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Was war. Was wird. Deutschland, ödes Land.

Ein wenig Eskapismus? Nicht mal die Science Fiction hilft mehr, jammert Hal Faber. Es herrscht keineswegs Langeweile in der ödesten aller Gesellschaften.

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Winter is coming. Nix wie weg.

(Bild: Volodymyr Burdiak / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Öde, gähnende Öde, soweit das Auge blicken kann. Deutscherster geht es nicht. Mit dem außerordentlich öden Beispiel von Winterreifen und Schneeketten hat diese unsere Bundesregierung das neue Infektionsschutzgesetz vorgestellt, das vom 1. Oktober an greifen soll.

Unter anderem mit einer FFP2-Maskenpflicht in Analogie zu den Winterreifen und einer FFP2-Maskenpflicht mitsamt einem Abstandsgebot in Analogie zu den Schneeketten, die Mensch im Tiefschnee aufzieht. Prompt kam die Kritik an der Maskenpflicht, diesmal nicht von Querdeppen, sondern von einer Querzeitung, die im Tragen der Maske eine Kulturverödung beklagt. Kein anmutiges Lächeln mehr; und Zunge rausstrecken hinter der Maske geht auch nicht. Wer dann noch zur Maske eine Sonnenbrille trägt, etwa im gleißenden Winterlicht beim Anlegen von Schneeketten, trägt zur weiteren Verödung der Kultur bei. Gegen die allseitige Öde in der Kultur hilft nur Frische, eben die frisch geimpften oder frisch genesenden Menschen, die sich an der Kultur zu schaffen machen. Das ist zu unterkomplex? Quatsch, das war das Motto der re:publica 19, und da gab es bekanntlich kein Corona. Der Kipppunkt kam halt später. Wie sagte es Minister Buschmann, zur Vorstellung des Schutzgesetzes. "Wir nehmen die Pandemie weiter ernst. Und vor allem nehmen wir die Grundrechte ernst." Stellte er damit klar, dass es ein Grundrecht auf Öde gibt, auf Langeweile und menschenleere Kahle? Oder ist alles mal wieder die Schuld von Karl Lauterbach, der sein Gesetz heilen soll?

*** Inmitten dieser allgemeinen Verödung gibt es weiterhin einen Krieg in Europas Osten und den bemerkenswerten Satz, der nicht von einem Minister kam, aber immerhin von Chef des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik: "Glaube leider gar nicht antwortem". Die "international anerkannte und hervorragend vernetzte technisch-wissenschaftliche Behörde" wurde mit diesem Satz angewiesen, wie sie auf eine Anfrage der Kaspersky Labs antworten sollte. Kaspersky fragte nämlich an, ob man sich bitte mit einer Stellungnahme zur Solidität der Kaspersky-Produkte äußern könnte, die unter anderem in Russland und in der Schweiz entwickelt werden. Nun ist das BSI dem deutschen Innenministerium unterstellt, das weisungsberechtigt ist. Jetzt dürfte in aller öffentlichen Öde eine Diskussion hochkommen, die aus juristischer Sicht ganz klar gesehen wird: "In den vergangenen Jahren diskutierte die Fachcommunity regelmäßig die fehlende Unabhängigkeit und damit nur eingeschränkte Vertrauenswürdigkeit des BSI. Diese Diskussionen wurden als belanglos abgewimmelt, sind jetzt aber wieder aktuell. Es geht folglich nicht nur um abstrakte Rechtmäßigkeitserwägungen für behördliche Verwaltungsakte. Vielmehr müssen politisch definierte Zuständigkeiten des BMI auch für weitere Sicherheitsbehörden des Bundes und den behördlichen Umgang mit Sicherheitslücken in den Fokus rücken. Letztlich zeigt sich: Wirkliche Cybersicherheit im technisch, und nicht in einem politisch verstandenen Sinne gibt es nur mit einem politisch weitestgehend unabhängigen BSI." Ob das BSI unabhängig ist oder über das Ministerium gesteuert wird, wäre auch eine Frage, die beim großen Konnektorentausch eine Rolle spielen dürfte. Hinter einer Paywall des Handelsblattes steht die Antwort des BSI auf eine entsprechende Anfrage: "Selbst ohne einen Austausch der eingebauten g-SMC-K-Karten könnte die Betriebsdauer der Konnektoren verlängert werden. Für einen überschaubaren Zeitraum, zum Beispiel für circa zwei Jahre, lässt sich das zu diesem Zeitpunkt bereits vertretbar abschätzen."

*** Es gibt sie noch, die unabsehbaren Zeiträume neben den vertretbaren Zeitpunkten. Versetzen wir uns von 2022 nach 2072 NGZ, der neuen galaktischen Zeitrechnung: "Der Hyperfunkturm im Westfalenpark sendete seine Botschaft weiter in die großen Netzwerke Terras ..." Richtig, der neue Perry Rhodan ist draußen und er spielt in der schönen Ruhrstadt Gelsenkirchen, wie das Cover mit dem Eiffelturm des Ruhrgebietes zeigt: "Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist Fernerik gestrandet, ein sogenannter Chaoporter." Wer nur ein bisschen in die Zukunft gucken möchte, so als Chaopolizist, betreibt Predictive Policing, natürlich ebenfalls in Gelsenkirchen. ELSA, ausgeschrieben "Evidenzbasierte lokale Sicherheitsanalysen", nennt sich das vom Bundeskriminalamt entwickelte Frühwarnsystem zur Sauberkeit und zur Sicherheitslage in migrantisch geprägten Quartieren. Kernstück von ELSA ist eine fette Excel-Tabelle mit polizeilichen Daten zu Aggressionsdelikten, zur Straßen- und Drogenkriminalität. Da werden dann Daten über "ethnische Tatverdächtigengruppen" in Schalke-Nord und Ückendorf gespeichert, was nicht nur der Gelsenkirchener Michael Voregger problematisch findet. Dann lieber doch rein ins Perryversum, in die heile Welt von Perry Rhodan? Kein Problem, der Autor Wim Vandemaan wohnt in Gelsenkirchen-Buer, dem Berlin-Dahlem des Ruhrgebietes.

*** Für die Vogue-Fotografin Annie Leibovitz hat die Ukrainerin Olena Selenska auf einer Treppe Modell gesessen. Die von etlichen westlichen Fotografen kritisierte Nutzung der Kriegskulisse für Glamourfotos hat in der Ukraine ein gewaltiges Echo ausgelöst und auf Twitter die un-bot-mäßige Aktion #sitlikeagirl angestoßen. Die Initiatorin des Hashtags hatte dabei ganz anderes im Sinn: "Waffen und nur Waffen sollten im Mittelpunkt stehen – ständig und immer. Alles, was die Chancen auf mehr Waffen, bessere Waffen, schnellere Waffenlieferungen erhöht, arbeitet für uns." Man kann es anders sehen, zumal mit einem Autokraten Putin, der jetzt offenbar auf zwei Militärs setzt, den Feldmarschall Zeit und den General Winter: "In Demokratien müssen die Staats- und Regierungschefs ein solches groß angelegtes, strategisches Engagement vor den Wählern rechtfertigen und erklären, sonst werden sie es auf Dauer nicht unterstützen. Putin würde dann mit seiner Diagnose, dass Demokratien schwach sind, Recht behalten. Estlands Kaja Kallas gibt ein Beispiel für eine solche Führung, aber ihr Volk weiß bereits genug über Russland. Im Moment sehe ich keinen Führer einer großen westlichen Demokratie, der das Gleiche tut." Im Ukrainischen ist "Mensch" übrigens weiblich.

Spielt die Menschheit mit einer geladenen Waffe? Das jedenfalls meinte der UN-Generalsekretär António Guterres beim Gedenken an den Atombombenabwurf in Hiroshima. Er forderte die Atomwaffen-Staaten auf, die Nuklearoption vom Tisch zu nehmen. Dabei ist die Nukleargefahr vielfältiger, man denke nur an die gegenseitigen Beschuldigungen seitens der Ukraine und Russland, das AKW Saporischschja zu beschießen oder an die maroden AKW in Frankreich. Inmitten dieser Fragen gibt es bei uns das "Angebot" der Opposition, in den Sommerferien zu einer Sondersitzung des Bundestages zusammenzukommen, um einen Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg zu beschließen, der angeblich die Stromkrise verhindert. Isar 2 müsse weiterlaufen in diesem unseren Streckbetrieb. Wie wäre es, wenn bei der angeblich so gebotenen Dringlichkeit in der Energiekrise auch einmal die Klimakrise mit einem Rausruf aus den Ferien für Politiker und Politikerinnen verbunden wird? Und diejenigen, die hinter der Forderung nach einer "unideologischen Debatte" nur ihre versteckte Agenda gegen die Zukunft verbergen, endlich mal die Klappe hielten?

(jk)