AGB-Klauseln: Wäre der Fall Disney auch in Deutschland denkbar?

Der Disney-Konzern hat versucht, anhand von Streaming-AGB eine Todesfall-Klage abweisen zu lassen. Wie weit reichen AGB? Und was gilt in Deutschland?

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Eine Person sitzt vor einem Laptop und tippt auf einem Tablet

In Deutschland ist umfassend geregelt, was Allgemeine Geschäftsbedingungen dürfen und was nicht.

(Bild: KC Jan/Shutterstock.com)

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Der Fall sorgte für Kopfschütteln, Empörung und Erstaunen: Der Disney-Konzern wollte die Klage eines Mannes, dessen Frau in einem Lokal in einem Disney-Park trotz mehrfacher Hinweise auf ihre Allergie an einem anaphylaktischen Schock gestorben ist, von einem Gericht in Florida abweisen lassen. In der Begründung zeigte sich: Der Teufel liegt oft im Detail.

Der Witwer habe bei einem Probeabo für den Streamingdienst Disney+ sowie beim Kauf von Disney-Tickets den AGB zugestimmt. In diesen heißt es, bei Streitigkeiten sei ein Schiedsgericht einzuschalten. Nach einer Welle von Kritik hat der Konzern den Antrag auf Klageabweisung Anfang der Woche zurückgezogen.

Wäre so ein Fall auch in Deutschland möglich? Nein, sagt Markus Hagge, Rechtsexperte der Verbraucherzentrale Niedersachsen. Zumindest hätte dieses Vorgehen keinen Erfolg. Denn wenn deutsches Recht anwendbar ist, gilt das Bürgerliche Gesetzbuch. "In Paragraf 309, Ziffer 14, ist genau dieser Fall geregelt." Demnach ist eine Klausel unwirksam, die besagt, dass "der andere Vertragsteil seine Ansprüche gegen den Verwender gerichtlich nur geltend machen darf, nachdem er eine gütliche Einigung in einem Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung versucht hat". Nach deutschem Recht wäre die Klausel, auf die Disney sich in seinen AGB bezog, also unzulässig. "Die AGB können nicht ausschließen, dass sich der Vertragspartner an staatliche Gerichte wendet", erklärt Hagge.

Doch auch, wer in Deutschland einen Vertrag abschließt, kommt nicht immer in den Genuss dieser Bestimmungen. "Was zählt, ist der Gerichtsstand, der laut den AGB gilt", sagt der Referent für Verbraucherrecht. "Ein Unternehmen kann in den Bedingungen auf ein bestimmtes Recht verweisen, das für den Vertrag und die AGB Anwendung findet – aber auch das ist nicht immer wirksam."

So spiele es zum Beispiel eine Rolle, ob der Vertragspartner die Möglichkeit hätte, im Streitfall vor Gericht zu erscheinen – und ob es zumutbar ist, dafür um die Welt zu reisen. Ist die Klausel wirksam – was im Zweifel der Entscheidung eines Gerichts obliegt – ist es unerheblich, aus welchem Land die Person kommt. So könnte auch für eine Person aus Deutschland US-amerikanisches Recht gelten.

Grundsätzlich gehören AGB zu einem Vertrag, etwa einem Kauf oder einer Dienstleistung. Entsprechend gelten die AGB auch nur so lange, wie der Vertrag gilt. Endet dieser, sind auch die AGB hinfällig. "Dennoch gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit, sodass eine Klausel auch über das Vertragsende gelten könnte", erklärt Hagge. "Das muss dann aber eindeutig so in den Bedingungen stehen."

Hinzu komme, dass das BGB eine unangemessene Benachteiligung eines Vertragspartners ausschließt (Paragraf 307). Üblicher sei eine solche Vereinbarung etwa in Arbeitsverträgen, bei denen es mitunter eine über die Beschäftigungsdauer hinausgehende Schweigepflicht gibt.

Absolute Narrenfreiheit haben Unternehmen auch über die ausgeschlossenen Punkte hinaus nicht. Denn auch zu ungewöhnlichen Klauseln gibt es im BGB eine Regelung. "Der Paragraf 305 c BGB argumentiert mit gesundem Menschenverstand", erläutert Hagge. In Absatz 1 heißt es dort: "Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil." Ist eine Klausel also so ungewöhnlich, dass sie das gewöhnliche Maß überschreitet, gilt diese nicht.

Der Rechtsexperte erklärt: "Das ist eine sehr weit gefasste Vorschrift, über die im Streitfall letztlich auch ein Gericht mit gesundem Menschenverstand entscheidet." Eine Argumentation, die sich auch im US-amerikanischen Recht wiederfindet. Auch Harvard-Professor Oren Bar-Gill ordnete den Disney-Fall entsprechend ein: Das Gericht müsse entscheiden, ob mit einer so weitreichenden Auslegung zu rechnen sei, dass der Klage-Verzicht beim Disney+-Abo auch für die Klage nach dem Tod der Frau gilt.

Hagge mahnt, nicht nur den Vertrag, sondern auch die AGB zu lesen. "Auch wenn dafür niemand Zeit hat, kann ich nur generell dazu raten", betont er. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten sich mindestens den Vertrag ansehen und schauen, welche Punkte näher durch die AGB geregelt sind. "Man sollte darauf achten, ob der Widerruf eingeschränkt ist, wie die Zahlungsmodalitäten sind, also ob zum Beispiel Dritte als Zahlungsdienstleister eingebunden sind, und sich fragen, ob man diesen Unternehmen die eigenen Daten geben möchte. Außerdem ist wichtig, ob die Haftung eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen wird", zählt er auf. "Das BGB legt Verwendern, also Unternehmen schon einige Steine in den Weg, doch es kommt vor, dass Firmen es auch mal drauf ankommen lassen."

Fielen einem Punkte ins Auge, die einem seltsam erscheinen oder gar gegen das BGB verstießen, sollte man den Vertrag nicht abschließen und sich nach einem anderen Anbieter umsehen, empfiehlt Hagge. "Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass man schon zu seinem Recht kommt." Oft seien es große Unternehmen, die mit Rechtsabteilungen gut aufgestellt seien und die ihre AGB nach dem aktuellen Recht anpassen. "Die werden sich dabei Gedanken gemacht haben."

Dazu zählt Hagge auch schwarze Schafe, die darauf setzen, mit Verstößen durchzukommen. "Manchmal kalkulieren Wirtschaftsmathematiker, dass sich ein gewisses wirtschaftliches Risiko lohnt." Das BGB regele die Bedingungen für AGB zwar ausführlich, doch manche Formulierungen seien schwammig. "Die Antwort darauf, was eine überraschende Klausel ist, kann durchaus auch überraschend ausfallen", so der Rechtsexperte.

(are)