glück im Wege steht -- oder ist doch eher die Plackerei, die Mühsal des alltäglichen Lebens Urgrund allen Übels und auch der Habseligkeiten? Wie kann nur ein frivoler Loriot darauf bestehen, dass "Auslegeware" noch schöner ist? Aber ist das Glück nicht schon jenes, überhaupt die Deutsche Sprache sprechen zu dürfen? Die köstliche Wortrottungen wie "überwachungssozialisiert" kennt?

*** Oder nehmen wir nur das wunderschöne Wort von der Nullanpassung, das der Poet Alexander Gunkel, im Zweitberuf Vorstandschef des Verbandes der Rentenversicherungsträger, gefunden hat. Null Anpassung, Widerstand, Unkonformität der Rentner, deren Rente gleichbleibt, damit sie die Habseligkeiten schätzen lernen. Gut, wir leben in harten Zeiten, da klingt Nullanpassung viel besser als sinkende Rente angesichts steigender Preise. Und wo sonst ist der Weg zum spirituellen Glück, zur Seeligkeit also, so hart wie im Null angepassten Deutschland? In dem Land, in dem die CDU für die Abschaffung der Winterzeit ist, die CSU für die Abschaffung der Sommerzeit und die SPD für die Abschaffung des Tages der deutschen Einheit? Wo alle Politiker zusammen die Diätenanpassung kennen und selbige von der Abstimmung in Volksinititiaven ausschließen. So steht es im neuen Regierungsentwurf für die Neuregulung von Abstimmungen über Bundesgesetze. Nullanpassung hat es also nicht zum schönsten deutschen Wort gebracht. Auch Habseligkeiten ist eigentlich schon verdammt abgehoben. Wie wäre es mit: "Auto, Bild, Bilder, Börse, Chat, Computer, Download, Dvd, Erotik, Frauen, Fun, Games, Geld, Gewinnen, gratis, Handy, Kino, kostenlos, kostenlose, Mp3, Musik, Nachrichten, News, Promis, Reise, Sex, sexy, Shop, Show, Sms, Software, Spiele, Sport, T-online, Video". Richtig, dies sind die Inhalte des Volks-RSS. Und sage mir niemand, dass bei Bild die Frauen nur habselenlose Objekte für den Mann sind. Im Zeitalter der Nullanpassung wissen sie längst, wie der Laden läuft.

*** Die Zeichen der Nullanpassung sind unübersehbar! Seit vorgestern sind nicht nur die neuen Preisträger der deutschen Big Brother Awards bekannt. Passend zur Verleihung der Oscars der Datenkraken tauchte in der Wikipedia der Eintrag über die Initiative Stop 1984, deren Ursprung hier im Heise-Forum zu finden ist. Leider hat wieder einmal keiner der Big-Brother-Geehrten den Weg nach Bielefeld geschafft. Das mag mit einem aktiven Bundestag, aber auch mit den Aktivitäten von IHNEN zu tun haben. In der letzten Woche, vermutete ich, dass SIE ihr Unwesen auf Radevormwald ausgedehnt haben. Das war natürlich ein Illtum. Gemeint war Radehintermwald. Manche Orte bergen halt magische Referenzen wie die Bahnhofstraße in Planegg, wo laut DeNIC und whois die furchterregenden Sentinels von Dotcomtod nur darauf lauern, endlich wieder zuschlagen zu können.

*** Im Zeichen der Nullanpassung feiern wir heute mindestens zwei wichtige Geburtstage. Der jüdische Cowboy Kinky Friedman wird 60 Jahre alt. Wir singen:

No, they ain't makin' jews like jesus anymore,
We don't turn the other cheek the way they done before.

So viel zur politisch korrekten Nullanpassung. "Bleib besser in der Küche und befreie den Ausguss", singe ich nur beim Abwaschen. Ein weiteres Geburtstagsständchen ist für Neal Stephenson fällig. Obzwar vergleichweise jung an Jahren, hat er große Werke wie das Cryptonomicon und noch größere über die Kommandozeile verfasst.

*** Mit einem 209 Jahre alten Geburtstagskind kommen wir zu den Abschiedsgrüßen dieser Woche. Warum habe ich heute Nacht gelacht?. Doch nur, weil ich glücklich bin, in diesem kurzen Leben Peel-Sessions gehört zu haben. Nun ist John Peel, der größte Radio-DJ aller Zeiten, gestorben. Es muss krachen! Wem Größter zu vermessen klingt: So wird das Radio nie mehr sein, das Internet ist da. Für seine Autobiografie hatte John "Needletime" Peel 1,5 Millionen Pfund Vorschuss kassiert. Kurz vor seinem Tod bekannte er, dass er mit einem versehentlichen Druck der Del-Taste den größten Teil seines Werks gelöscht hatte. Natürlich glauben wir ihm, während die Techniker über seiner Festplatte verzweifeln.

*** All Hallows Eve a.k.a Samhain a.k.a Halloween naht. Die Trolle haben Freilauf. Gar wundersame Sagen und Märchen über Trolle machen die Runde. Besonders Unerschrockene machen sich auf die Suche nach neuen Halloween-Papieren. Zaghaftere Naturen vertrauen lieber neuen Studien, die dieser Tage erwartet werden. Ja, zu Halloween zeigt sich das Netz von seiner unheimlichen Seite. Da werden Webseiten abgemahnt, die angeblich werbende Nachrichten verbreiten und schwuppdiwupp sind noch die distanziertesten Links schwer kriminell. Darf man sich nullangepasst noch einen Teich voller Gen-Milch wünschen, in dem die Klagen verklappt werden?

Was wird.

Wenn die Woche startet und wir in der norddeutschen Tiefebene den "Westfalentag" geduldig ertragen, dann geschehen bei den Kranken noch Zeichen und Wunder. Nein, weder Castro noch Arafat sind gemeint. Ein Eckpunktepapier zur Betriebsorganisation der deutschen elektronischen Gesundheitskarte wird auftauchen und das erklären, was niemand mehr glauben will, der sich mit den Details der Produktion von Smartcards beschäftigt: Am 1.1.2006 werden wir alle das i-Tüpfelchen in den Händen halten, eine Gesundheitskarte, eine kleine Habseligkeit, die uns die Liebe zu den einfachen Dingen beschert, das vertrauliche, lange Gespräch mit dem Arzt, während sich die Karten von Arzt und Patient gegenseitig identifizieren. Man darf getrost von einem Kartenwunder sprechen, was uns beglücken wird. Es gibt ja auch ein Krankenkassenwunder: Obwohl die Gesundheitsreform erfolgreich ist, produziert sie falsche Zahlen, mit denen die Krankenkassen auch noch jonglieren. Ob das noch unter Nullanpassung fällt?

Wie schön ist es, dass wir uns den leuchtenden Kinderaugen widmen können, weil das Fest der Habseligkeiten naht und wir von Forrester Research so trefflich beraten werden. Das Topgerät für den Gabentisch soll angeblich ein Ogo von AT&T Wireless sein, mit dem Instant-Messaging und Text-SMS trendgerecht verschickt werden. Aber liebe Kinder, gebt fein acht, mit wem ihr da kommuniziert: Seitdem die LKW-Maut in der Generalprobe so erfolgreich läuft, fleuchen immer mal wieder SMS-Nachrichten von dem OBU, die eigentlich zum Abrechnungszentrum geschickt werden, in das öffentliche Netz. Wer auf diese seltsamen Nachrichten reagiert, der wird nicht etwas abgeschmettert, sondern zur OBU durchgelassen. So erfährt der Turingtest eine neue Dimension, wenn die OBU auf "anw" (nein, nicht der Heise-Redakteur, sondern ein schlichtes Aufnimmerwiedersehen) mit den Ortskoordinaten antwortet. Hier hilft nur NA.

Die Chronistenpflicht gebietet es, auf die Wahlen in den USA hinzuweisen, gegen die Europa mit seiner neuen Verfassung und einem doch tatsächlich wegen mangelnder political correctness abgesägtem Kommissar nicht ankommt. Und weil die Musik zu kurz gekommen ist, darf jetzt Bruce Springsteen zu Worte kommen. Denn was ist Sicherheit für eine arme Habseligkeit, wenn die Meinungsfreiheit am Ende ist? Wenn der Grand Canyon offiziell von der Sintflut geschaffen wurde und unser neuer Vetter ein Werk des Teufels ist? (Hal Faber) / (jk)