Freie Fahrt - Warum digitale Helfer das Autofahren immer gefährlicher machen
Es war ein schlimmer Unfall. Das Auto rast ungebremst auf den stehenden Lastwagen. Die Unfallursache klingt unglaublich: Der Hersteller hatte nicht darauf hingewiesen, dass man den Fahrersitz mit eingeschaltetem Tempomat nicht verlassen sollte...
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Jahrelang hat er auf sein Traumauto gespart. An diesem Wochenende bricht Oliver Schreiber aus Kassel mit seinem nagelneuen Wagen zu einer längeren Fahrt auf. Er willFreunde besuchen. Auf der Autobahn nutzt er zum ersten Mal den eingebauten Tempomat, ein Gerät, das die Geschwindigkeit des Autos automatisch konstant hält. Gas geben muss er nun nicht mehr.
Dann schlägt das Wetter um und dafür fährt er zu schnell. Doch er merkt es nicht. Es geht ja alles wie von allein. Erst ein Tritt auf die Bremse schaltet den Tempomat aus. Auf rutschiger, regennasser Fahrbahn fatal. Die Schleuderpartie endet im Wald neben der Autobahn.
Oliver Schreiber zu seinem Unfall: „Der Tempomat hat meine Aktivität beim Autofahren ziemlich herabgesetzt. Er hat mich in so eine passive Situation gebracht in der ich einfach so vor mich hin gefahren bin. Meine Aufmerksamkeit auf das aktuelle Geschehen auf der Straße war dadurch eingeschränkt.“
Den Mensch nicht aus der Fahrtätigkeit entlassen
Wir besuchen Professor Bernhard Schlag, Professor am Verkehrspsychologischen Institut der TU Dresden. Wir wollen wissen, ob uns Fahrerassistenzsysteme wie bei Oliver Schreiber in scheinbarer Sicherheit wiegen können? Professor Schlag kennt das Phänomen: „Fahrassistenzsysteme sind immer dann für die Sicherheit ein wirklicher Gewinn, wenn sie den Menschen nicht aus seiner Fahrtätigkeit entlassen. Wenn der Mensch wirklich in der Fahrtätigkeit bleibt und er sich auch selber sagt: ‚Ich bin hier der verantwortlich Handelnde’.“
Wo alles automatisch geht wird das Bremsen leicht vergessen
Doch bei so manchem Komfortsystem verlassen sich die Nutzer zu sehr auf den elektronischen Helfer. Auch bei den neuesten Einparkhilfen. Die Besucherin einer Automesse probiert zum ersten Mal die neue Technik. Bei diesem Parkassistenten geht nahezu alles automatisch. Sensoren erfassen ständig ob eine Lücke am Straßenrand groß genug zum Einparken ist. Ist das der Fall, wird es vom Einparkassistenten angezeigt. Dann muss man nur noch auf einen Knopf drücken und kann die Hände vom Lenkrad nehmen. Nur Gas geben und Bremsen muss man noch selbst.
Doch genau das vergessen viele, die das System zum ersten Mal ausprobieren recht häufig. Auch bei der Frau auf der Automesse geht es schief. Mit Schwung fährt sie gegen das geparkte Fahrzeug hinter ihr. Nicht etwa, weil der Einparkassistent etwas falsch gemacht hat, sondern weil sie vor lauter Faszination darüber, dass der Wagen sich selbst vollautomatisch in die Parklücke bugsiert, zum Schluss einfach vergisst, dass sie noch bremsen muss.
Verkehrspsychologe Schlag dazu im Interview: „Sie ist ja instruiert, was sie zu tun hat, deshalb müsste man erwarten, dass sie das Richtige im richtigen Moment tut. Tatsächlich hat sie die ganze Verantwortung an das Fahrzeug übertragen.“
Bedienungsanleitung unbedingt lesen!
Einer der extremsten Fälle, in denen sich ein Fahrer wortwörtlich blind auf seinen Fahrassistenten verließ, ereignete sich in den USA. Der Mann schaltete während der Fahrt mit seinem Wohnmobil den Tempomat ein und verließ anschließend den Fahrerplatz, um sich hinten einen Kaffee zu kochen. Der Hersteller hatte in der Bedienungsanleitung nicht darauf hingewiesen, dass man den Fahrersitz mit eingeschaltetem Tempomat nicht verlassen sollte.
Sicherlich ist das ein Einzelfall. Doch ohne Einweisung und Bedienungsanleitung kommen viele Autofahrer mit den neuen Systemen keinesfalls auf Anhieb klar. Sie sollten deshalb unbedingt eine Einweisung bei Komfort-Assistenzsystemen in Anspruch nehmen oder sich zumindest Zeit zum gefahrlosen Ausprobieren neuer Systeme nehmen.
Zunehmende Automatisierung fördert Unaufmerksamkeit
Dennoch warnen Psychologen wie Professor Schlag generell vor der zunehmenden Automatisierung des Fahrens. Denn je weniger die Autofahrer tun müssen, desto monotoner und ermüdender wird die Fahrt. Viele lassen sich aus Langeweile durch Nebentätigkeiten ablenken. So gibt es Hinweise, dass Tempomat-Nutzer häufiger im Auto telefonieren.
Auch die neuesten Tempomate schützen nicht vor Unaufmerksamkeit. Etwa bei ACC (Adaptive Cruise Control) einer Geschwindigkeitsregeltechnik. Die regelt nicht nur die Geschwindigkeit, sondern hält auch automatisch einen selbst gewählten Sicherheitsabstand zum Vordermann ein.
Macht das System einen Fehler ĂĽberfordert das den Menschen
Man muss den Systemen zu gute halten, dass sie häufig mit zusätzlichen Notbremssystemen ausgestattet sind und in unvorhersehbaren Situationen, etwa einem plötzlichen Stau, von allein eine Notbremsung durchführen können.
Doch die modernen Abstandssysteme haben auch ihre TĂĽcken. Erkennen die Sensoren vorne freie Fahrt, beschleunigt der Wagen automatisch, um auf die voreingestellte Geschwindigkeit zu kommen. Das kann aber auch bei einer Ausfahrt passieren. FĂĽr den Fahrer, der das nicht weiĂź, kann das zur unliebsamen Ăśberraschung werden.
Dazu Prof. Schlag: „Das ist leicht eine Überforderung. Wir haben da ein schönes Beispiel für eine der so genannten Ironien der Automatisierung. Wir lernen, dass wir selbst als Menschen unzuverlässig sind. Das System kann es offenbar besser. Doch plötzlich kommt es zum kritischen Moment und das System macht es falsch und dann soll der Mensch wieder bereit stehen und es wieder übernehmen, das funktioniert in aller Regel nicht gut.“
Einige Fahrassistenzsysteme sind wahre Lebensretter
Was dagegen wirklich gut funktioniert, sind versteckte Fahrassistenten wie das Elektronische Stabilitätsprogramm ESP. Durch gezieltes Abbremsen einzelner Räder wird auch in Extremsituationen verhindert, dass der Wagen ins Schleudern gerät. Von ESP erwarten Experten eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie vom Antiblockiersystem ABS. Seit über 30 Jahren hat ABS unzählige Menschenleben gerettet. Es verkürzt den Bremsweg und das Fahrzeug lässt sich beim Bremsen immer noch lenken.
Persönliche Einschätzungen sind nicht perfekt aber unersetzlich
Trotzdem wird die Unfallgefahr hauptsächlich durch unsere ganz persönliche Einschätzung und Risikobereitschaft bestimmt. Straßentunnel gehören erstaunlicherweise zu den sichersten Verkehrsabschnitten, weil man Angst vor einem Unfall im Tunnel hat und deshalb langsamer und aufmerksamer fährt als sonst.
Auch persönliche Erfahrungen lassen Autofahrer vorsichtiger werden. Doch nicht jeder Unfall verläuft glimpflich. Deshalb sind Fahrsicherheitstrainings besonders empfehlenswerte Veranstaltungen, weil hier das Verhalten in Gefahrensituationen praktisch trainiert wird.
Oliver Schreiber, der sich durch den Tempomat so sicher fühlte, fährt seit seinem Unfall viel vorsichtiger. Fahrassistenten würde er auch wieder nutzen, allerdings mit Einschränkungen: „So einen Tempomat würde ich nur noch in Situationen auf der Autobahn verwenden, bei denen ich wirklich weiß, dass eine gute Verkehrslage und eine gute Wetterlage herrscht. Dass ich über eine weite Strecke mit der gleichen Geschwindigkeit fahren kann. Auf keinen Fall darf mich das vom Fahrgeschehen ablenken.“
Wichtig ist, dass man immer die Kontrolle über das Fahrzeug behält und nicht die Verantwortung abgibt. Denn die Gefährlichkeit einer Situation können Assistenzsysteme nicht einschätzen.
WeiterfĂĽhrende Informationen:
Institut für Verkehrspsychologie, Technische Universität Dresden.
Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V.