Was war. Was wird.
Juristengeklingel ertönt im Web, auch lässt es die Herzen der Musikmanager höher schlagen -- glücklicherweise gibt es auch anderes zu hören, freut sich Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** "Mit Freundlichkeit und einer Pistole kommt man weiter als mit Freundlichkeit", sagt ein altes Sprichwort, das sich die zeitgeistgerechte Firma Google in dieser Woche zu Herzen nahm. Ihre Rechtsanwälte mahnten den Wordspy ab, der das Tuwort googlen lexikalisch aufbereitete. So groß war die Gefahr der Verwässerung des kostbaren Markennamens, dass die Linguisten sofort aktiv werden mussten. Da kann man nur hoffen, dass dem dringend gesuchten kreativen Maximierer ein passendes Wort für die progrediente Mikrozephalie dieser Firma einfällt. Und bitte jetzt nicht, ähem, den Diopter anwerfen. Dabei ist Google kein Einzelfall für grenzdebiles Verhalten. Diese Woche zeigten so unterschiedliche Betriebe wie die Deutsche Bahn AG und die Business Software Alliance, wie man sich auf der Klaviatur juristischer Machtmittel vergreifen kann. Mit Amazon und seinem Patent auf Diskussionsforen scheint der nächste Kandidat bereit zu stehen.
*** Zu den lustigeren Begebenheiten dieser Woche zählte eine Einschätzung des reichsten Mannes des Welt über die verheerenden Auswirkungen von quelloffener Software, bei deren Produktion Programmierer zur Feldarbeit wie damals in der chinesischen Kulturrevolution verdammt würden. Und dann steckt sie noch an, diese Open Source mit ihrer Pestilenz, ähem, Lizenz: Am Ende müssen alle Bedienstete von Schwäbisch Hall raus auf die Äcker. Es mag ein wenig vermessen sein, den armen Schlucker Karl Marx gegen den vermögenden Hausbesitzer Bill Gates ins Feld zu führen, aber war da nicht der uns allen in der Schulzeit so gerne von den Lehrern vorgelesenen Sätze des "jungen Marx" der Deutschen Ideologie vom allseitig entfalteten Menschen? In der freien Gesellschaft, die "die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden". Programmierer zu Feldarbeitern, Lehrer zu Jägern, so freuen sich nicht nur die Oekonuxe über die Aufweichung der Rollen. Nur das Lob der Faulheit ist bei allen, ob Marx, ob Gates, ob Stallmanns Horden gar nicht gern gesehen -- ausgenommen natürlich die, ähem, Dokumentationsspezialisten in allen Lagern.
*** Bei diesem Lob sollte das in dieser Woche bei der angesehenen Firma Microsoft erschienene Youngster-Tool Threedegrees nicht vergessen werden, ein bemerkenswertes Produkt. Bis auf den Teamleader hatte der Rest des Programmier-Teams noch keine Programmiererfahrung in einem professionellen Projekt. Als Vorbild diente ein Dutzend Studenten, die drei Wochen in einem Haus im Stil von Big Brother kaserniert wurden, damit ihre "Mediengewohnheiten" rund um die Uhr aufgezeichnet werden können. Das überaus ehrgeizige Ziel kann schon am Namen abgelesen werden, basiert er doch auf der Theorie von John Guare, dass jeder Mensch sechs Bekanntschaften von jedem anderen entfernt ist. Für Jugendliche will Microsoft die Relation auf drei Bekanntschaften eindämmen. Vulgärjournalistisch gedacht bedeutet dies wohl, dass jeder dritte Mensch zwischen 13 und 24 Jahren Windows XP einsetzen muss.
*** Angesichts der tollen Karrieren der Big Brothers und Sisters erwarten manche Leser, dass hier ein paar Worte über die Superstars stehen, die Deutschland, ähem, produziert. Über ihre tolle Zukunft. Dabei fordert der Phono-Verband doch selber ein Verbot solch übler Klone. Begnügen wir uns also mit der einzig richtigen Antwort auf den ausgemachten Schwachsinn und gröhlen mit. Laut genug, und es reicht für 15 Minuten Ruhm a la Warhol. Aus gegebenem Anlass sei an einen Musiker erinnert, der es nicht zum Star brachte: Howie Epstein, einst Bassist von Tom Petty and the Heartbreakers starb in dieser Woche an einer Überdosis Heroin. "And my fax machine has tears in its eyes 'cause there ain't no words runnin' through its wires" textete der unglückliche Howie einstmals für seine Frau. Für Howie wird jetzt Lost in the Stars aufgelegt, natürlich in der Interpretation von Carla Bley: Heute ist der Geburtstag von Kurt Weill, der nicht nur für Tom Waits und Sting ein großes Vorbild war.
*** "Was hält die Menschheit am Leben?", fragte Weill in New York und zweifelte an der Welt. So sind wir wieder einmal in Amerika, dem Land mit einem Präsidenten, der Saddam Hussein wie einen Hund durch die Wüste jagen will. Eine Forderung, die zwangsläufig auf einen Krieg hinausläuft, der sich nicht nur in der Systemleiste von Windows abspielt. Die Wettlage ist jedenfalls messtechnisch eindeutig.
*** Heute vor 70 Jahren startete King Kong, ein mit europäischen Mythen aufgepepptes Remake eines Filmes, mit dem dieselbe Truppe schon Erfolg hatte. Werden alle Pläne wahr, wird unser aller Superaffe wie neulich am World Trade Center an dem Bau rumklettern, den Daniel Libeskind jetzt bauen darf. Oh, hätte ich lieber statt King Kong das Bambi von Felix Salten, Autor der Josephine Mutzenbacher erwähnen sollen, das heute 80 Jahre alt wird? Zumindest sollte daran erinnert werden, dass Bambi 1923 ohne ordentliches Copyright erschien, womit die Walt Disney Corporation das Buch als Public Domain erklären konnte. Jedwede Ähnlichkeit mit dem Mickey Mouse Protection Act ist natürlich zufällig.
*** Aber mit dem Recht ist es ja so eine Sache. Man kann es nicht oft genug erwähnen, dass heißlaufende Musik-Funktionäre bereits wieder nach gerichtlich sanktionierter Zensur rufen, wenn die eigenen Fähigkeiten nicht mehr reichen, die Bilanzen im schwarzen Bereich zu halten. Das schöne Wort von den Labels als Verpackungsbranche wird auch manchem Musiker gefallen -- wenn sich mit Kreativität nicht mehr vom Musikmachen leben lässt, nutzt auch alles Crossmarketing und Juristengeklingel nichts mehr. Immerhin, manche Platten faszinieren die Hörer sogar so, dass sie noch das Buch zur Musik kaufen ... Wenn es aber an der Phantasie und den musikalischen Fähigkeiten eines Weill oder Davis ermangelt, werden die Musik-Klone an die Verkaufsfront geschickt und die CD-Klone verteufelt. Einfache Lösungen sind gefragt -- Denken ist den Menschen doch viel zu kompliziert. Dass dies allerdings für viel zu viele tatsächlich zutreffen könnte, befürchtete schon Kurt Weill und setzte sich vor den Nazis über Paris und London in die USA ab. Ein Schicksal übrigens, das er mit Siegfrid Kracauer teilte. Der Journalist, Literat und Kritiker verließ am vergangenen Freitag vor 70 Jahren Deutschland, genau einen Tag nach dem Reichtstagsbrand. So konnte er in den USA noch "Von Caligari zu Hitler" verfassen, eine Analyse des deutschen Films, in der er die ideologischen Vorläufer der Nazipropaganda sowie deren auf gewisse Art, wenn auch anders als ursprünglich gedacht eingelösten Versprechungen beschrieb. Ein Buch, das auch heute noch denjenigen anempfohlen werden kann, denen das Denken nicht zu kompliziert ist.
Was wird.
Nichts wird. Die Menschheit ist ein endenwollendes Projekt, Bush inklusive. Was Herr Boulter weiß, wusste Isaac Newton schon früher. Auch Pioneer 10 ist verschwunden, obendrein ausgebremst durch eine geheimnisvolle Kraft, die es am Verlassen unseres Sonnensystems hindern wollte. Da stehen wir auf den Schultern von Riesen und trauern, denn auch Robert King Merlin Merton ist tot. Er fand die Links hinter scheinbar harmlosen Sätzen, die es verdienten, unsterblich genannt zu werden, wenn nicht sowieso alles vorbei ist. An Aschermittwoch, 2060 oder nach 3000 Jahren, das spielt kaum noch eine Rolle. Aber vielleicht sollte man noch daran erinnern, dass der lustige Zauberer Merton den Begriff der self-fulfilling prophecy prägte. Eben jener schicken Schleife, in der die New Economy gerade austrudelt.
Wer dennoch an den Fortschritt glauben möchte, sollte seine Antennen nach München richten. Dort stellt am Donnerstag die Detecon im Verein mit T-Systems und Mitsubishi ihr Moteran-Funknetz vor, eine Art Revival der alten DIRC-Idee. Im Amateurband sollen alle Autos untereinander zu einem vermaschten Funknetz verbunden werden, auf dass ein flächendeckendes schnelles Netz entsteht, das WLAN-Netzen ebenso wie UMTS Konkurrenz machen soll. Der Himmel hängt voller Geigen für ein Netz, das sicherer als WLAN und schneller als UMTS ist, dichtet die Einladung zur öffentlichen Vorführung. Geigen? Wenn das man nicht Schweine mit Flügeln sind. (Hal Faber) / (jk)