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Was war. Was wird.

Auch den Weg in den Überwachungsstaat haben die Götter steinig gestaltet, bemerkt Hal Faber, und delektiert sich derweil an der mittlerweile recht buntigen Aufklärung.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Schokolade! Schokolade, soweit das Auge reicht: Ein Schreibtisch voller Schokolade. Das ist nicht der Traum eines freien Journalisten, sondern bald der Ausfluss der neuen Zero Tolerance gegenüber der verheerenden Schwarzarbeit, wenn es heißt: Nachbarschaftshilfe darf nur noch in Naturalien wie Süßigkeiten bezahlt werden. Über die ach so harmonischen Festtage habe ich für die lieben Nachbarn mit ihren verkorksten Bestellungen bei Dell, eBay und Co Festplatten formatiert und neu bespielt, vermüllte Druckertreiber gesucht und eine Verbindung ins Netz des Grauens, in den dunklen und unheimlichen Sumpf der tyrannischen Router gelegt. Was man halt so macht in der Nachbarschaft, wenn man nicht gerade mit den eigenen Texten kämpft. Wenn man Texte anderer korrigiert, immer im Geiste des seligen Konrad Duden, der 175 Jahre nach seinem Geburtstag auf ein großes Ehrbe bliggt.

*** Vorbei, vorbei, alles vorbei: Wer will denn schon dem Nachbarn helfen, wenn die Nachbarschaftshilfsarbeitsüberwacher unterwegs sind, die Blockwarte der neuen deutschen Arbeitsmoral. Qualifizieren sollst du dich, Bürger, möglichst ein Leben lang, aber das Wissen und die Fertigkeiten für lau abgeben, das ist eine Untat am Staatskörper. Die gern zitierte Putzfrau besserer Kreise lassen wir hier mal beiseite und fragen nach der korrekten Abrechnung von Projekten wie KDE die im Geiste der gegenseitigen Hilfe entstanden. Wer einen Nagel hat, dem erscheint alles als ein Hammer, wem etwas Arbeit, dem erscheint sofort die Schwarzarbeit, wem nicht Schambachs Ich-AG von der Lust in senfigen Zeiten lockt. Es muss ja nicht jeder an den anderen Schambach mit seinem Intershop denken.

*** Nicht vorbei und weg vom Netz ist der Softwaresondermüll der Arbeitsagentur, der nach eigener Aussage nur von Menschen beherrscht wird, die kein Problem des Intellekts in Form mangelnder Interface-Bildung aufweisen. Dabei, lohnt es sich, mit Dotcomtod den Blutspritzern im Logo der Agenten des Gersterschen Weltgeistes nachzugehen, führt es doch zum längst vergammelten Webserver iPlanet, der bereits 2002 ausgemustert wurde und erst in Sun ONE, mittlerweile ins Java System diffundierte. iPlanet selig aber fristet bei der Arbeitsagentur gewissermaßen ein Dasein als Schwarzarbeiter. Soviel Beharrungsvermögen ist etwas Schönes, wobei zu wünschen wäre, dass die Blutspritzerfraktion bei der Produktionsfirma Accenture ähnliche Gadgets produziert wie die Fans der ebenfalls von Sun ausgemusterten Cobalt-Server.

*** Das neue Jahr begann ruhig, sieht man von kleineren Lizenz-Einschlägen und Zertifikats-Ausfällen ab. Sie erinnern uns an die Lizenz zum Parken, die ebenfalls zeitgebunden ist. Heute vor 50 Jahren gingen in Duisburg die ersten deutschen Parkuhren in den Betrieb. Für 10 Pfennig die Stunde sollten die Innenstädte von Lovely Rita belebt werden: Die Zeit bekam als Parkzeit eine neue Dimension und in Gestalt der Kontrolleusen eine weibliche Figur. Ein Toast auf Rita, nicht nur auf Tolkien. "The Professor", mehr nicht. Na gut, "Prost, Jakob" sollte für einen der Göttinger Sieben noch drin sein.

*** Ohne Ausfälle startete im neuen Jahr auch die österreichische LKW-Maut, die prompt mit Tausenden von Mautbrücken zum Vorbild für Deutschland heißgeredet wird. Dabei haben externe Fachberater dem Bundesverkehrsministerium längst ein Gutachten auf den Tisch geknallt, das die Möglichkeit der Ösi-Maut für die 12.000 Kilometer deutscher Autobahnen verneint. Die Kosten der stilgerechten Maut-Beratung: 15 Millionen Euro. So wird der Superblitzkasten kommen, der jede Fahrbewegung überwacht, weil der Staat sich auf die Lauer legen will. Wie hat es Uwe Plank-Wiedenbeck vom Zentrum integrierte Verkehrssysteme in dieser Woche in der FAZ noch formuliert? "Es ist bei diesem Produkt beunruhigend, dass die Aufgabe nach wie vor als ein zwar schwieriges, aber typisches IT-Problem eingeschätzt wird, mit entsprechender fachlicher Prioritätensetzung." Leider falsch, denn die LKW-Maut ist längst ein politisches Prestigeprojekt auf dem Weg in den Überwachungsstaat geworden. Hätten die IT-Fachleute allein das Sagen gehabt, wäre wohl ein anderer Zeitplan entstanden und ein einfacheres System obendrein. So aber bleiben lustige Fragen übrig. Wie ist es erklärbar, dass gegen die Willen aller Planer ein Rechenzentrum von Sun bestellt wurde? Wunder gibt es eigentlich nur Weihnachten, wenn Fedex 2,4 Milliarden Dollar in bar hinblättert, um mit Kinko's in den E-Commerce einzusteigen.

*** In der letzten Installation dieser Kolumne fielen einige bissige Worte über Salinger und seinen Fänger im Roggen, die geduldige WWWW-Leser auf die berühmte Palme brachten. Meine Unkenntnis, dass es nun eine lesbare Version des Buches gibt, ist mir ein royal pain in the ass, um mit Holden Caulfield zu sprechen. Desgleichen ist mein Missgeschick zu bedauern, die römische Zählweise "ante diem kalendas apriles" in einen falschen Jahresanfang umgesetzt zu haben. Wie so häufig, erleuchtet die Wikipedia die Geschichte mit unterschiedlichen Akzenten. Und wie könnte ich an dem köstlichen Vorschlag des treuen Z vorbei gehen, all den Muzak zu listen, den man nicht hören will? Vielleicht erweitert um all die Posten, wie den Beauftragten für Pop-Musik oder den Soul-Sekretär, die niemand braucht.

*** Ein Soul-Sekretär oder ein Pop-Beauftragter wird aber Leuten wie Howard Bloom gefallen, der Michael Jackson im aktuellen PR-Loch versenkte. Darin lassen sich mehr schlecht als recht die abstrusen Geschichten dementieren -- beim Publikum wird schon was hängenbleiben vom schmutzigen PR-Krieg. Mediengestärkt feiert man so 20 Jahre Privatfernsehen -- diese Feierlichkeiten dürften den meisten näher liegen als die Erinnerung an des Kritikers Kant 200. Todestag. Aufklärung? War da was? "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen." Wir aber scheinen sowieso zu spät zu Kritik und Konstruktion zu kommen, uns bleibt allein die stille Erkenntnis: Die Eule der Minerva beginnt erst in der Abenddämmerung ihren Flug. Aber vielleicht in der Hoffnung, dass diese Eule nicht nur ein Totenvogel ist -- auch wenn die öffentlich-rechtlichen Anstalten als angestrengte Nacheiferer der Privaten ihr Totenglöcklein bereits läuten.

Was wird.

2004 hat angefangen und mit dem neuen Jahr rollten die Prognosen und die Rückschau auf alte Prognosen wie Spam-Büchsen in die Mailboxen. Was wird nicht alles kommen, von der immer wieder beschworenen Konvergenz über das immer wieder gepriesene Voice over Internet bis hin zum immer wieder auftauchenden Microsoft-Linux.

Viel aufschlussreicher ist indes, was nicht auf der Agenda steht und was gewünscht wird, dass es nicht passiert. Dass Bush nicht wiedergewählt wird. Dass Bill Gates nicht den Friedensnobelpreis erhält, von dem er träumt. Dass Apple nicht die Prozesse gewinnt, die über Rechner und iPods mit leistungsschwachen Batterien geführt werden und Steve Jobs auf der kommenden MacWorld einmal keine Keynote hält.

Weitere Kongresse rollen an. Auf der Omnicard in Berlin wird diskutiert, wie die Informationsgesellschaft in Deutschland auf die ultimative Karte gesetzt werden kann. Auf der Consumer Electronics Show zeigt Bill Gates, wie Microsoft unter seiner Leitung mit dem Design bahnbrechender Technologien Marktführer in den Kategorien bleibt, die alle Bereiche des menschlichen Strebens abdecken. Oder so. Wer den SPOTt hat, braucht sich um die Schokolade nicht zu sorgen. (Hal Faber) / (jk)