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Was war. Was wird.

Das Geheul kann nicht laut genug sein, meint Hal Faber. Oder was soll man von Gastgebern halten, die Freunde in den Hochsicherheitstrakt einladen, von Schläfern, die sich nicht selbst gebettet haben wollen, von Majors, die keine Musik mehr produzieren?

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Es sollte keinen Unterschied geben zwischen dem, was wir niederschreiben und dem, was wir wirklich wissen, so wie wir es jeden Tag miteinander erfahren. Und die Heuchelei in der Literatur hat ein Ende." Nein, das ist kein Kommentar zu der Frage, ob Handke eine Meise hat oder eher die vor Aufregung aufgeplusterten Auslegehennen des deutschen Feuilletons. Dieser Satz stammt von Allen Ginsberg, der Geburtstag hat, wenn diese kleine Wochenrückschau in der norddeutschen Tiefebene zusammengestellt wird. Ginsberg, der große jüdische Dichter und Free-Speech-Aktivist, der mit "Wichita Vortex Sutra" das Ende des Vietnam-Kriegs erklärte, dessen Gedicht "Das Geheul" ein wichtiges Dokument im Kampf um die Freiheit des Wortes war und schön obendrein:

Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom
     Wahnsinn, ausmergelt hysterisch nackt,
wie sie im Morgengrauen sich durch die NebenstraĂźen schlepp-
     ten auf der Suche nach einer wütenden Spritze,
Hipster mit Engelsköpfen, süchtig nach dem alten himmlischen
     Kontakt zum Sternendynamo in der Maschinerie der Nacht.

Dessen Amerika ohne weiteres im Kontext von Haditha gelesen werden kann.

*** Doch was hat Ginsberg mit der ganz banalen IT zu tun, über die hier Woche für Woche, Monat für Monat berichtet wird? Ist es das anschwellende Geheul über Heise? Über ein Haus, das Möchtegern-Zampanos als Microsoft arschbekriechenden Verlag verreißen, weil sie schlicht keine Ahnung haben vom Technikjournalismus und nicht einmal richtig lesen können. Ja, sollte es etwa im Journalismus einen Unterschied geben, zwischen dem, was wir messen und dem, was wir schreiben? Zur Frage der Glaubwürdigkeit gehören in der IT vernünftige Tests. Das ist einfacher geschrieben als getan: Es ist über 10 Jahre her, dass ich bei einem SSBA-Test einem System aufgesessen bin, das "originalverpackt" ankam und insgeheim genau auf diese Testsuite hin optimiert worden war.

*** Ja, Testergebnisse werden, genau wie bei der Stiftung Warentest, an die Firmen geschickt. Die Tests sind offengelegt, die Ergebnisse ebenfalls, ein Verfahren, das man ruhig "Open Journalism" nennen kann. Die empörten c't-Leser, die sich nun in Scharen zur Kündigung des Abonnements gezwungen sehen, sitzen der seltsamen Darstellung einer Zeitung auf, die traditionell ein großes Geheimnis um ihre Testlabors und ihre Tests macht. Ansonsten gilt, ich kann es selbst beim netten Onkel Heise nicht versöhnlicher formulieren: "Datenträger auf Computerzeitschriften sind Drogenhandel". Und zum Drogenhandel im IT-Journalismus gehören die Junkies, die Zeitschriften ohne CD und DVD nicht kaufen. Und eins, zwei, drei: "Denn wie man sich bettet, so liegt man. Es deckt einen da keiner zu. Und wenn einer tritt ...".

*** Zum alten Mahagonny-Song sei an Josephine Baker erinnert, die 20 Jahre vor Allen Ginsberg als Tochter eines jüdischen Schlagzeugers und einer schwarzen Wäscherin geboren wurde. Die für die Résistance arbeitete und später den Mut hatte, die erste Regenbogenfamilie zu gründen.

*** Und wo wir schon bei der Musik und den Anwandlungen von Mainstream und Avantgarde sind: Von Miles Davis, der vor ein paar Tagen eigentlich 80 geworden wäre, gibt es ja neuerdings nicht nur die Cellar Door Sessions komplett auf CD, von denen etwa der geniale Bassist Marcus Miller meint, sie böten noch viel Anlass, nach Neuerungen und anderen Wegen im Jazz zu fahnden. Die Prestige Sessions des klassischen Miles Davis Quintets darf man sich ebenfalls nun komplett zu Ohre führen, und das nicht nur auf CD, sondern auch in einer von DRM freien MP3-Fassung auf meinem Lieblings-Musikdienst EMusic. Die fulminante Gesamtschau Holy Ghost über Albert Aylers hohe improvisatorische Kunst sei in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt. All das Gemotze über die Branche und ihre abstruse Kontrollmanie, die Kunden nur als Verbrecher sieht, ist ja völlig richtig – und doch sind die Labels ab und zu noch zu solchen Wiederveröffentlichungen fähig. Kein Wunder eigentlich: Leicht verdientes Geld ist das mit diesen "legacy releases". Was aber die Majors heutzutage unter Musik verstehen, sieht man nicht nur an solche Auswüchsen wie Tokio Hotel, sondern auch an Popjazz-Anwandlungen wie den neuesten Ergüssen von Till "Kaulitz" Brönner. Was soll man jammern, wenn eine Branche den Bach runtergeht, die kaum noch Besseres unter ihrer Ägide wachsen lässt und ihre Bestrebungen auf Strafverfolgung konzentriert? Wenn sie nicht einige Indies und Dienste wie EMusic mit sich in den Abgrund reißen, ist der Tod der Majors das Beste, was der Musik passieren kann.

*** Zu den erfreulichen Nachrichten der Woche gehört die Meldung, dass Mausklicks unschädlich sind und Online-Demos nicht wirklich gewalttätig. Zu den unerfreulichen Nachrichten gehört dagegen, dass heute der Tag der Kinder ist, die inmitten von Kriegen und Kämpfen leben müssen. Die niemals auch nur die leiseste Chance haben, eine so schöne und obendrein erfreulicherweise prämierte Suchmaschine wie Blinde Kuh zu benutzen. Die nur geringe Chancen haben, den nunmehr 130 Dollar teuren Laptop zu bedienen, der die Welt zu einer besseren machen soll. Aber haben es die Kinder in diesem unseren Land besser? Die erfreuliche Nachricht dazu: "Wir Europakinder", das Stück von Roland Moed vom Club der polnischen Versager erhält den mit 10.000 Euro dotierten Kunstpreis der Sammlung Noack. Der traurige Schluss, dass es die Kinder Europas, ob ohne oder mit Computer, beschissener haben denn je, den streichen wir hier. Das will niemand lesen. Sollen sie doch Straßenfußballer werden! Dann ist wenigstens Schluss mit dieser Peinlichkeit, die sich deutsche Nationalmannschaft nennt und sich weit weg von den proletarischen Ursprüngen bewegt.

Was wird.

Ja, so sehen gekonnte Steilvorlagen aus: Natürlich kann es in der kommenden Woche kein wichtigeres Thema geben als die Fußball-WM. Wenn Grillwürstchen nur noch mit Trillerpfeife verkauft werden und das Gemurkse in der deutschen Abwehr mit ihren vertikalen Pässen als "Laufwege zum Glück" gelten. Wenn "Ihr und wir zum Titel Nummer 4" gereimt wird, es aber klar wie Kloßbrühe ist, dass Welten zwischen "Ihr" und "Wir" liegen. Denn offensichtlich gilt, dass für VIPs andere Regeln gelten als für ganz gewöhnliche Schweine ohne Clearing Points. Die sicherste WM der Welt liefert uns Spiele im Hochsicherheitstrakt; und nur naive Naturen werden daran glauben, dass die Notschlachtung unserer Bürgerrechte hinterher wieder abgeschafft wird. Vielleicht ist es das eigentliche Wunder von Berlin, dass die Sicherheits-Chips noch einfach in den Tickets sitzen und nicht im Körper. So gesehen hat es seine Richtigkeit mit der Dialektik, wenn die Welt zu Gast bei dienstlich ins Stadion befohlenen Freunden ist.

Sollte es wirklich etwas anderes geben als Fußball? Gibt es ein Leben neben Klinsi, Lahm und Kahn? Kann es denn sein, dass Leser etwas ganz anderes lesen wollen und schon gar nicht diese tief in der Ebene liegende Wochenschau? Bald werden wir es wissen. Denn kräftig rumort es in den Verlagen, die verzweifelt nach Inhalten schürfen. Gut bezahlte Blogger sind es, die die Wende einleiten und das Wegbröseln der Leserscharen verhindern sollen. Manchmal sind sie auch gar nicht bezahlt und eröffnen dafür gleich mit 20 Millionen Mitarbeitern. Auch in der norddeutschen Tiefebene ist gekonnter Content gefragt, natürlich nur zum Thema Datenschutz. Wenn Orwell Realität ist, dann muss die Zukunft surreal sein. Sabrinas Hang, sich im Internet zu profilieren, bereitete uns immer schon die wundersamsten Probleme, nicht nur der wunderschönen Augen wegen. "Darling, was machen wir da blos?" Das werden wir zu meiner nächsten Lieblingskonferenz erfahren, die nicht Web 2.4 heißt, sondern fortgeschritten ist und zum vierten Mal zum Nachdenken anregt, nicht zum Nachplapprn, Flickrn und Fischrbrrchn. Erstr? (Hal Faber) / (jk)