Was war. Was wird. Mit einem besonderen Lob der deutschen Sensibilität.
"Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen", kommentierte Zvi Rix modernen deutschen Antisemitismus. Das passt leider allzu gut, grummelt Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Es ist wahr, dass Bundeskanzler Olaf Scholz keine besonders glückliche Figur abgab, als Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas davon sprach, dass Israel "50 Massaker, 50 Holocausts" begangen habe. Das geschah in dieser Woche in einer Pressekonferenz, in der Abbas gefragt wurde, ob er sich für den Terroranschlag bei den olympischen Spielen in München 1972 entschuldige. Es ist ebenso wahr, dass Regierungssprecher Steffen Hebestreit bei der Antwort von Abbas offenbar in einen Sekundenschlaf gefallen war. Aber danach wurde es noch schlimmer: Niemand anderer als Felix Klein, der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, salbaderte: "Durch seine Holocaustrelativierung hat Präsident Abbas jegliche Sensibilität gegenüber uns deutschen Gastgebern vermissen lassen."
Wir Deutsche, die wir doch Weltmeister in der Verarbeitung der Zeit sind, als Deutsche Gasgeber waren, lassen uns so etwas nicht bieten. Hier wäre ein weiterer Blick auf die Geschichte nützlich. Denn da gibt es das 1999 erschienene Buch von Abu Daoud, einem der beiden PLO-Mitglieder, die den Terroranschlag planten. In "Palestine. De Jerusalem a Munich" behauptete er, dass Mahmoud Abbas als damaliger Finanzchef der PLO wusste, wofür er Gelder freigab, die das Terrorkommando brauchte. Später dementierte Daoud in einem Interview, dass Abbas in die Pläne eingeweiht war. Die Frage wird sich wohl nicht klären lassen, zeigt aber, wie berechtigt die Frage auf der Pressekonferenz war, nach der Abbas ausfallend wurde.
*** Zu deutscher Sensibilität muss noch ein anderer, düsterer Aspekt genannt werden. Niemand anderes als das im Gefängnis sitzende RAF-Mitglied Ulrike Meinhof feierte den Terroranschlag von München am 13. September 1972 in einen Brief an ihren Anwalt als "zutiefst proletarische Aktion" und jubelte: "Sie hat eine Sensibilität für historische und politische Zusammenhänge dokumentiert, wie das niemals eine kleinbürgerliche Aktion vermag; einen Mut und eine Kraft, die die Revolutionäre nur aus ihrer vollkommenen Verbundenheit mit dem palästinensischen Volk haben können; ein Klassenbewusstsein, das sich seiner historischen Mission, Avantgarde zu sein, absolut bewusst ist; eine Menschlichkeit, die von dem Bewusstsein bestimmt ist, gegen dasjenige Herrschaftssystem zu kämpfen, dass das historisch letzte System von Klassenherrschaft, gleichzeitig das grausamste, blutrünstigste, abgefeimteste ist, was es je gab." Sowohl der Anwalt Heinrich Hannover als auch die Mitgefangene Gudrun Ensslin waren entsetzt über diese Feier der "Menschlichkeit". Auch das gehört zur deutschen Geschichte, wie wieder einmal die Frage nach einer finanziellen Entschädigung, 50 Jahre später. Dann wäre da noch ein weiterer Deutscher, ein Wachmann.
*** Olaf Scholz mag keine glückliche Figur abgeben und seltsame Erinnerungslücken an seine Zeit als Hamburger Bürgermeister haben, ein "faschistisches Schwein" ist er jedoch nicht. Die von der Documenta stammende Äußerung des britischen Künstlers Hamja Ahsan von den "Shy Radicals" hat dazu geführt, dass Ahsan auf der internationalen Kunstschau Auftrittsverbot bekam. Seine Kunstwerke – Werbeinstallationen wie "Fanon Fried Chicken" oder "Kaliphate Fried Chicken" – werden weiterhin gezeigt. Man will unbedingt zwischen Kunst und Künstler trennen. Die alte Frage, was die Kunst darf, ist wieder da. 1997 war es Christoph Schlingensief, der mit "Tötet Helmut Kohl!" für Empörung sorgte. Hinzugekommen ist ganz Documenta-typisch die Frage des Antisemitismus, denn Ahsan hat auch eine Leuchtreklame für einen halale Hähnchenbraterei namens "Popular Front Liberation Fried Chicken" installiert, die an die "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP) erinnert. Außerdem wurde in Kassel eine weitere Zeichnung des Kollektivs Tarin Padi entdeckt, die einen geldgrapschenden Juden mit Kippa zeigte. Die Kippa wurde mit Klebeband so überklebt, dass die Kopfbedeckung wie ein marokkanischer Fes aussieht. Ist das die Zensur, die das Künstlerkollektiv Ruangrupa heftig ablehnt? Am Ende steht die spannende Frage, ob die ehrwürdige Documenta das überlebt. "Vielleicht war uns nicht bewusst genug, wie roh hier noch die Erinnerung an den Krieg, an den Holocaust ist. Vielleicht hätten wir dem mehr Raum geben müssen."
*** Während die Bürger mit ihren Messgeräten nach Stromverschwendern fragen oder an diesem Wochenende am Tag der offenen Tür in die kühlen Ministerien strömen, hat die große und kleine Politik ihr Thema gefunden: Wie reinigt Mensch sich trotz hoher Strom- und Gaskosten richtig? Duschen oder Katzenwäsche? Nimmt man dabei besser den Waschlappen oder folgt man besser gleich dem Non-Bathing-Trend? Wobei warmes Wasser in Privathaushalten nicht einmal 5 Prozent des Gasverbrauches ausmacht. Vielleicht muss man es gleich so borniert sehen wie die deutschen Handwerker aus Halle, die einen Brief an Olaf Scholz geschrieben haben, in dem betont wird, dass man nicht gewillt sei, für die Ukraine den "schwer erarbeiteten Lebensstandard" zu opfern. Ein treffender Kommentar dazu: "Das Gesamtinteresse der Metzger im Saalekreis ist Fleisch vom Fleische des Obergesamtinteresses eines wohlgenährten Volkes." Die besagte handwerkliche Berufsgruppe ist übrigens die, die mit einer Plakataktion gegen Klima-Aktivisten ihren allseits beklagten Azubimangel angehen will.
Was wird.
Verbitterte alte weiße Männer haben dafür gesorgt, dass ein Videoschnipsel der finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin viral ging, komplett mit der Unterstellung, dass dabei Drogen im Spiel waren. Zu dem lustigen Video gehört die traurige Nachricht, dass Sanna Marin sich prompt einem Drogentest unterzog, um den Gerüchten zu begegnen. Dass taffe Frauen leider einen Schritt mehr gehen müssen als Männer, zeigt auch die Geschichte von Melinda Gates-French, die jetzt als Lehrerin arbeiten will, um anderen (vermögenden) Frauen die wichtigsten Kniffe beim wohltätigen Einsatz von Spenden zu vermitteln. Gut, man mag sich streiten, ob das schon Arbeit ist. Unterdessen hat auch ihr Ex eine Schule besucht und sich einen Medizinbeutel genäht.
"Wir brauchen keinen starken Mann
Denn wir sind selber stark genug
Wir wissen selber, was zu tun ist
Unser Kopf ist groĂź genug"
sangen Ton Steine Scherben vor fünfzig Jahren. In Berlin wird heute etwas getan, was überfällig ist: Die Stadt bekommt einen Rio Reiser-Platz. Wer erinnert sich schon an Heinrich von Preußen, der eigentlich nie richtig in Berlin war und kränkelnd in Rom lebte, aber dem Heinrichplatz seinen Namen gab. Wenige erinnern sich auch an den Versuch, den Platz in "Arbeitsplatz" umzutaufen, denn irgendwo muss dieser ja sein, wenn Mensch und Hund im Home-Office hocken. Nun also Rio Reiser-Platz, als Stelle, an der man träumen kann, dass der Winter vorbei ist. Etwas größer könnte er schon sein, der Platz und der Traum.
Wenn der Sonntag endet, endet auch der Doppeltag der offenen Tür der Bundesregierung in Berlin. Deshalb sei hier an einen weiteren offenen Tag erinnert, bei dem nicht nur die Tür offen steht, sondern gleich der ganze Hackerspace, an dem sich die galaktischen Wesen treffen, die sich Hacker, Häcksen, Maker und Infonauten nennen. Berlinerinnen und Berliner müssen freilich reisen, wie die Aufzählung der Städte zeigt, in denen Spaces offen sind. Alle neugierigen Menschen sind willkommen, selbst Anthroposophen: "Nach meiner Meinung haben Computer und Fernsehen in der Pädagogik eine Wirkung, die zerstörerischer ist als die der Atombombe. Die Bombe erzeugt Verwüstungen, die man sehen und verabscheuen kann; die Zerstörungen von Fernsehen und Computern sind nicht wahrnehmbar, und hunderte von Millionen sind in diesen Prozess eingestiegen, der sich als Einbahnstraße erweist. Als Konsequenz können die Erwachsenen der Zukunft, die während ihrer Schulzeit mit Computern (selbst nur sehr geringen) Kontakt hatten, zu der Überzeugung kommen, dass es natürlich ist, Entscheidungsfindungen für soziale und persönliche Belange an Computer zu delegieren," schrieb der Anthroposoph Valdemar W. Setzer im Jahre 1992.
(jk)