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Was war. Was wird.

In Zeiten des Krieges hält die Welt und so auch die IT-Branche fast den Atem an. Ein paar Liedchen gefällig gegen oder für die bellizistische Weltlage? Hal Faber und seine Leser haben Vorschläge.

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Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Das ist der Anfang. Der große Marsch beginnt." Nein, das Zitat ist nicht von Mao, kein US-General hat es im Irak sausen gelassen, sondern es stammt von Jonathan Miller, einem AOL-Manager, verantwortlich für die neue amerikanische Kampagne Welcome to the World Wide Wow. 35 Millionen Dollar gibt man dafür aus, dass sich Sharon Stone und nicht unser Pleiten-Bobbele vor dem Computer räkelt. Das ist zwar weniger als die 400 Millionen Dollar, die man von Bertelsmann für Anzeigen bekam und versehentlich falsch bilanzierte. Aber es reicht aus, die vier W zu einer AOL-Marke auszubauen. Die tanzenden W aber bleiben, sie sind nur hier zu lesen, ab Sonntagmorgen, wenn sich die Menschen treffen, für die Microsoft den hübschen Begriff Informations-Voyeurismus geprägt hat. Ende der millionenschwachen Eigenwerbung.

*** Die vier W im Kolummnen-Logo tanzen, weil es dereinst hieß, dass man die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringen kann, wenn man ihnen ihre eigene Melodie vorspielt. Es geht also um Musik, ohne die schlecht getanzt und getrauert werden kann. In diesen Zeiten brauchen wir Musik und Tanz mehr denn je. Wer den Frieden will, wittert vielleicht ein gutes Geschäft, oder aber er hält nichts von den Verwertungsmodellen dieser Branche. In jedem Falle ist es wichtig, die zu erwähnen, die in einer ver-rückten Welt die Maßstäbe des American Life anzweifeln und sich nicht vom Gepöbel anderer aufhalten lassen.

*** Gegen den Schwachsinn der Chart-stürmenden DSDS haben viele Leser des tänzelnden W ihre Listen geschickt, danke schön. Der kleine Wettbewerb war von Nick Hornby inspiriert, der ein Büchlein über seine 31 Lieblingssongs geschrieben hat. Über Pop-Songs: "Wir sind mit Pop aufgewachsen und er ist mit uns erwachsen geworden. Pop ist nicht mehr bloß für jüngere Leute da, und er wird nicht nur von ihnen gemacht", schreibt sein Freund Giles Smith. Ist der Pop erwachsen, so kann auch Klassik und Jazz nicht schaden, hieß es an dieser Stelle. Es war alles dabei, vom Ohrwurm anno 33. n.Chr., "Always look on the bright side of life" bis zur Nationalhymne der ehemaligen UdSSR von Michalkow und Alexandrow. Brauchen wir Statistiken oder halten wir uns an den Satz, den Goebbels seinem Gegner Churchill unterschob, als er von den Statistiken sprach, die man selber fälschen soll? Denn die statistische Wahrheit kann brutal sein: Unter den eingesandten Listen ist der Sieger Eric Burdon & the Animals mit House of the Rising Sun, gefolgt vom Hotel California, allerdings nicht nur in der Version der Eagles, sondern im Salsa-Mix von Don Henley und anderen Varianten. Den dritten Platz teilt sich Pink Floyds Time mit dem Kaiserwalzer Op. 437, je nach Quelle Strauß-Vater oder Strauß-Sohnemann zugeordnet. In der Häufigkeit der Nennungen gewannen die Beatles (na klar) knapp vor Deep Purple (aber hallo). Eine nette Nomalie gibt es auch zu berichten: Die Mehrheit der Teilnehmer mag keine Montage und hat eine ganze Reihe von Antimontagssongs nominiert. Klar, wenn man am Sonntag WWWW liest ....

*** Also bleiben wir subjektiv -- wir kommen ohne Statistiken aus. Hier demnach die Leser-Liste mitsamt den schönsten Begründungen.

  • 1. The Fall: Diceman. Weil ich es gehört habe, als ich zum ersten Mal auf www.heise.de geriet.
  • 2. Stabilelite: Wir können Fick für immer (doch Du kriegst niemals meine Seel). Stellvertretend für Jeffrey Lee Pierce und Barbapapa als Vater des Materie-Compilers.
  • 3. Big Rude Jake: Buster Boy. Dieser Jazz ist ein wahrer Labsal für die geschundenen Seelen dieser Welt.
  • 4. Simple Minds: Belfast Child. Ein großartiges Plädoyer gegen den blinden Hass.
  • 5. XTC: This World Over. Der beste Song des 20. Jahrhunderts.
  • 6. John Miles: Music was My First Love. Der beste Song des letzten Jahrhunderts.
  • 7. Johnny Cash: Ring of Fire. Durch dieses Fegefeuer muss jeder gehen, der Erlösung sucht, um dann zu merken, dass es keine Erlösung gibt.
  • 8. U2: Still Haven't Found. Marx hätte das vermutlich Opium füs Volk genannt, aber soviel Optimismus wie in diesem Song tut manchmal richtig gut.
  • 9. Procol Harum: Quite Rightly So. Der Drang nach Wissen und das unangenehme Gefühl, dass andere weiter sind.
  • 10. Marty Goetz: Who has Believed. Die Stimme! Die Melodie! Das Herz!
  • 11. Jimi Hendrix: Castles Made of Sand. Wenn man etwas nicht erklären kann, sollte man das Maul halten.
  • 12. Billy Joel: You're my Home. Erklärung unnötig.
  • 13. Patti Smith: Ain't it Strange. Das lässt sich nun wirklich nicht in einem Satz erklären.
  • 14. David Bowie: Helden. Bowie als Begründung reicht doch.
  • 15. Beatles: Hey Jude. Die Erfindung der Maxi-Single, einfach großartig.
  • 16. Tall Dwarfs: The Brain that Wouldn't Die. Einfach großartiges Looping, Sampling, Soundmorphing auf einem analogen Vierspur-Bandgerät.
  • 17. Klaus Schulze: Ludwig II. von Bayern. Das einzige Mal, dass Synthesizer und klassisches Orchester wirklich harmoniert haben.
  • 18. Alexandra: Illusionen. Musik, die mitweint, wenn ich traurig bin.
  • 19. Stephanie Klein: Bras d'amour. Kein anderes Lied hat so viel Gefühl.
  • 20. Einstürzende Neubauten: Sabrina. Ich muss immer an sie denken.
  • 21. Endgames: Waiting for Another Chance. Des Anfangs wegen, die ersten 10 Sekunden halt.
  • 22. Jethro Tull: Locomotive Breath. Wenige haben sich Zeit für ein so starkes Intro genommen.
  • 23. Pink Floyd: See Emily Play. War es nun der Anfang oder das Ende? Ich weiß jetzt auch nicht mehr.
  • 24. The Who: I can See for Miles. Die beste Performance des besten Rock-Drummers.
  • 25. Phil Collins: River so Wide. Nur er kann das Schlagzeug derartig bearbeiten.
  • 26. Die Epheser: A las Barricadas. Mischung von "Bezaubernde Jeannie" und Ernst Busch. Logisch.
  • 27. Johann Sebastian Bach: Triosonaten. Wunderschöne Orgel und sonst nichts.
  • 28. John Williams: Filmmusik zu StarWars Episode 4. Wir träumen doch alle von fernen Welten.
  • 29. Kraftwerk: Das Modell. So träumen Computer.
  • 30: Alles von Led Zeppelin. Alles von Bowie. Alles von den Beatles. Alles von Brian Ferry.
  • 31. The Eagles: Hotel California. Soo doof kann Musik sein.
  • 31.a Don Henley: Hotel California, Salsa-Version. Unübertroffen.

*** Fehlt da was? Aber klar doch. Also noch eine Liste. Meine Wenigkeit pflegt ebenfalls ihre Vorlieben.

  • 1. Charlie Haden/Liberation Music Orchersta: Ballad of the Fallen. Vielleicht die traurigste und doch belebendste Jazz-Platte aller Zeiten.
  • 2. Fehlfarben: Ein Jahr. Es geht voran. Eben.
  • 3. Wu-Tung Clan: 36 Chambers. Und das nicht nur, weil "The RZA" vom Clan die kongeniale Musik zu "Ghost Dog" von Jim Jarmusch geschrieben hat.
  • 4. John Coltrane: A Love Supreme. Coltrane im Übergang: Freies Spiel, voller Hoffnung, noch ohne die Verzweiflung und schreiende Anrufung, die kurz danach bei Ascension und erst recht etwa im Olantuji-Konzert zu hören sind.
  • 5. Stiff Little Fingers: Alternative Ulster. Der prophetische Gegenentwurf zu Bono Vox' Sunday, Bloody Sunday: "this is not a rebel song"? Von wegen!
  • 6. Dead Kennedys: Holiday in Cambodia. Wahrscheinlich weiß George W. Bush gar nicht, dass es in seinem Land Leute wie Jello Biafra gibt oder dass jemals solche Musik an amerikanische Ohren drang. Der beste Beweis also, dass Anti-Amerikanismus hanebüchener Unsinn ist.
  • 7. Propellerheads: History Repeating. Der Song bringt einfach zu viel mit spitzer Zunge und viel Drive auf den Punkt, was jedem halbwegs denkfähigen Menschen in den letzten Jahren auf den Geist geht. Und so ist der Song dann doch die Essenz der Propellerheads , der besten Pop-Band der vergangenen Jahre.
  • 8. John Zorn: Alef/Beit/Gimel/Dalet/Hei/Vav/Zayin/Het/Tet/Yod; Gilad Atzmon: Orient House. Zwei gegensätzliche Musiker, die ein ganzes Universum beschreiben. Nicht die sentimentale Klarinette, die Buber-Proselyten zum Dahinschmelzen bringt, sondern moderne jüdische Musik. Avantgarde für die ganze Welt.
  • 9. Deep Purple: April. Sicher, Ian Gillan schreit bei der Live-Version von Child in Time schöner. Aber so hätte sich Artrock auch anhören können.
  • 10. Kurt Schwitters: Ursonate. Das swingt.
  • 11. Glenn Gould: Bach, Das Wohltemperierte Klavier. Weil Gould Bach vom Kopf auf die Füße stellt. Und weil es Hunter-Tompson-Musik ist.
  • 12. Led Zeppelin: Fool in the Rain. "There's a light in your eyes that keeps shining": Relaxter kann ein Liebeslied nicht sein.
  • 13. Rolling Stones: Sympathy for the Devil. Genau.
  • 14. The Beatles: I'm so Tired. Wer ist das nicht?
  • 15. Witthüser & Westrup: Jesus-Pilz. Das politische Lied und der politische Computer.
  • 16. Arnold Schönberg: Moses und Aron. Die reine Idee, die der Vermittlung harrt -- vielleicht war es gerade die, die verhinderte, dass Schönberg seine Oper nach 1933 fertigstellen konnte.
  • 17. Grobschnitt: Solar Music. Einer der Höhepunkte des esoterischen Deutschrocks. Sicher, Guru Guru waren besser, Grobschnitt fetzten aber mehr.
  • 18. The Clash: Spanish Bombs. Auch das wäre aus dem Punk geworden, wenn die Musikindustrie die Leute gelassen hätte.
  • 19. The Cure: Boys Don't Cry. Weil man "Killing an Arab" heutzutage nicht mehr im Radio zu hören bekommt.
  • 20. Miles Davis: So what? Genau! Heute vor 33 Jahren erschien Bitches Brew!
  • 21. Rory Gallagher: A Million Miles Away. Hätte er sich nicht totgesoffen, würde er uns wohl als bester Blusrockgitarrist in Erinnerung sein.
  • 22. Bruce Springsteen: Summer of 69. The Boss besingt den amerikanischen Traum besser als sich das Bryan Adams je hätte vorstellen können.
  • 23. Weather Report: Birdland. Nach Ella Fitzgeralds "Cole Porter Songbook" wohl der schönste Schlager, den der Jazz hervorgebracht hat.
  • 24. The Temptations: Papa Was a Rolling Stone. Dies war ihr wirkliches Masterpiece. Gehören sicher auch zu den Göttern des Wu-Tang Clans.
  • 25. France Gall: Der Computer Nr. 3 (der sucht Dir den besten Boy). Ein echter deutscher Schlager, richtig bescheuert, dazu noch richtig die Technik liebend. Für alle Verliebten und Pärchen, die sich über das Heise-Forum fanden (ja, es gibt sie).
  • 26. Die Straßenjungs: Jeder Mensch ist mal alleine. Das Gegenstück für unsere einsamen Herzen.
  • 27. Allen Ginsberg, Tuli Kupferberg, Ed Sanders -- The Fugs, I Command the House of the Devil. Furchtbar unmusikalische Musik gegen den Vietnamkrieg aus dem Jahre 1966, aber aktuell.
  • 28. The Can: Thief. Irmin Schmidt, Jackie Liebzeit, Holger Czukay und Michael Mooney vor dem Weltgericht. Ein Plädoyer für E-Mail aus den Siebzigern.
  • 29. Jimi Hendrix: The Star-Spangled Banner / Purple Haze. Klischees müssen sein.
  • 30. Wolfgang Amadeus Mozart, Lorenzo da Ponte: Registerarie aus Don Giovanni. Das erste Lied über Speichertechnik, Arbeitsspeicher und das Problem mit der 1:1-Kopie.
  • 31. Carla Bley: Lost in the Stars. Ein träumerischer Ausklang mit Kurt Weill, der nicht viel zu träumen hatte.

*** Wieder aufgewacht? Fehlt etwas? Ach , man könnte endlos weitermachen, Van der Graaf Generator wären möglicherweise noch zu erwähnen, oder gar Tom Waits wird schmerzlich vermisst: Sein Jockey Full of Bourbon bildet den Soundtrack zu einem der schönsten Film-Intros, und das auch noch für das genialische Down by Law ... So enden also vorerst unsere Träume von einer friedlichen Welt, in der alle, Leser wie Autoren, sich über gemeinsame Musiken streiten und freuen. Was nicht hindern soll, weiter Listen einzureichen: Gute Begründungen für gute Musik sollen uns auch in Zukunft an dieser Stelle beschäftigen. Genug der Träume...

*** Derzeit werden auch die amerikanischen Militärs aus allen Träumen gerissen. Hat man sich auf das falsche Radar verlassen? Die größte Armee der Welt hat es nicht nötig, die Überlegungen von Che Guevara zu lesen, der einstmals geschrieben hatte, dass jeder Kampf gegen die USA ein Guerillakampf sein müsse. Schon gibt es Überlegungen, wie eine Operation gegen Syrien durchzuführen wäre, wo Saddam aus Irak hin fliehen könnte. Bleibt die Hoffnung, dass bei besserem Wetter all die Computer-Wunderwaffen zum Einsatz kommen können. Schließlich verlieren selbst die embedded journalists die Lust, die Sache von der sportlichen, gar medaillienträchtigen Seite zu betrachten.

*** So gesehen liegt die Entscheidung voll im Trend der Zeiten, wenn die nächste Staffel von Big Brother den fetzigen Namen The Battle trägt. Das bringt mich natürlich zu dem englischen Big Brother-Preis, der letzte Woche verliehen wurde. Ein Preis, über den die kriegführende Regierung not amused war. Dabei kann Tony Blair bei seinen amerikanischen Freunden lernen, wie big Big Brother werden kann, wenn erst einmal all die lästigen Firewalls und NAT-Techniken eskamotiert sind. Freilich muss konstatiert werden, dass die Achse der Willigen und das Alte Europa Berührungspunkte haben, ausgerechnet im widerständigen Frankreich: Dort wurde das Recht der Untersuchungsbehörden ausgedehnt: Wird ein Computer in einem P2P-Netz konfisziert, sind alle "angeschlossenen" Computer schuldig. Trifft es einen Provider, so dürfen die Kundenrechner eingesammelt werden.

Was wird.

Die Privatsphäre wird ein kostbares Gut. Die Gedanken sind frei, dieses alte Volkslied, könnte bald auf den Hitlisten auftauchen, wenn man die Diskussionen zur Privacy-Konferenz verfolgt, die am 1. April startet: Nichtregierungsorganisatonen, die humanitäre Hilfe für den Irak anbieten, werden von den kommenden Machthabern nur dann akzeptiert, wenn sie auf ihren Computern auf jegliche Kryptografie verzichten. Divide et impera: Passend zu einem amerikanischen Voschlag hat der arabische Mobilfunk-Provider Al Thuraya seine Angebote für den Irak entfernt. In Syrien und dem Iran bleibt der Satellitendienst empfangbar. Dazwischen nicht.

Statt der Jubiläen (heute vor 150 Jahren wurde Vincent van Gogh geboren, das soll nicht unerwähnt bleiben) gab es heute Songs, und das nicht zu knapp. Ein Jubiläum bittet dennoch in der nächste Woche höflich um Beachtung: Vor 36 Jahren hielt Martin Luther King eine Rede gegen den Vietnam-Krieg. In Europa ist das Schweigen gebrochen, in den USA wird es lauter. (Hal Faber) / (jk)