1 Jahr Pokémon Go: Spaß, trotz allem

Seite 2: Die späte Reform

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Von Anfang an kritisierten Spieler die Unausgegorenheit mancher Spielaspekte. Konkret: Die Kampfarenen sorgten für mehr Frust als Spaß; in Interviews gaben selbst die Entwickler zu, dass die Umsetzung weit hinter den Ambitionen zurückblieb. Da Arenen aber die einzige Einkommensquelle für die Spielwährung sind, mussten Spieler sich halt mit dem Zustand arrangieren. Gewiefte Power-Player hatten schnell raus, wie man die Schwachstellen des Systems gezielt ausnutzt. So sicherten sie sich das tägliche Maximaleinkommen von 100 Coins, während der Rest sich schon über 10 bis 30 Coins freute.

Das neue Arena-System erzwingt Vielfalt.

Mehrere halbherzige Versuche zur Veränderung des Status Quo halfen wenig: Mal wertete Niantic einige Monstertypen auf und andere ab, dann wurde die Durchschlagkraft vormals bewährter Angriffe so drastisch reduziert, dass wirklich niemand mehr zufrieden war. Aber Niantic hörte auf seine Spieler und steuerte innerhalb von 24 Stunden gegen.

Über den Winter hinweg verteilte Niantic immer wieder neue Motivation in Form zusätzlichen Contents, will heißen: neuer Pokémon. Seit Dezember schlüpfen Babys aus den Eiern, die man nur durch Bewegung ausbrüten kann – je nach Farbe geht man 2, 5 oder 10 Kilometer, bis es "Oh?" macht und die Eierschale zerbirst. Gratuliere, es ist ein Togepi. Mitte Februar kam ein ganzer Schwung neuer Monster hinzu, die fast komplette "Generation 2".

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Zeitgeist bereits gedreht. Wieder mussten Spieler sich rechtfertigen. Diesmal war die Frage, warum man das überhaupt noch spiele, obwohl die anderen doch längst aufgehört hatten. Wenn man trotz Sauwetter durch die Gegend latschte, in der Hoffnung auf einen seltenen Fang hinter der nächsten Flusswendung, stellte man sich die Frage mitunter selbst. Ach ja, richtig: Spaß. Und Bewegung.

Im späten Frühling ließ Niantic dann die Katze aus dem Sack: Ein neues Arena-System sei in Vorbereitung. Am 19.  Juni 2017 wurde das alte System abgeschaltet, am 22. Juni gingen die neuen Arenen online, zwei Tage später starteten die ersten Raids.

Plötzlich ist ganz viel neu und ganz viel wie früher: In den ersten 24 Stunden gehen die Server immer wieder in die Knie, Arena-Kämpfe brechen ab, Pokémon verschwinden, "Netzwerkfehler" grassieren. Bei den Raids dasselbe: Ausweichen geht nicht, erfolgreiche Angriffe werden nicht angerechnet. Wieder schraubt Niantic heftig an den Servern und an der App. Mittlerweile funktioniert vieles, es bleibt aber immer noch viel Luft nach oben.

Aber trotz der vielen kleinen Probleme: Das Konzept funktioniert, es macht Spaß. Power-Player werden durch ein Limit von 50 Coins pro Tag ausgebremst, schwächere Spieler durch die neue Arenastruktur gestärkt. Und das Hauptziel des Spiels war ja eh noch nie das schnelle Hochleveln, sondern die Bewegung.

Warten auf Mitspieler für den Raid.

Ob sich ehemalige Spieler damit zurücklocken lassen, bleibt abzuwarten. In jedem Fall hat sich das Update für Niantic finanziell gelohnt: Durch den In-App-Shop wurde Pokémon Go Ende Juni wieder zum Mobilspiel mit dem größten Umsatz. Dem Analysedienst Apptopia zufolge hat Pokémon Go seinen Machern bisher 1,2 Milliarden Dollar in die Kasse gespült, die bestimmt nicht alle für Server-Instanzen draufgegangen sind. Weltweit soll das AR-Game derzeit 60 Millionen aktive Spieler besitzen.

Die Spielerzahlen vom Sommer 2016 wird Pokémon Go gewiss nie wieder erreichen. Das bekommen auch die übrig gebliebenen Spieler bei Raids deutlich zu spüren: Schön, wenn auch ohne WhatsApp-Aufruf zwei, drei Kämpfer zusammenkommen. Beim Despotar-Raid neben dem Baum seufzt ein Spieler nach der zweiten Niederlage: "Jetzt sollte man ein paar Spoofer herbeirufen können" – zur Verstärkung. Lieber mit virtueller Unterstützung siegen als allein scheitern? Schnell kommt die Gruppe überein, dass das nicht die Lösung sein kann.

Und als die Vier den Raid-Boss im dritten Anlauf doch noch besiegen, grinsen alle zufrieden. Selbst der größte Nörgler in der Runde muss zustimmen, dass dieser Raid definitiv Spaß gemacht hat. Pokémon Go ist wieder zur Herausforderung geworden. Das Wetter wird wieder besser. Die Spielermassen dürfen gerne wiederkommen. Aber notfalls gehts auch ohne, Hauptsache es macht Spaß. (ghi)