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Was war. Was wird.

Fressen, saufen, tralala. Ist das gesund? Keine Ahnung, meint Hal Faber, dem das auch herzlich egal ist, solange tückische E-Mails sich nicht in Selbstmordanschlagsabsicht selbst in die Luft sprengen.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eigentlich bin ich zu dick. Ja, meine Frau sagt das auch immer: Iss weniger, nimm ab. Und, ja, ich geb's zu: Ich bin zu dick. Möglicherweise ess' ich sogar das Richtige, aber zu viel. Da mögen noch so viele Verzehrstudien daherkommen mit ihren Unterschichtsressentiments und ihren Parolen des Klassenkampfs von oben, da mögen noch so viele Gelberüben futternde Seehofers in die Kamera grinsen: Ich bin zu dick, weil man gerade von den guten Sachen gerne zu viel isst. Ginge ich nur zu McDonald's, würde ich wahrscheinlich verhungern. Igitt. Also ist es derzeit halt so, wie es ist: Ich bin zu dick. Was mich zu der Frage führt, was eigentlich so das Lieblingsessen eines WWWW-Lesers ist? Wachtelbrüstchen auf Sauerampfermus? Zwiebelsteak mit Pommes? Fish'n'Chips? Ossobuco mit Kürbis und gebackenen Kartoffeln? Spinat-Lasagne? Mit Pesto überbackener Seeteufel im Tomatenbett? Jetzt bin ich gespannt. Und verspreche, zwar eine Lieblingsessensliste zu veröffentlichen, aber keine Kochshow aus dem WWWW zu machen.

*** Aber nicht nur ich bin zu dick, auch die Sprüche mancher Leute. Die sind dann aber noch weitaus ungesünder als gutes, reichliches Essen: Es geht noch was, meine Herren Sicherheitspolitiker von der Sicherheitskonferenz, so richtig vollgestopft sind wir noch nicht. Die NATO hat 50.000 Soldaten in Afghanistan und ist erst seit 6 Jahren dabei, das Land zu verschönern. Die Sowjetunion hatte 100.000 Soldaten und 10 Jahre gebraucht, bis die Erkenntnis dämmerte, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist. Da geht noch was, da ist noch Platz. Die angeordnete geographische Korrektur ist schlicht und wirkungsvoll: Der Norden wird jetzt auf ganz Afghanistan ausgeweitet, juchhu, juchhei, wir sind dabei. Halt, noch ist es nicht soweit, auch wenn die Außenkämpferlobby sich schwer anstrengt. Bis dahin lesen wir schöne Formulierungen wie die, dass Deutschland sich am Rubicon der Kampfeinsätze befindet. Oder dass die Reifeprüfung der deutschen Politik bevorstehen soll. Doch wo Reife ist, ist das Faulende nah, um es mit Herrn Goethe zu formulieren. Das Faule ist in diesem Fall die neue Terrorhysterie, komplett mit deutschen Untertiteln. Zünftiger Frontalunterricht, gefilmt und ins Internet gestellt, wird als Forcierung der tödlichen Bedrohung gewertet.

*** Dann sind da noch die tückischen E-Mails, mit denen alles angefangen hat, bei den Kofferbomben, einem von mehreren "Planungssträngen" der Al-Qaida. Da muss doch was getan werden, wie auch der Richter befindet: "Schauen Sie uns an! Wir möchten Ihr Gesicht sehen! So, jetzt sind Sie quasi online!" Hoffentlich mit den richtigen arabischen Untertiteln, so geht Forcierung andersrum.

*** Eine neue Forcierung bekommt auch Christian Klar zu spüren, dem die Hafterleichterungen gestrichen wurden, weil er fliehen wolle. Zur Begründung der Ausgangssperre dient ein lobendes Schreiben der "militanten gruppe" und die rechtsfeindliche Einstellung des Häftlings, der seiner Zeugenpflicht nicht nachkommen will. Neben den bewachten Ausgängen ist offenbar auch das Ausbildungsprogramm gestrichen, das auf ein Leben nach der Haftzeit vorbereiten soll. Passend dazu gibt es einen neuen Gesetzentwurf zum Allzweckparagraphen 129a, der die "Sympathiewerbung für kriminelle und terroristische Vereinigungen" wieder unter Strafe stellt, wie 2003 gestrichen. "Gerade in einer Zeit gegenwärtiger Bedrohung durch terroristisch motivierte Anschläge könne es nicht hingenommen werden, dass derjenige straffrei bleibe, der dazu aufrufe, sich mit den Zielen solcher Vereinigungen zu solidarisieren." Wer schreibt, er rechne mit der Niederlage der Pläne des Kapitals und der Chance, dass die Tür eine andere Zukunft aufgemacht werden kann, muss ein lebenslanges Türverbot bekommen, mindestens.

*** Wenn etwas den abgewrackten Zustand der Musikindustrie verdeutlicht, dann sind das wohl Pressemeldungen wie dieses "Fact Sheet Amy Winehouse", das mit den Worten beginnt: "Mit 24 Jahren ist Amy Winehouse bereits dort angekommen, wovon andere ein Leben lang träumen." Ganz unten also, komplett mit Reha und Entzug; die Musikindustrie organisierte sowas gerne Hollywood-reif als wohlfeile Reue drogensüchtiger Halbstars und nennt das ganze "Rehab", was Amy Winehouse schon musikalisch weit von sich wies. Ganz unten aber hält sich schon länger Michael Jackson auf, dessen geniales Thriller-Album neu aufgelegt wurde. Neu abgemischt, eine faulige Trostlosigkeit ohnegleichen, die Quincy Jones sicher im Grab rotieren lässt. Was muss man dieser Industrie noch wünschen, die solche Verbrechen an der Musikgeschichte begehen kann?

*** Und nein, Michael Jackson ist nicht zu dick, auch wenn manche in ebenfalls bereits der Unterschicht zurechnen. Aber ganz unten, ja, da ist es wenig gemütlich, ganz unten ist es – dick oder nicht – eher ungemütlich. Das lernen auch die letzten Verteidiger des Volksaushungerungsprogrammes namens Hartz IV, die allen Ernstes vorrechnen, wie man sich vom Transfereinkommen vollständig, gesund und wertstoffreich ernähren kann – ohne Alkohol und Zigaretten. Spaghetti Bolognese, Gemüsesuppe mit Fleisch und Bratwurst mit Sauerkraut im Wechsel propagiert der Kleinstclement von Berlin, Thilo Sarrazin. Wer von dem Weg der Tugend kommt, dem droht so Furchtbares wie das Huhn in Handschellen. Da lob ich mir unser Lieblingsessen. Aber was war das nochmal gleich?

*** Aber von wegen zu dick im Zusammenhang mit ungehörten Tönen: Zu dick aufgetragen ist manches ja auch. Denn es ist ja nicht so, als würde ich das Esbjörn Svensson Trio (in marketingtechnisch modernisierter Schreibweise gerne als e.s.t. tituliert) nicht manches Mal als nette Begleitmusik hören, auch wenn sie zunehmend langweiliger wurden und mit "Viaticum" endgültig als Bobo-Jazz durchgingen, der passend zu Barcamps und Bloggervermarktungsaufgalopps gespielt wurde. Aber seit ein paar Wochen kommt immer wieder "Live in Hamburg" in den CD-Spieler bzw. den MP3-Streamingclient – denn dieses Livekonzert straft alle Vorurteile und abwertende Beschimpfungen, die über e.s.t. hernieder regneten, Lügen. Changierend zwischen Free Jazz, Swing und Blues, und doch all diese Stile und Kategorien nie wirlich treffend, kurz vor der Umsetzung einhaltend (und das Mitklatschen des Publikums während einer Bass/Schlagzeug-Sequenz wirkt äußerst deplaziert), ist es wohl das Spannendste und Anregendste, was man neben Wollny/Kruse/Schaefer und Jarrett/Peacock/DeJohnette heute an Trio-Jazz vernehmen mag. Ja, ich geb es zu, ich bin nicht nur zu dick, ich muss auch eine frühere, etwas apodiktisch vorgebrachte Bewertung korrigieren. Um gleich neue hinzuzufügen: Jason Moran klimpert da doch ziemlich hinterher, und Brad Meldau kommt schon gar nicht nach.

*** Apropos dick und hinterher kommen: Hats off to the tinkerers. heise online ist in Großbritannien gestartet, mit offizieller Unterstützung des Ministry of Silly Walks (Ministerium für dumm gelaufen) und einem Off-Topic-Forum, in dem die ersten Schlachten ausgetragen werden, wie denn eigentlich Linux-Frickler korrekt übersetzt wird. Die Nation der Fish'n'Chips-Esser ist auch zu dick, fremdelt aber noch etwas ob der komischen Fischrüberreich-Sitten, die im schicken neuen Forum ausprobiert werden. Was ist, wenn am Ende die Sache mit dem englischen Humor eine typisch deutsche Erfindung ist, wie diese Vorstellung der Wisdom of Krauts?

Zur Feier der neuen Line Extension muss ich natürlich Shakespeare bemühen, den größten Barden aller Zeiten. Auf deutsche Zunge beschränkt zitierend:

Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild;
ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht
Sein Stündchen auf der Bühn', und dann nicht mehr
Vernommen wird: ein Märchen ists's, erzählt
Von einem Dummkopf, voller Klang und Wut,
Das nichts bedeutet.

*** Der Link zu den wunderbaren Sätzen geht natürlich zum neuzeitlichen Ministerium dumm gelaufen, besser bekannt als Groklaw. Es kündet heuer davon, dass SCO langsam sein Unix-Business vaporisiert und offenbar die 30 Leute entlässt, die den letzten Strang dieser Entwicklung am Puckern gehalten haben. Das alles 50 Jahre nach dem Start der Agentur, die das Project MAC in Windeln bettete. Ein Märchen, verklagt von einem Dummkopf, geht zu Ende, und die Komödianten und Artisten versammeln sich in der Zirkuskuppel, ratlos wie immer. Wer will, kann diesen Satz in diesem SCO-Kontext auf Linux beziehen: "Die Utopie wird immer besser, während wir auf sie warten."

Was wird.

Immer besser wie in "wäscht immer weißer" vielleicht? Vor dem Wahlkampf ist nach dem Wahlkampf. Besonders in Hamburg, wo ein Abenteurer durch die Stadt streicht. Michael Naumanns Programm wird nur von dem der FDP getoppt, die gegen den Leinenzwang für Raucher kämpft – oder so. Auf alle Fälle betreibt sie dafür ein Kühlschrankmarketing, das raffiniert die ganze Klaviatur des Internet nutzt, auch wenn die Tasten offenbar mit der Dachlatte geprügelt werden. Dass es ein und dieselbe Partei ist, die gegen Vorratsdatenspeicherung, die Online-Durschuchung und andere Demontagen von Bürgerrechten antritt, die einen Theodor-Heuss-Preis vergibt, der für "bürgerschaftliche Initiative und Zivilcourage" verliehen wird, ist schwer fassbar. Ist aber so. Ok, der Wahlslogan "Leinen los – Hunde nicht an Menschen fesseln", der hat etwas sehr Freiheitsliebendes an sich. Hunde-Besitzer mit Agility-Fimmel können ja so eine knappe Wahl entscheiden.

So gibt mir die FDP eine pitbullmäßig steile Überleitung zur Nachricht, dass in Kürze das Urteil zu Online-Durchsuchungen zu erwarten ist. Eile ist geboten, da kann man schnell ein paar Besänftigungen an die Gesetzesvorlage bappen, wenn Deutschland Teil eines stetig ansteigenden Bedrohungsraumes ist und allergemeingefährlichste Werkzeuge einfach so im Internet angeboten werden, komplett mit englischen Untertiteln und Menüs. Genau, Menüs. Ach, ja, ich denk schon wieder ans Essen.

Sonst noch was? Ach ja, das Waisenkind Yahoo will nicht zu Big Mama Ballmer. Sagt es zumindest. Wer's glaubt ... Mit ein paar zusätzlichen Süßigkeiten wird's schon klappen. (Hal Faber) / (jk)