4W

Was war. Was wird. Bürgergedanken vor dem großen Lichterfest

Mit dem Einhorn in den Elfenbeinturm. Ach, wenn es doch nur so einfach wäre, vor den Unbillen der Welt zu fliehen, beschwert sich Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 24 Kommentare lesen

Eskapismus ist immer eine Alternative, oder? Nicht wirklich. Er hilft nichts gegen die "Flut der Scheiße", die nicht nur gegen die Elfenbeintürme anbrandet, in denen möglicherweise Einhörner zu finden sind. In den ganz normalen Gegenden, in denen Elfenbein-Einhorn-Eskapismus nicht en vogue ist, finden sich glücklicherweise immer viele Tapfere, die nicht auf den Querdenkerscheiß hereinfallen.

(Bild: solarseven / nShutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Pardautz, da waren sie verschwunden, die Christlichen und ihre Flugtaxis. Ein paar Tage hat sie nun schon hinter sich, die neue Regierung im Zeichen der Ampel. Ihre Spitzenpolitiker fliegen und bahnen durch Europa, sprechen auf Englisch, Französisch oder eben Dänisch wie der Habeckrobert. In den asozialen Medien schäumen Germanische Jungs und so kommt Flaubert wie in der letzten Wochenschau nochmal zum Einsatz. Er schrieb: "Ich habe immer versucht, in einem Elfenbeinturm zu leben; doch eine Flut von Scheiße schlägt an seine Mauern, sodass sie einzustürzen drohen." Vom Elfenbeinturm der Künste zu den Türmen der Regierenden gibt es zwar Distanzen, doch die Flut der Scheiße überbrückt sie mit rechts. Deshalb ist an dieser Stelle mal ein Lob der Medien fällig, die sich beharrlich gegen diese Flut stellen und auch nicht einknicken, wenn die Anwaltsschreiben kommen. Lustig wird es dann, wenn vor Gericht verhandelt wird, ob jemand den langweiligsten Namen der Welt haben kann – und ein Journalist das Glück hat, eine fähige Rechtsabteilung hinter sich zu wissen. Anders gesagt: Unsere öffentlich-rechtlichen Meiden sind wichtig und müssen weiter entwickelt werden. In diesem unseren digitalen Zeitalter brauchen wir sie noch mehr denn je.

*** Jung ist unsere neue Regierung, doch sie ist schon schwer innovativ. Aus dem Ministerium für Verkehr, Digitale Infrastruktur und bayerische Bevorzugung ist das Federal Ministry of Digital and Transport geworden, aus dem BMVI ein BMDV. Bayern nimmt's hin und wird mit dem G7-Gipfel in Elmau belohnt, diesmal mit einem besonders schicken Logo. Die nicht vollständig abgebildeten Elemente G und 7 "ergänzen sich, unterstreichen das vertrauensvolle Miteinander und bilden gemeinsam ein starkes Zeichen". Ja, das ist schwer digital. Routiniert wird schon in den ersten Tagen gewarnt, dass das mit der schnellen Digitalisierung nicht ganz so schnell geht. Von wegen ein 100-Tage-Programm abbrennen und hopplahopp, die Welt ist gut. So gesehen ist es verständlich, wenn anspruchsvolle Projekte wie der PIN-Rücksetzungs- und Aktivierungsdienst für den ach so neuen Personalausweis und die relativ neuen Gesundheitskarten der Generation 2.1 erst einmal auf Eis gelegt werden. Wer seine PIN-Briefe verbaselt, ist eben selber schuld. Aktuell sieht man das übrigens hübsch bei den Ärzten, die ihre Heilberufsausweise zum Januar scharf schalten müssen und nach erfolgloser Suche neue Ausweise bei den Vertrauensdienstleistern bestellen müssen. Dabei haben sie eigentlich genug damit zu tun, nach Log4j die Software in den Praxen zu aktualisieren.

*** Über Log4j ist eigentlich alles gesagt, gemeint und gemahnt, nur von Ceki Gülcü nicht, der vor 24 Jahren bei IBM diesen Logger programmierte. Er erzählt, wie es damals in der Open-Source-Szene zuging, wie man lobbbyieren und diskutieren musste. Gülcü arbeitete in seiner Freizeit viele tausend Stunden am System, 20 Jahre lang, ehe er eine eigene Firma gründete und seine Software Logback vermarktete. Nun macht er sich Gedanken über die Open Source-Idee, die ja auch im Digitalkapitel des Koalitionsvertrages der Neuen eine wichtige Rolle spielt: "Dass viele Leute gratis am Code arbeiten, den Firmen nutzen, um Milliarden zu verdienen, ist schon irgendwie unfair. Aber das ist eben das Prinzip von Open Source. Dafür Bezahlung zu fordern, wäre, als wenn man einen Freund zum Essen einlädt und dann Geld dafür verlangt. Aber man kann ein Geschenk nicht zurückfordern. Es kann schon sein, dass sich das irgendwann ändert. Schließlich waren am Anfang auch die rechtlichen Fragen um Open Source ungeklärt. Heute gibt es ein System dafür. Anfangs wäre keinem eingefallen, für Open-Source-Code eine Gegenleistung zu erwarten. Aber vielleicht ist es an der Zeit, über Geld nachzudenken. Ich habe allerdings keine Antwort. Denn wenn man diese Arbeit bezahlen will, dann müsste man es richtig tun." Richtig Geld ausgeben? Wo kommen wir denn dahin? Nehmen wir lieber ein anderes Stück Software von dort, wo die Software zum Sterben hingeht.

*** Seit dieser Woche steht der hochgelobte Film Ich bin dein Mensch in der ARD-Mediathek herum, natürlich nur für kurze Zeit. Anders als beim kleinen Irrwisch HeiseBotti, einer KI, die mit den neurotischen Heise-Redakteuren zusammenlebt, ist der Mensch da im Film eine KI, die alles daran setzt, der perfekte Lebenspartner einer Menschin zu sein. Der Film ist schmalzig, denn der Robot kann sich beherrschen im Gegensatz zur Buchvorlage, die mit einem tödlichen Systemausfall des Roboters endet.

*** Das bringt mich zur ersten Roboter-Geschichte in deutscher Sprache, "Seine Exzellenz, der Automat". Besagter Automat schafft es mit seinen von einer Tonwalze gesprochenen Floskel bis in die Politik, genau wie dieser junge Friedrich Merz. Erst im Angesicht eines drohenden Krieges kann sein Federwerksmechanismus von seinem Erbauer zerstört werden und quillt ihm stilecht aus dem Bauche. Das Ganze kann man hier nachlesen. Aus dem Geleitwort, für lustigere Zeiten in der fünften oder sechsten Welle: "Lieber Bürger, edler loyaler Untertan, der du kritiklos bewundernd vor allem und jedem devotest auf dem Bauch rutschest, was man dir als groß und glänzend hinstellt, für den nichts dumm genug ist, als dass er nicht täppisch darauf hineinfiele, für den nichts lächerlich genug ist, als dass er es nicht ernst nimmt, für den nichts ernst genug ist, als dass er es nicht frech begrinst, der bereitwilligst den Genius blutig verfolgt, wenn er dafür ein Trinkgeld, ja nur das huldvolle Kopfnicken der Lakaien einheimsen kann – Ihr Alle von der edlen Gilde derer, die nicht alle werden: hier habt Ihr den Künstler gefunden, der Euch liebevoll Euer Porträt vorhält, den Biographen, der den Mechanismus Eurer ganzen Beschränktheit rücksichtslos freilegt."

Lieber Bürger, edler loyaler Untertan, nehm es nicht kritiklos hin, dass von dieser unserer neuen Bundesregierung viel versprochen wurde! Im Koalitionsvertrag steht der starke Satz "Wir stärken digitale Bürgerrechte und IT-Sicherheit. Sie zu gewährleisten ist staatliche Pflicht." Am kommenden Dienstag begehen wir den fünften Jahrestags eines wegweisenden Urteils. In gänzlich unpandemischer Zeit urteilte der Europäische Gerichtshof am 21.12.2015, das die anlasslose Vorratsdatenspeicherung illegal ist. Nach diesem Urteil setzte die Bundesnetzagentur die Vorratsdatenspeicherung aus, doch die alte Schlange zuckte weiter. Seitdem der EU-Rat "alle Optionen" offenhalten wollte, kam die Forderung nach einer Vorratsdatenspeicherung mit schöner Regelmäßigkeit auf die Agenda der Großen Koalition. Vielleicht gelingt zum 5. Jahrestag das Umdenken mit der Ansicht, dass sämtliche Überwachungspläne von Vorratsdatenspeicherung bis zur Überwachung verschlüsselter Messenger-Kommunikation, wie sie auf EU-Ebene vorangetrieben wird, eingestellt werden müssen. Es zeichnet sich ab, dass tatsächlich ein Umdenken eingesetzt hat. Bekanntlich verfolgt die neue Regierung Pläne, neben der Überwachungsgesamtrechnung ein Überwachungsbarometer einzurichten, wie es das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht vorgeschlagen hat.

Wie heißt es so schön: "Gegenstand des Überwachungsbarometers ist die reale Überwachungslast, der die BürgerInnen aufgrund der tatsächlichen Nutzung der verschiedenen rechtlichen Befugnisse zur Erhebung bzw. zum Abrufen bereits anderweitig vorhandener Daten in der behördlichen Routine ausgesetzt sind." Gut möglich, dass auch Bürger, die angeblich niemals etwas zu verbergen haben, erkennen können, was für ein Tief an Freiheitsbeschränkungen sich da zusammenbraut. Und damit ist nicht der Quatsch der Querdenker gemeint, die ihre "Freiheit" bedroht sehen, ungeimpft zu bleiben und Scharlatanen zu folgen.

(jk)