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Was war. Was wird.

Das Bundesverfassungsgericht, die Klinsmannschaft, ein grenzgängerischer Ursus arctos und der Bundesnachrichtendienst haben diese Woche für derart bemerkenswerte Ereignisse gesorgt, dass Hal Faber fast ins Schwärmen kommt.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Leser, was ist das Leben schön! In dieser Woche sind so viele tolle Dinge passiert, angefangen bei der fungierenden Viererkette der Klinsmannschaft bis zur Wiederausbürgerung des Stoibären nach Österreich, dass einfach ein Jubel-WWWW fällig ist. Ja, dieses WWWW ist eine einzige Feel Good Suppe. Jubel, jubel tralala, nicht dieses nicklige Genöle gestandener Altlinker, auch wenn sie gerade die schönste Stadt der niederdeutschen Tiefebene bezaubern. Ja, "der Ball ist rund wie die Welt", hieß es einmal in einer offiziellen deutschen Fußball-Hymne, tralala, und die Welt ist rund wie der Ball. Das ist doch schon was.

*** Das herausragende Ereignis der Woche hat diesmal wieder das Bundesverfassungsgericht geliefert, und zwar mit seinem Urteil zur Rasterfahndung. Nach den Abschussphantasien militanter Politiker hat es der Schnüffelhysterie derselben Politiker einen Riegel vorgesetzt, mit zahlreichen Konsequenzen für Polizeigesetze und Zuverlässigkeitsüberprufungen aller Art. Eine Rasterfahndung, die 32.000 Menschen in eine "Schläfer-Datei" spült, dieser Unfug, der ganze Bevölkerungsgruppen ausgrenzt, ist erst einmal passé. Doch wer bereit ist, Bürger mit Data Mining zu bespitzeln, wird sicher bald mit irgendeinem Vorrats-Daten-Raster kommen und laut tönen, dass das Grundgesetz geändert werden muss, damit Terroristen keine Chance haben. Jubel, jubel, trallala, auch wenn es ein bisschen traurig und beschämend ist, dass ein Verfassungsgericht im Jahre 2006 diese Zeilen schreiben muss:

"Die Verfassung verlangt vom Gesetzgeber, eine angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen. Das schließt nicht nur die Verfolgung des Zieles absoluter Sicherheit aus, welche ohnehin faktisch kaum, jedenfalls aber nur um den Preis einer Aufhebung der Freiheit zu erreichen wäre. Das Grundgesetz unterwirft auch die Verfolgung des Zieles, die nach den tatsächlichen Umständen größtmögliche Sicherheit herzustellen, rechtsstaatlichen Bindungen, zu denen insbesondere das Verbot unangemessener Eingriffe in die Grundrechte als Rechte staatlicher Eingriffsabwehr zählt. In diesem Verbot finden auch die Schutzpflichten des Staates ihre Grenze."

*** Nur um den Preis der Weißung vieler Passagen ist in dieser Woche endlich der Schäfer-Bericht (PDF-Datei) über die Beschattung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst (BND) erschienen. Das Schöne an diesem Bericht ist nicht die Bestätigung, dass Journalisten beschnüffelt wurden und dies hart an der Grenze zum Gesetzesbruch geschah. Das Schöne ist auch nicht die Bloßstellung, wie strunzdumm die Firma Guck & Horch bei aller proklamierter Informationsüberlegenheit arbeitet, inklusive der Verbreitung unverschlüsselter E-Mails. Wie sich der BND blamiert, kann man ja ohne große Untersuchung in der Zeitung lesen. Nein, das Schöne ist, wie jede Illusion, die man vielleicht noch über den Journalismus (PDF-Datei) haben kann, mit dem Getratsche über Honorare und Pöstchen gründlich ausgepült wird. Auf Seite 96 kann man lesen, wie ein Mensch wahlweise vom "freien Journalisten" zum "Informationsmanager auf wissenschaftlicher Basis" changiert. So fliegt ein jeder mit seiner persönlichen Grauzone durchs Leben, als Krähe. Nur schade, dass niemand in der Presselandschaft, die vorab ordentlich aus dem ungeweißten Bericht zitierte, sich an amerikanischen Sitten orientierte.

*** Gleich nach dem internationalen Handtuchtag kam ein richtiger Feiertag: Mehdorn hat nicht nur eine neue Auster, sondern auch einen neuen Bahnhof. Was schreibe ich, einen Bahnhof? Nein, Mehdorns Schlafzimmer ist fertig geworden, ein wunderbares Symbol für Deutschland, wie unsere Kanzlerin meint. Wenn es symbolisch ist, wie ein Architektenentwurf für 40 Millionen Euro Mehrkosten einfach beschnitten wurde und ordinäre Blechdecken von einem engstirnigen Bahn-Manager angeordnet werden, dann ist das Deutschland. Jubel, jubel, und ein Tralala für die Attraktion des Berliner Hauptbahnhofes, komplett mit einem neuen, attraktiven Dateiformat.

*** Aus der Sicht eines Sexarbeiters oder einer Sexarbeiterin ist der vorzeitige Abgang eine tolle Sache, eben schnell verdientes Geld. Nicht anders sieht es bei den Content-Huren der Blogosphäre aus, die in den eigens aufgestellten Verrichtungsboxen der Medienindustrie in Köln nur noch Gesprächsfetzen sammeln konnten. Unter ihnen welche, die es grotten langweilig fanden, warteten sie doch nur darauf, dass es wieder losgeht mit dem tollen Wagen auf den tollen deutschen Autobahnen und mit frischen Texten für bessere Autos. Da ist der mit einem schlichten Corsa gesegnete Fahrer dieser Wochenschau, ein "Meister des jouranlistischen ejaculatio praecox" ganz gerührt, wirrlich. Ich hoffe mit dem für 1200 Euro "Aufwandsentschädigung" gefütterten unvoreingenommenen Autotester, ihm mögen vor der absehbaren Dementia praecox noch weitere knallharte Kritikpunkte einfallen wie "Der Reißverschluss des Schlüsselanhängers ist abgebrochen". Darauf muss man erst einmal kommen. Professionellen Autotestern wäre gar nicht aufgefallen, wieviel Verbesserungspotenzial in dem Reißverschluss vom Schlüsselanhänger liegt, wo doch der Schlüsselbund drauf und dran ist, die Brieftasche abzulösen.

*** Das wunderbar Sympathische an dem ganzen Geschwurbel um Web 2.0 und die Good Feel Software ist ja die Tatsache, dass jede, aber auch jede Peinlichkeit bekannt wird, sei es durch Blogs, Flickr-Exhibitionisten, Podcasts oder Vlogs und, tralala, auch durch Abmahnungen. Aus denen klar hervorgeht, dass Web 2.0 nichts anderes ist als die "FIFA Fussball WM 2006", eine Abzocke cleverer Verlage mitsamt ihren Verlags-Vordenkern. Das Ganze erinnert an eine andere Industrie, die gerade Honeypots legalisiert hat und richtig gute Hacker einsetzt. So schön, so aufregend kann das Leben sein.

Was wird.

Bekanntlich haben wir bald die Welt zu Gast bei Freunden. Sie muss nur einreisen und aufpassen, wo in Deutschland die no-go-areas sind und auf Rückendeckung achten. Passend zur Ankunft der Welt probiert alle Welt in Berlin aus, wie das eigentlich funktioniert mit den hübschen biometrischen Reisepässen, mit denen die Terroristen ausgesperrt werden können. Nach der Logik, warum diese Tests erst jetzt stattfinden und nicht vor Beginn der allgemeinen Passdruckerei, sucht noch der Logikbeauftragte der Bundesregierung. Das testbegleitende Konferenzprogramm zeigt, das Relaxing das Gebot der Stunde ist.

Packen wir noch karibische Rhythmen dazu, so wird für die Fans alles getan, bis zum Bratwurst Point of no return. Vielleicht wollen sie dann da bleiben, es ist ja so cool hier by us. Vielleicht bietet sich ihnen ja ein Plätzchen in der Coca Cola Heimspiel WG an oder bei den Profis von Weallspeakfootball, ist das nicht toll? Weall speakfoo T-Ball. Vertreiben wir die Problembären mit guter Laune, positiver Energie und strahlendem Sonnenschein. Tanzen wir die Viererkette, hören wir die volle Dröhnung der Nonette! Von mir aus auch Hirviöheviyhtye Lordi teki viisuhistoriaa, wenngleich es nicht unkomisch ist, dass die Songs der Website offenbar von anderswo geliehen werden mussten. Zum Krankwerden mit der ganzen IT für die neue Gesundheitskarte ist noch Zeit genug. Und zum Aufregen über Politiker, die die E-Mail besteuern wollen, ist die Zeit einfach zu schade. (Hal Faber) / (anw)