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Was war. Was wird.

Arzt hätte er werden sollen oder wenigstens Wurstmacher wie andere in Hannover. Doch kam es schlimmer und er wurde Journalist. Statt Bregenwurst serviert Hal Faber heute die ungeschminkte Wahrheit.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Meine Eltern hatten viel mit mir vor. Arzt sollte ich werden oder mindestens Schlachter und Wurstmacher, eine gerade in Hannover sehr beliebte Profession. Doch es kam schlimmer, damals, in den siebziger Jahren. An der Schule wurde Boole'sche Algebra gelehrt, wir lasen die Märchen von Wilhelm Reich und stöpselten im Computerraum viele lange Nachmittage an verrückten Schaltungen herum. Ich verliebte mich in einen Taschenrechner mit der "α"-Taste, lernte "polnisch", jobbte als Auslieferungsfahrer für Tisch- und Taschenrechner. Es kam noch schlimmer: Ich entdeckte CP/M, von der Taschenrechnerfraktion als verfettetes Ungeheuer verschrien und den Electric Pencil von Michael Shrayer - und ich wurde Journalist. Das ist ein seltsamer Beruf, über den man gerne Witze reißt, aber ich will wenigstens einmal in meinem Leben die ungeschminkte Wahrheit aufschreiben, zumal dieser Beruf gerade in einem Newseum eingemottet wird – wie man das mit ausgestorbenen Sachen halt macht. Das Newseum ist angeblich das interaktivste Museum der Welt, also eine Art Live-Ausstellung von Microsoft Bob, da kommt vielleicht die ungeschminkte Wahrheit nicht rüber, wenn Karl Klammer laufend dazwischenredet.

*** Ungeschminkte Wahrheit Nr. 1: Jedes Mal, wenn ein Journalist zur Feder greift oder in die Tasten haut, wird die Welt ein Stückchen ärmer. Das lernte ich schnell, als ich vor dem dunklen Schirm saß. Journalismus war damals wie heute nicht sonderlich beliebt, es sei denn, man arbeitete für die St. Pauli Nachrichten oder die c't. Deren Leser standen halt auf Sex oder auf Hardcore und manche finden es immer noch spannend. Wer redete denn davon, dass 640 KByte genug für alle sind? Nein, nein, 3 KByte sind mehr als genug. Es muss ja nicht ein ganzes WWWW (10 KByte) zusammengeballert werden. Das bringt mich zu der schwer philosophischen Frage, ob Windows kollabieren kann, ob all der Code in einem schwarzen Loch verschwindet und unsere Welt einen Klick ärmer ist. Was aber, wenn Windows kein Chaos oder ein tanzender Stern ist, sondern ein oller Gletscher - oder gar ein unfassbar großes Sniglet? Und was wird sein, wenn dieses Gebilde zu Microhoo mutiert? Nein, ich will es nicht beschreiben und der Zu(ku)nft ihren Glanz nehmen.

*** Ungeschminkte Wahrheit Nr. 2: Wenn es eine Nachricht ist, wird sie schon den Weg zu mir finden. Journalisten recherchieren nicht, sie warten, bis die Nachricht virusartig auf dem Bildschirm ploppt. Wenn es ein Newseum gibt, ist viruseful vielleicht die beste Art, den Journalismus zu definieren. "Schreib's ab, Kusch", ist die zeitgenössische Devise, während der Rest im Museum zu sehen ist. Machen wir uns nichts vor: Ein Großteil der Neidkomplexe von Journalisten gegenüber Bloggern hat damit zu tun, dass diese so vernetzt sind und die alte Journalistenwahrheit gelassen übernehmen können. Die Nachrichten finden ihren Weg. Jaja, die Blogger machen das schon. Wer braucht schon Recherche, wenn selbst das netzwerk recherche die Macher von Adical einlädt, um zu erfahren, wie das mit dem Johurnalismus funktioniert? Wenn wir alle nur auf die Nachrichten warten, dann schadet es nicht, ein bisserl PR hineinzumischen. Ich laufe ja auch nicht immer in demselben alten OS/2-T-Shirt unter der Nokia-Jacke herum.

*** Ungeschminkte Wahrheit Nr. 3: Seit Liberty Valance kennt die Welt den wichtigsten journalistischen Grundsatz: "When the legend becomes fact, print the legend." Landauf, landab wird dieser Tage das Attentat auf Rudi Dutschke diskutiert und wieder einmal schlägt das Stündlein der letzten Schlacht. Hach, wie befreiend alles war, wie lustvoll frei von jeder Wahrheit entfernt. Wie war das noch mit dem jüdischen Zahngold und der Bombe? Vielleicht sollte man die ollen linken Kamellen entsorgen, es gibt ja immerzu frische, linke, wie das Innenministerium mitgeteilt hat. Dank der Gipfelpanik von Heiligendamm ist die politische Kriminalität der Linken gestiegen, die der Rechten gefallen. Daraus lässt sich eine Legende machen. Nur sollte man dann den dramatischen journalistischen Text nicht mit einer erläuternden Infografik verunzieren und lieber vor den nächsten Rotten warnen.

*** Weitere Wahrheiten gibt es nicht mehr zu erzählen, weil Journalisten prinzipiell nur bis drei zählen. Spätestens beim vierten Punkt ist ein neuer Artikel, eine neue Sendung oder ein neuer Kommentar fällig, die Welt ist ja sooo komplex. Nehmen wir nur den großen Journalisten Wolfgang Clement, der Utopien nicht leiden kann. So ein großer Journalist ist einer, der nachher alles vorher gewusst hat, besagt ein Sprichwort, das man gerne Karl Kraus unterjubelt. Für gutes Geld gibt er Lessons learned im Umgang mit den Medien und kämpft tapfer um sein Parteibuch.

*** In dieser Woche ist es etwas untergegangen, dass wir endlich mal einen richtigen Exportschlager haben: Auch Österreich redet nun von der Online-Schnüffelei und beschert uns den neuen Begriff "Remote Forensic Hardware" für den guten alten Keylogger und verweist als Vorbild auf ein schwedisches "Gesetz für Maßnahmen um gewisse besonders gefährliche Verbrechen zu verhindern", das in Schweden niemand kennt. Was von dem immer noch geheimnisvollen Schnüffelzauber zu halten ist, hat ein deutscher Ex-Verfassungsrichter deutlich genug ausgedrückt: "Wenn aber nach Nachweisen ihrer Unverzichtbarkeit gefragt wird, kommt entweder fast gar nichts oder es folgen Beschwörungsformeln. Es gab ja beispielsweise schon ein paar Online-Durchsuchungen, deren Auswertung ich bei unserer Entscheidung gern gekannt hätte. Aber in der mündlichen Verhandlung vor unserem Gericht hatten die höchsten Beamten gerade dafür keine Aussagegenehmigung."

*** In einer anderen Gerichtsverhandlung wird die Geschichte von Nathan, SCOtt und Marty erzählt. SCOtt verkauft ohne Erlaubnis Nathans Auto an Marty und behält das Geld. Juristisch ist das Diebstahl in Tateinheit mit Hehlerei. Nun ist SCOtt in gewisser Weise fiktiv, Bestandteil einer Eingabe, die Novell dem Gericht vorgelegt hat. SCOtts Geschäft soll der Verkauf von Antidot-Lizenzen in der Linux-Community, den Novell auf diese Weise illustriert. Dabei hat SCO so schöne Pläne. Im kommenden August will man wieder eine große Sause für Tausende von Entwicklern in Las Vegas geben, die Beobachter nach diesem Einwand zum Grübeln bringt. Was ist eigentlich aus dem schicken BMW M5 geworden, der mal als Hauptpreis für ein Klingeltonäquivalent ausgeschrieben war?

*** Diesmal kommentiert nicht der große Shakespeare das Tun und Trachten der SCO Group, sondern das Geburtstagskind Seamus Heaney. Denn die unendliche Geschichte wird zu Ende gehen wie der Terror in Nordirland:

Wie Späher alten Spuks, Geister die ausgezogen,
Nicht bang vorm Licht, den Neubeginn zu wagen
Und es zu schaffen, lebendig, ungerecht,
Wieder wir selbst, entscheidungsfrei, nicht schlecht.

Was wird.

Die elektronische Gesundheitskarte kommt aus den Schlagzeilen nicht heraus. Jetzt sind es die Ärzte selbst, die bei PIN-Problemen für lau einen Teil der Systemlast aufgebuckelt bekommen sollen, wenn sie in ihrer Praxis sitzen. Nur die im Krankenhaus werden es wohl besser haben. Da können die Serviceassistenten prima das Gefrickel am Terminal übernehmen. Derweil legt sich die Industrie so richtig ins Zeug. Den PR-Rekord der kommenden Woche hält ausnahmsweise nicht der Blogger Robert Basic, sondern die Firma ICW mit ihrer Open eHealth-Strategie: In Heidelberg will sie in der nächsten Woche den elektronischen Mutterpass vorstellen, in Berlin folgt dann die elektronische Notfallakte und zur Krönung geht es dann nach München zum Bundesmannschaftsarzt "Autschman" Müller-Wohlfarth, der seine neue Klinik eröffnet, nur echt mit einer sportlichen Fallakte besagter ICW. Dort können dann Fackelläufer wie Thomas Bach ihre Blessuren auskurieren, die er sich vielleicht im Namen seiner Weinig Group eingehandelt haben könnte. (Hal Faber) / (vbr)