4W

Was war. Was wird. Die Jahresend- und Jahresanfang-Edition

Auf dass die Server von heise online zum Jahresende zum Wesen ihrer Serverheit gelangen: ein bisschen Statistik. Und etwas Pessimismus. Und etwas Optimismus. Wie es Euch gefällt, Euch glücklichen Menschen da draußen, grübelt Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 52 Kommentare lesen
Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Hal Faber

Jahresende? Echt? Ist das Jahr schon wieder rum. Nun gut. Dann wollen wir auch zum Jahresende mal: Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und das auch mal als Jahresschau, als Rück- und Ausblick auf ein ganzes Jahr.

Was war.

*** The same procedure as every year? Aber ja, sicher doch, wird gemacht, liebe Leserin, lieber Leser, liebe Textbots und Hal-Hasser. Wozu produzieren diese knuffigen Server des Heise-Verlages eigentlich Statistiken, wenn diese nicht erklärt werden? Ist es nicht der Wunsch des Servers an sich, über Zahlen der Top Ten oder der Top Hundert eines Jahres zum Ausdruck seiner Serverheit zu gelangen? Schließlich gibt es seit Hegel das geflügelte Wort einer zweipoligen Verschränkung von Server und Leser, philosophisch die Dialektik von Herr und Knecht genannt: Ein Nichts ist der Server ohne seine Leser, weil keine Werbung geschaltet werden kann, die all die netten Menschen hinter dem Einschubmodul ernährt, vom Admin über die Buchhaltung bis zu den Redakteuren und, ganz zum Schluss, die Krümelchen, die freie Journalisten aufpicken dürfen wie Aschenputtel. Was uns eigentlich zu dem von Lenin geprägten Wort vom "Aschenputtel-Verfahren" bringen müsste, als Lese-Variante, mit der man Hegel beikommen kann, aber lassen wir das heute. Denn da ist ja noch die andere Seite der Dialektik, gewissermaßen der hundwedelnde Schwanz: Ein Nichts ist der Heise-Leser ohne seine Heise-Server, denn wo sonst sollte sich die wahre Netzfreundschaft pflegen lassen, wenn nicht im Off-Topic, dem Quell westlicher Weisheit?

*** Doch alle Vorrede hilft nicht, wenn man die Hosen herunterlassen muss und die nackten Zahlen auftauchen. Das Jahr 2013 war, rein statistisch gesehen, eine einzige Unüblichkeit, etwa im Vergleich zu 2012 oder 2011. Schuld daran ist der alle Rekorde brechende Monat Dezember, oder, um es etwas unverblümter zu sagen: Die Lust auf nacktes, stöhnendes Fleisch. Jede einzelne Meldung über die seltsamen Vorkommnisse rund um die Redtube-Abmahnung brachte es auf Rekord-Zugriffe. Über 15 Millionen Abrufe zeigen, dass viele Gelegenheitsleser zu heise online kommen, wenn es um belastbare Nachrichten und Einschätzungen geht. Mit 2.358.573 Page Impressions und über 1700 Leserkommentarren wurde dieser Text über die fragwürdige Ermittlung von IP-Adressen der unangefochtene Spitzenreiter aller Nachrichten. Die seit Jahren unangefochten führende Ticker-Spitzenmeldung zum Tod des Rechtsanwaltes von Gravenreuth wurde nur um ein paar hunderttausend Abrufe verfehlt. Den großen Abstand mag man sich vor Augen halten, wenn man sich die Nummer 2 des Jahres 2013 mit 1.418.355 Abrufen betrachtet, die Meldung der Bandbreiten drosselnden Telekom mit über 2.200 Leserkommentaren. Allein die Tatsache, dass es insgesamt sagenhafte 37 Meldungen über das Hin- und Her der Telekom unter die Top 100 der meistgelesensten Newsmeldungen brachte, katapultiert das von allen guten Renés verlassene Unternehmen mit dem Drosselthema eindeutig auf Platz 1.

*** Eben so eindeutig wie die Telekom mit ihren Drosselplänen schaffte es Edward Snowden mit den laufenden Enthüllungen der Aktivitäten von NSA und GCHQ auf den zweiten Platz. Von der ersten Aufdeckung seiner Identität bis hin zu seinen "Weinachtsansprachen" in Print und TV schaffte es jede einzelne Meldung in die Top 100. Wenn man fies rechnet und die zahlreichen Meldungen zum beängstigenden anhaltenden Nichtstun der Bundesregierung von Pofalla und Friedrich über Merkel bis hin zu Merkel-neu und de Maizière zusammenrechnet und dazu noch die Frage addiert, ob ein Mutiger wie Edward Snowden in Deutschland Asyl bekommen sollte, dann liegt das Schnüffelthema eindeutig auf dem ersten Platz, erst recht bei Addition der Leserkommentare. Soviel kann die Telekom gar nicht drosseln wie wir kotzen müssen beim Blick auf das unrühmliche Verhalten deutscher Regierungsmitglieder. Man könnte das regierungsamtliche Duckmäusertum zwar mit Blick auf Geheimverträge und Sondervorbehalte unserer Befreier erklären, doch das macht die Sache eher noch schlimmer: sollten diese Verträge auch 2014 noch juristisch bindend sein, gehören sie auf den Prüfstand und müssen von allen deutschen Bürgern gelesen werden können. Die Juristen haben da einen anderen Blick als die Historiker.

*** Das Jahr 2013 war bekanntlich ein Waljahr. Vieles wurde versprochen von den dicken typisch deutschen Walfafischen, die ihre Walversprechen nicht halten können. Erstaunlicherweise hat es keine der vielen Walkampfmeldungen unter die Top 100 gebracht, nur die Meldung zum Endergebnis schaffte eine achtbare Platzierung in den Top 10 und wurde von 2000 Lesern kommentiert. Im Gegensatz zum Vorjahr schaffte es übrigens keine einzige Meldung über die Piratenpartei in die Top-Listen. Betrachtet man das engere Feld der IT-Nachrichten, so präsentiert sich Microsofts Steve Ballmer als strahlender Sieger nach Abrufen, obgleich es hierbei ausschließlich um Meldungen geht, wer denn sein Nachfolger bei Microsoft werden könnte – eine Frage, die uns ins neue Jahr begleitet. Auf Platz 2 schaffte es der PGP-Entwickler Philip Zimmermann, mit deutlichem Vorsprung vor Kim Schmitz, dem Superstar des Jahres 2012: Die Fragen zur Kryptographie rund um die NSA-Affäre beschäftigte Leser und Leserinnen deutlich mehr als das Treiben des Megalomanen in Neuseeland. Bei der Software schaffte es Windows 8.1 auf den ersten Platz, knapp vor Nachrichten die sich mit dem Auslaufen von Windows XP beschäftigen. Totgesagte haben halt ein langes Leben. Bei der Hardware wird es kompliziert: Addiert man die Einzelnachrichten zu den jeweiligen Meldungen über die Xbox One (Microsoft), über die Playstation (Sony) und das iPhone 5s (Apple) , so liegen alle drei Firmen ungefähr auf gleicher Höhe. Schaut man auf die Einzelmeldungen, so rollen Elektrofahrräder und Elektroautos in den Vordergrund: Heise-LeserInnen sind neugierig, was alle neuen Technologien betrifft. Doch nicht alles, was neu ist, ist gut, wie die ebenfalls in den Tops gelandeten Meldungen über Smart Meter und Smart Driver zeigen.

Was wird.

Doch lassen wir die Moleküle und Zähler rasen, was sie auch zusammenknobeln, lassen wir das Tüfteln, lassen wir das Knobeln, nichts ist heilig in den Phasen zwischen den Jahren, (auch der Morgenstern nicht). Denn wenn man einmal anfängt mit dem Rechnen, etwa nach all den Versicherungen, die Demokratie zu achten, dann sieht es in dieser unser neuen GroKo düster aus. Endlose Schleifen von selbstgefälligen Politikern zugespielt, verheißen nichts Gutes für 2014. Doch soll ich was verheißen? BYOD als Trend wie in "Bring your own democracy? Schön wär's ja. Immerhin, soweit, soschlecht lag die letzte Jahresendausgabe dieser kleinen Kolumne richtig im Ausblick: "Die NSA mit ihrem Superrechenzentrum überwacht uns alle und entschlüsselt alles. Oder auch nicht." Der Satz wird auch 2014 bestand haben. Die NSA überwacht uns. Und wenn sie das nicht tut, speichert sie unsere Anomalien auf Vorrat, die Nomalien den Facebooks und Googles dieser Welt überlassend.

Wenn Nicos Poulantzas vom "Ausnahmestaat" redet, so geht dies heutzutage über in die Rede vom "tiefen Staat" – und man muss nicht einmal der gesamten Analyse von Poulantzas folgen, um etwa im SS-Staat, den Eugen Kogon mit seinen Geheimdienst- und Polizeistrukturen, ökonomischen Einrichtungen und gesellschaftlicher Durchdringung als über das System der Konzentrationslager weit hinausgehend beschreibt, eine besondere und besonders brutale Form des tiefen Staats zu erkennen.

"Hat der kapitalistische Staat die Form des Ausnahmestaats angenommen - aufgrund der Periode und der Krise, denen dieser Staat entspricht -, so greift er im allgemeinen in charakteristischer Weise in den ökonomischen Bereich ein, um das System angesichts der zunehmenden Vergesellschaftung der Produktivkräfte anzupassen und weiter funktionsfähig zu erhalten. [...] Die relative Autonomie der Form des Ausnahmestaats gegenüber den herrschenden Klassen und Klassenfraktionen nimmt ein besonderes Ausmaß an und realisiert sich in höchst charakteristischer Weise; sie ist das Ergebnis der politischen Krise und des Kräfteverhältnisses, denen diese Staatsform entspricht. [...] Der Ausnahmestaat ist durch eine charakteristische Modifikation des juristischen Systems gekennzeichnet, die häufig begriffen wird als Unterschied zwischen 'Rechtsstaat' und 'Polizeistaat'. [...] Ein weiteres charakteristisches Merkmal der Form des Ausnahmestaats ist die Modifikation der Art und Weise der Repräsentation und der Klassenorganisation, ein Element, das sowohl die politischen Parteien wie die ideologischen Staatsapparate betrifft. [...] Es ist kein Zufall, dass die Form des Ausnahmestaats immer mit einer Krise der Parteienvertretung einhergeht. [...] Die Rolle der Parteien wird entweder auf andere ideologische Staatsapparate oder sogar auf Glieder des repressiven Staatsapparats verlagert." (Poulantzas, Faschismus und Diktatur)

Ein ganz heißer Tipp also: 2014 geht genauso weiter wie 2013, dies zeigt schließlich auch der Blick in die redaktionseigene Glaskugel im Rückblick. Bestens ist das aktuell zu sehen an all den Irrsinnsmeldungen zur elektronischen Gesundheitskarte, die ab morgen Pflicht sein soll. Dass die alten Krankenversicherungskarten bis zum aufgedruckten Ablaufdatum gültig sind, solange die allgemeine telematische Infrastruktur nicht existiert, wen interessiert das schon? Da verbreitet man lieber verschwörungsschwangeren Schwachsinn, frisch vom Chaos Communication Congress aufgeschnappt: "Mit dem Authentifizierungschip der Gesundheitskarte wurde bis 2011 sogar der Einkommensnachweis von Arbeitnehmern digital bearbeitet." Dabei gehört es zu den betrüblichen Erfahrungen des alten Jahres, dass sich der Chip (bzw. die in ihm aufgebrachten Schlüssel) für eigene Anwendungen nicht nutzen lässt, weil die Krankenkassen die Ausgabe/Freigabe der PIN verweigern. Im Fortschritt steckt immer der Rückschritt, das wusste schon Hegel.

Muss der Rückschritt aber so weit gehen wie bei der menschenverachtenden Regierungspartei CSU? Mit ihrem Spruch "Wer betrügt der fliegt" hat sie ganz zum Jahresende einen neuen Tiefpunkt gesetzt. Wenn dies Stammtischniveau sein soll, dann stehen diese Tische an den Jauchegruben, in die sich rechtsgerichtetes Pack entleert. Es darf Keine Angst vor EU-Zuwanderern geben, die gerade in Deutschland dringend benötigt werden. Seit dem Auftritt von Glenn Greenwald auf dem Kongress des CCC wird bekanntlich landauf, landab eine vertortete Debatte darüber geführt, was Journalisten alles so dürfen. Oder auch nicht. Dabei wäre allen schon geholfen, wenn sie wenigstens etwas recherchieren würden und sei es nur eine klitzekleine Googelei, ehe sie den Müll der rechtsradikalen APO wiederholen. Leider wird sich dies auch 2014 wiederholen.

Und wenn? Und dann? Und nun? Eine Renaissance des Anarchismus? Gegen die Apokalypse eines sozialdemokratisch-christdemokratischen Ausnahmestaats (die SPD hat eine eher erschreckende Historie aufzuweisen, was Sicherheitspolitik und die Förderung des tiefen Staats angeht, nicht erst seit Otto Schily); und gegen die irrwitzigen realsozialistischen, nur noch als Satire zu begreifenden Ausfälle einer Clique neulinker Theoretiker, deren sichtbarste Figur Slavoj Zizek darstellt?

"Es kommt keine Freiheit, wenn man sich nicht die Freiheit und die eigene Façon selber herausnimmt, es kommt nur die Anarchie der Zukunft, wenn die Menschen der Gegenwart Anarchisten sind, nicht nur Anhänger des Anarchismus. Das ist ein großer Unterschied, ob ich Anhänger des Anarchismus oder ob ich ein Anarchist bin. Der Anhänger eines Lehrgebäudes kann im übrigen ein Philister und Spießbürger sein; eine Wesenswandlung ist notwendig oder wenigstens eine Umkrempelung des ganzen Menschen, so daß endlich die innere Überzeugung etwas Gelebtes wird, das in Erscheinung tritt."

Ach, das wird doch nur wieder ein kurzer Sommer. Manchmal aber hasse ich meinen Pessimismus.

"Die Anarchie ist der Ausdruck für die Befreiung des Menschen vom Staatsgötzen, vom Kirchengötzen, vom Kapitalgötzen; Sozialismus ist der Ausdruck für die wahre echte Verbindung zwischen den Menschen, die echt ist, weil sie aus dem individuellen Geist erwächst, weil sie als das ewig Gleiche und Eine im Geist des einzelnen, als lebendige Idee blüht, weil sie zwischen den Menschen als freier Bund ersteht."

Aber halt, ich wollte doch optimistisch schließen! Einen tollen guten Rutsch wünschen und so. Geht das wirklich nicht angesichts geballter Niedertracht? Natürlich geht es. Man schaue nur auf einen durch und durch optimistischen Kontinent wie Südamerika, dem ein glänzendes 2014 bevorsteht, Fußball inklusive: "El mundo en que vivimos es espantoso, pero es el menos espantoso que haya habido", heißt es . "Wir leben in einer schrecklichen Welt, ja, aber es ist die am wenigsten schreckliche Welt, die es je gegeben hat." Nun gut, dann wollen wir das mal glauben und uns uns selbst als glückliche Menschen vorstellen. Es kann immer besser werden.

"Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."

Auf ein Neues! (jk)