Zu müde zum Fahren? - Neue Untersuchung bei Verkehrskontrollen

Mario M. wird diesen Moment niemals vergessen. Während der Fahrt war er nur kurz am Steuer eingenickt, sein Auto landete in der Leitplanke – zum Glück kam er mit dem Schrecken davon. Jeder vierte Unfall im Straßenverkehr geht auf das Konto von Autofahrern, die zu müde zum fahren waren. Diesen Menschen will die Polizei jetzt auf die Spur kommen. Bei Verkehrskontrollen sollen die Fahrzeuglenker nicht mehr nur auf Alkohol und Drogen getestet werden, mit einer Spezialbrille überprüfen die Verkehrspolizisten auch, ob der Fahrer ins Bett und nicht auf die  Straße gehört. Das c’t magazin stellt das neue Testverfahren vor.  

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Viele Fahrer nicken ein

Sekundenschlaf: Ein weitverbreitetes Phänomen: jeder vierte Unfall im Straßenverkehr geht hierzulande auf das Konto von Fahrern, die am Lenkrad eingenickt waren. Die schreckliche Bilanz: mehrere hundert Tote jährlich.
Auch Hans Werner Banasch  und Mario Mengis sind bereits am Steuer eingeschlafen. Der Vielfahrer Hans Werner Banasch  sogar mehrmals. Banasch: „Also mir ist es passiert, dass ich bei langen Fahrten auf der Autobahn den Sekundenschlaf hatte. Wobei es auch schon passiert ist, dass ich leicht an eine Leitplanke oder einen Leitpfosten gefahren bin. Und auch schon mal in einen Graben reingefahren bin.“ Und Mario Mengis erzählt: „Ja, das war auf gerader Strecke. Da ist man überanstrengt oder erschöpft. Das geht dann ruck zück. Dann macht man die Klappen zu – und dann war`s das. Dann bin ich 20, 25 Meter an der Leitplanke entlang geschrappt.“

Wir machen den Müdigkeits-Test

Doch wie kommt es zum Sekundenschlaf? Warum merken Menschen häufignicht, dass sie zu müde zum Fahren sind? Das wollen wir genauer wissen. Wir testen den 39jährigen Mario Mengis und den zwanzig Jahre älteren Hans Werner Banasch. Sie sollen ohne Pause vier Stunden lang autofahren: in einem Fahrsimulator. Uns interessieren zwei Fragen: Wird der Ältere müder sein als der Jüngere? Und: schätzen die beiden ihre Müdigkeit richtig ein? Denn das ist das große Problem, sagt der Müdigkeitsforscher Herbert Helmle. Er weiß:  wir Autofahrer schätzen unseren tatsächlichen Zustand häufig ganz falsch ein. Deshalb hat Helmle ein  Gerät entwickelt, mit dem er die tatsächliche Müdigkeit eines Menschen ermitteln kann.

Herbert Helmle: „Nach den vier Stunden werden wir unseren Kandidaten diese Infrarot-Brille aufsetzen und da werden wir mit IR-Kameras das Pupillenspiel aufzeichnen. Und je stärker das Pupillenspiel ist im Dunkeln, umso schläfriger ist eine Person. Und andersrum: wenn wir ein sehr geringes Pupillenspiel finden, ist die Person wenig schläfrig, also fit.“ Unsere beiden Testfahrer beginnen mit ihrer  virtuellen Fahrt. Und zwar auf einer monotonen Autobahnstrecke. In vier Stunden werden wir genauer wissen, wie müde sie sich fühlen – und wie müde sie wirklich sind.

Müde Fahrer haben ein typisches Lenkmuster

Nicht nur Forscher, auch Autohersteller haben sich die Frage gestellt, wie man das Risiko Sekundenschlaf verringern kann. Beispiel Mercedes: Mithilfe von EEG- und Muskelmessungen fand man heraus, dass müde Fahrer ein anderes Lenkverhalten haben als wache. Wer müde ist, korrigiert die Lenkung viel häufiger und abrupter als ein ausgeschlafener Autofahrer. Im Fahrsimulator und bei unzähligen Tests auf der Straße konnte nach und ein sehr genaues Lenkmuster eines müden Fahrers ermittelt werden. Die Daten samt Software wurden nun in die Bordelektronik der neuen E-Klasse eingebaut  Der Bordcomputer erkennt anhand des gespeicherten Profils, wann der Fahrer müde ist – und somit die Gefahr eines Sekundenschlafs steigt. Entwickler Dr. Jörg Breuer:„Es muss tatsächlich so sein, dass ein Lenkmuster, ein Lenkfehler häufiger auftreten muss als er im normalen Fahren auftritt. Wie oft er bei Ihnen am Steuer in der normalen Fahrt auftritt, das messen wir in den ersten Minuten der Fahrt. Und dann gehen wir von einem Standard-Warnwert auf Ihre individuelle Warnschwelle. Und wissen: wenn Sie über die hinausgekommen sind mit der Anzahl Ihrer Lenkfehler pro 15 Minuten, dann ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf Müdigkeit zu schließen.“
In solch einem Fall macht sich das Bordsystem bemerkbar: Mit einem dezenten aber klaren Hinweis, möglichst bald eine Erholungspause einzulegen.

Wie müde nach vier Stunden?

Unsere Testfahrer haben solch einen Wächter nicht. Nach vier Stunden Fahrt wollen wir wissen: wie müde fühlen sie sich eigentlich? Mario Mengis: „Es ist anstrengend. Also fit nicht mehr ganz. Ich bin kurz davor, die Klüsen zuzumachen.“ Mario Mengis findet, er müsste eigentlich bald eine Pause machen. Doch deckt sich seine Selbsteinschätzung auch mit den Messergebnissen? Wir sind gespannt. 10 Minuten lang bekommt unser Testkandidat die Infrarot-Brille aufgesetzt. Und tatsächlich: auch unser Messgerät zeigt: Mengis ist zwar noch knapp im grünen Bereich, sollte aber bald eine Erholungspause einlegen.

Und wie sieht es bei Hans Werner Banasch aus? Der zeigte am Ende der Fahrt starke Ermüdungserscheinungen. Wie fit schätzt er sich also ein?  Banasch ist optimistisch: „Nicht mehr so wie am Anfang, aber ich würde vielleicht sagen: 15 Prozent Nachlass.“ Das scheint auf den ersten Blick erstaunlich. Ist HAns Werner Banasch tatsächlich noch so fit? Oder liegt er komplett falsch mit seiner Selbsteinschätzung. Das Ergebnis: es ist eindeutig und drastisch. Banaschs Werte liegen weit im roten Bereich. Er ist deutlich müder als sein Konkurrent. Und dürfte schon lange nicht mehr hinterm Steuer sitzen. Hans Werner Banasch: „Ich bin wirklich überrascht! Wenn schon mal was passiert ist, wenn man schon mal von der Straße abgekommen ist – und dann so ein Ergebnis! Da macht man sich natürlich Gedanken…“

Nur regelmäßige Pausen schützen

Unser Fazit: Auf die innere Stimme zu hören, ist in der Regel der falsche Weg. Nur regelmäßige Pausen bewahren uns vor dem Sekundenschlaf. Denn wenn Ihnen die Augen zufallen, sitzen Sie nicht in einem Fahrsimulator, sondern in einem wirklichen Auto…