4W

Was war. Was wird.

"Man kann weder unverwandt in die Sonne schauen noch in den Tod." Und trotz blau eingefärbter Tageszeitungen oder affentanzender Microsoft-Bosse versucht Hal Faber, das Sommerloch zu stopfen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 74 Kommentare lesen
Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Man kann weder unverwandt in die Sonne schauen noch in den Tod." (La Rochefoucauld) In der letzten Woche starb Wau Holland. Sein Körper, "ein biologisches Experiment" (Wau), wollte nicht mehr. Ein kurzer Nachruf in diesem Ticker ist mittlerweile zu einer Diskussion über Zensur und Meinungsfreiheit mutiert, ganz sicher im Sinne des großen Querulanten der Datenfresserszene. Querulare, im Lateinischen als "sich beschweren", aber auch als "nachhaken" ausgewiesen, ist ein gutes Wort für den Lebensentwurf von Wau Holland. Bleiben soll von ihm Wauland, und es soll überall sein.

*** Anders als Wauland verfügen die Virgin Islands über ein fest umrissenes Gebiet. Hier soll es temporäre befreite Zonen (TAZ) gegeben haben, ganz im Sinne verschiedener Alterspräsidenten. Als der Inselhaufen noch Jungferninseln genannt wurde, sollte er vom kaiserlich-kriegerischen Deutschland annektiert werden. Um das zu verhindern kauften die USA vor genau 85 Jahren für 25 Millionen US-Dollar die Inseln von Dänemark. Nun sind es Virgin Islands und erinnern uns mit .vi an einen der wahrlich peinigenden Momente im Leben jedes Datenforschers, jeder Datenforscherin.

*** Von großer Pein zu größerer Peinlichkeit ist es oftmals nur ein kleiner Schritt, nicht nur im WWWW. Infineon macht es vor und hat dabei mit Heinz-Harald Frentzen einen wirklich kongenialen Werbepartner. Derweil muss sich es erst erweisen, ob Terratec zum Geißböcklein des 1. FC Köln passt und wie es in der AOL-Arena so zugeht. Und ja, nicht jeder will eine blaue Zeitung haben, ganz egal, ob es "Die Welt" ist oder die österreichische Zeitung "Der Standard". Die erschien bereits am 24. Oktober 1998 als Werbung für die Mobilfunker von Connect auf blauem Papier. Das AOL-Management aber sucht nun weitere produktaffine Werbeträger. Doch wer möchte in der Blauen Grotte online gehen? Es wird zunehmend schwerer, über die netzweite Auseinandersetzung von AOL mit Microsoft Nachrichten zu finden, die interessant sind. Wie wär es mit dieser hier? Ja, es gibt sie noch, die B...., die im niedergeplätteten Boom eine Chance sehen.

*** Eine Chance soll es auch für Be und sein BeOS geben, nicht den Weg des unvergessenen Amigas bis ins letzte Detail zu kopieren. Anscheinend ist man bereit, die Firma kunstvoll zu zerlegen und die Einzelteile zu verkaufen. Ein trauriges Ende für ein System, das einstmals von so renommierten Firmen wie der Hildesheimer Pios AG für ihre Rechner verwendet werden sollte. Aber Pios verwandelte sich zur Metabox und Be schaffte es niemals, die schwere Niederlage zu vergessen, als bei Apple die Ex-IBM-Managerin Ellen Hancock ein neues Betriebssystem suchte. Hancock entschied sich für Be, doch Apple für Jobs. Der Rest ist Geschichte, traurig und zum Lernen völlig ungeeignet. Manche Firmen muss man einfach lieben, wenn man auf diesem Planeten leben möchte.

*** Noch ist es unentschieden, ob der Mensch vom Affen, vom Löwen oder vom Wolf abstammt. Darwin & Co tippen auf Judy, während es die Philosophen mehr mit Clarence halten. Und was kann der Mensch vom Menschen lernen, so er nicht des Wolfes Bruder ist? Ein gewisser Paul Morgan möchte seine gelähmten Beine guillotinieren und dies kostenpflichtig im Internet übertragen. Die Einnahmen sollen bei der Beschaffung von vernünftigen Prothesen helfen. Ob die Selbstverwandlung zum Cyborg gut geht, möchte ich erst beurteilen, wenn der Bau der Guillotine im Netz beginnt. Der Bau der Website macht skeptisch. Was das Gelähmtsein anbelangt, so gibt es Grenzen des Mitleids.

*** Und die Abstammung des Menschen vom Affen scheinen manche dagegen schon für bewiesen zu halten: Steve Ballmer ist ihnen das missing link, und sie legen als Beweis das schon erwähnte Liebes-Video vor, das den Auftritt des Gates-Nachfolgers vor einer Microsoft-Mitarbeiterversammlung zeigt. Nun sind Affen keine Microsoft-Chefs – oder bin ich vielleicht ein schielender Löwe? Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass Ballmer als Mischung aus Prediger und Gebrauchtwagenhändler das Gruseln lehrt. Der Wadenbeißer von Microsoft hat mit AOL sicher einen kongenialen Gegner gefunden – ob mit oder ohne blau eingefärbten Tageszeitungen. "Die Welt" übrigens macht einen halben Rückzieher und schreibt am gestrigen Samstag verschämt über der ersten Schlagzeile: "Die Einfärbung der Titelseite ist eine Anzeigenbuchung." Für wen oder was wird jedoch nicht deutlich – auch bei eifrigem Studium. So müssen Welt-Leser wohl dumm bleiben, wenn sie nicht auch andere Medien studieren, in denen die Verblauung der Welt bereits diskutiert wurde. Oder der Welt-Leser führt sich eine Verlagsbeilage der Samstagsausgabe zu Gemüte, die mit dem Titel "Welt Special Sport-Sponsoring" Spannung pur verspricht. Jedenfalls erschließt sich hier Sinn und Zweck der eingefärbten Titelseite. In der Beilage gibt es übrigens einen netten Artikel über den "Medienstandort Hamburg", an dessen Schluss explizit auf "Medienunternehmen in Hamburg" hingewiesen wird. Mit zwei URLs: www.asv.de, wohinter sich der Springer-Verlag verbirgt, und www.aol.de. Aha. Das qualifiziert Hamburg natürlich zum dynamischen Medienstandort. Im Internet übrigens blieb die Welt ganz unblau.

Was wird.

Mit Spannung wartet die Fachwelt in der nächsten Woche auf die Ankunft von Kontiki. Es soll das Peer-to-Peer-Floß schlechthin sein, weil Topleute der einstmals legendären Firma Netscape mit an Bord sind. Unter dem Namen Zodiac Networks gestartet, der im Silicon Valley zu stark an den Zodiac Killer erinnerte, möchten Andreessen und seine Crew mit Kontiki den Erfolg von Netscape wiederholen und Napster vergessen machen.

Habe ich etwas vergessen? Nein, sämtliche Beiträge des legendären Katastrophenforschers Desiatox in der letzten Woche wollte kein Leser dieser Kolumne finden. Der edle Wettstreit ist darum ausgesetzt. Doch halt, nicht ganz verfliegst du, flüchtiger Gedanke: Zum Mauerbau vor 40 Jahren werden für das nächste WWWW Texte und Schnippsel gesucht, zur Mauer in den Köpfen, auch zur Mauer zwischen System- und Anwendungsprogrammierern, zu virtuellen wie digitalen Mauern. Und unserer Mauer schlechthin. Wau Holland überwand die Mauer auf seine Weise und siedelte sich zeitweise in Jena an. Zu seinem Andenken findet am Freitag in Holland eine Memorial-Session statt.

Und eines vergesse ich sicher nicht: Denn etwas, was wird, und doch nicht wird, muss nun ebenfalls gewürdigt werden. Louis Armstrong wäre an diesem Samstag, den 4. August, 100 Jahre alt geworden – auch wenn er sich strikt dagegen verwahrt hätte: Seiner von ihm über alles geliebten und selbst kreierten Legende nach wurde er nämlich am 4. Juli des Jahres 1900 geboren, am amerikanischen Nationalfeiertag der Jahrhundertwende. Dies mag manchen als Bestätigung eines Vorurteils dienen: Wer aber Armstrong nur in seiner Rolle als "Onkel Tom" sieht, als gutmütigen Jazz-Neger mit breitem Grinsen, übersieht den Musiker und Trompeter, von dem sich nicht nur etwa Miles Davis so manche Scheibe abschnitt. Ganz zu schweigen von Wynton Marsalis, dessen historisierende und gleichzeitig geschichtsfälschende Jazz-Interpretation jedoch Armstrongs Ding überhaupt nicht gewesen wäre.

Was das nun wieder mit Computern und Technik zu tun hat? Gar nichts; außer, dass etwas mehr Armstrong und Davis, dafür etwas weniger Wagner möglicherweise auch der geistigen Gesundheit mancher Newsticker-Forumsposter zu gute käme. Und wer nicht mit Armstrong vorlieb nehmen möchte, der hat ja vielleicht Glück und Keith Jarrett findet mit seinem Trio den Weg in die Stadt. Was der nie um Begeisterung für guten Jazz verlegene Michael Naura als "Keith Jarretts Glücksversprechen" bezeichnete, kann in diesen komischen Zeiten, in denen Hitzewellen vernünftige Diskussionen zu verhindern scheinen, den Kopf durch klare und doch berauschende Klänge freispülen. So mag sich das Sommerloch mit guter Musik füllen.

Auch wenn nun, zum Abschluss dieser Kolumne, auf vielfältigen Wunsch geneigter Newsticker-Leser, die sich selbst zur "Nicht schon wieder" - Fraktion zählen, und zur Befriedigung all der geschätzten Kollegen, deren mühsam recherchierte Nachricht oder eloquent forumlierte Satire von unwilligen Dummbatzen mit einem lapidaren "Wen interessiert das?" abgefertigt werden – wenn nun also zur allgemeinen Beglückung noch eines fehlt: Die news to end all news, die endgültige Propfung zur Stopfung des Sommerlochs, die absolute Nachricht, die keine Flamewars über Nazis, Kinderpornographie oder Zensur ermöglicht, dafür aber gepflegte Ablästerei über den armen Kolumnisten, der wieder einmal im Dienste von Friede und Freude in den Heise-Foren seinen malträtierten Kopf hinhält.

Hier nun also das, was niemand sich vorstellen konnte, und was doch passierte: In der Nacht zum 4. August fiel in der Stadt Tientsin in der gleichnamigen chinesischen Provinz ein Sack Reis um. Der Unfall ereignete sich in den frühen Morgenstunden direkt neben einer Fabrik des Chipherstellers Motorola. Die genauen Umstände sind noch unklar. Nach Shanghai ist Tientsin das zweitgrößte Wirtschaftszentrum der Volksrepublik China. Die Pressestelle von Motorola wollte keine Stellung nehmen. In einem Gespräch mit heise online versicherte Pressesperecherin Debbie Esposito jedoch: "Die chinesischen Fabriken gehören zu unseren wichtigsten Standorten und wurden durch diesen bedauerlichen Vorfall nicht gefährdet." Die chinesische Polizei vernimmt derzeit alle Anwohner der Straße, in der der Sack Reis umfiel. Ersten Berichten zufolge handelte es sich dabei um die in der Volksrepublik weit verbreitete Marke "Huaihua". Die Pressestelle der chinesischen Regierung in Peking wollte zu diesem Zeitpunkt Sabotage noch nicht ausschließen. Die Folgen für die chinesische Wirtschaft sind derzeit jedenfalls nicht abschätzbar. Die Motorola-Aktie reagierte auf die Nachricht an der Börse in New York mit einem sichtbaren Ruck nach unten. Analysten zufolge könnte diese Kursschwankung aber auch auf eine Aussage von Alan Greenspan vom Freitag zurückzuführen sein, als dieser sich in hohem Maße abfällig über das Unternehmen geäußert hatte. Greenspan, der Vorsitzende der US-amerikanischen Notenbank, gilt als graue Eminenz hinter dem internationalen Finanzmarkt. Eine Rückfrage bei Greenspans Sekretariat ergab allerdings, dass der Finanz-Guru sich lediglich über den leeren Akku seines Handys aufgeregt hatte.

Den obigen Absatz darf jeder ausdrucken und sich auf den Monitor kleben, wenn mal wieder das Gelüste aufkommt, Nachrichten für unwichtig zu halten. In diesem Sinne bleibt nur noch, ein schönes (Rest-)Wochenende und immer volle (oder extra leere, je nach Gusto) Handy-Akkus zu wünschen. (Hal Faber) / (jk)