Abschied von den Wurzeln

Einst als "Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske" 1847 in Berlin gegrĂĽndet, wird die traditionsreiche Telekommunikations-Sparte im Siemens-Konzern kĂĽnftig nur noch unter ferner liefen gefĂĽhrt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 122 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Axel Höpner
  • dpa

Der Siemens-Konzern verabschiedet sich durch den Milliarden-Deal mit dem Konkurrenten Nokia von seinen Wurzeln. Die traditionsreiche Telekommunikations-Sparte, aus der das Unternehmen hervorging, wird künftig in der Bilanz nur noch unter "ferner liefen" auftauchen, wenn der noch immer größte Siemens-Bereich Com größtenteils in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Nokia eingebracht ist. "Die Abtrennung des Unternehmensbereichs Com ist der bislang radikalste Bruch in der Geschichte des Hauses Siemens", klagten Betriebsrat und IG Metall am Montag.

Doch bei Siemens hält man sich nicht lange mit nostalgischen Gefühlen auf. "Wir sind keine Gelddruckmaschine. Wir müssen zusehen, dass das Geld verdient wird", sagte Finanz-Chef Joe Kaeser. Durch die Einigung mit Nokia wird dies nun einfacher und der Konzern kann sich wieder stärker seinen profitablen Geschäftsfeldern zuwenden.

Siemens betonte, dass man sich nicht von dem Zukunftsfeld Telekommunikation trenne. Schließlich behalte man 50 Prozent der Anteile am Joint Venture "Nokia Siemens Networks". Doch es ist kein Zufall, dass Nokia beim Namen des neuen Unternehmens an erster Stelle steht. Die Finnen stellen den Vorstandsvorsitzenden, der Hauptsitz wird in Finnland sein. Zudem wird das gemeinsame Unternehmen bei Nokia konsolidiert, während es Siemens nur anteilig als Beteiligung führt. "Es ist ein Abschied auf Raten", sagt Analyst Theo Kitz vom Bankhaus Merck Finck.

Die Telekommunikationssparte spielte im Siemens-Konzern immer eine besondere Rolle. Schließlich war das Unternehmen 1847 als "Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske" in Berlin gegründet worden. Doch nun wird der Com-Bereich komplett aufgelöst: Das Geschäft mit den Netzbetreibern geht in das neue Joint Venture. Das problematische Geschäft mit Telefonanlagen für Unternehmen (Enterprises) wiederum wird ausgegliedert und wahrscheinlich in eine Partnerschaft eingebracht. Das Geschäft mit Schnurlos-Modulen wiederum wird in die Automatisierungs-Sparte A&D eingegliedert. Ob so eine Entwicklung aus historischen Gründen nicht auch schade ist? "Das ist nicht eine der Kategorien, in der Siemens denkt", sagt Analyst Kitz. Man müsse vielmehr honorieren, dass sich das Unternehmen wandeln könne.

Siemens-Chef Klaus Kleinfeld hat mit der bevorstehenden Auflösung von Com ein großes Problem gelöst. Er hatte versprochen, dass im kommenden Jahr alle Geschäftsbereiche ihre Renditevorgaben erfüllen. Bei Com wäre das aus eigener Kraft kaum möglich gewesen. Daher hatte der Vorstandsvorsitzende zuvor im vergangenen Jahr bereits das verlustreiche Handygeschäft in einer kostspieligen Transaktion an BenQ weitergereicht. "Kleinfeld macht Nägel mit Köpfen", lobte nun Thomas Hofmann, Branchenexperte bei der Landesbank Rheinland-Pfalz (LRP).

Allerdings gilt das Netzwerk-Geschäft nicht nur wegen des Zusammenwachsens von Festnetz und Mobilfunk durchaus als zukunftsträchtige Technologie. Kleinfeld hatte immer wieder angekündigt, dass der Konzern künftig massiv auf solche Megatrends – wie zum Beispiel auch die Themen Gesundheit und Energie – setzen wolle. "Siemens verkauft sich als weltweites Infrastrukturunternehmen, da gehört die Telekom-Ausrüstung unbedingt dazu", sagt ein Branchenexperte. Finanzvorstand Kaeser entgegnet: "Das Geschäft ist ja noch da." Siemens habe über das Gemeinschaftsunternehmen weiter Zugriff auf die Technologien und Patente.

Die 40.000 betroffenen Beschäftigten in der Siemens-Netzwerksparte sehen nach vielen Spekulationen nun zumindest etwas klarer. "Nokia ist ein sehr konservatives Unternehmen", heißt es in Branchenkreisen. Daher sei ein ganz radikaler Kahlschlag nicht zu erwarten. Allerdings sollen laut Angaben vom Montag in dem neuen Unternehmen mit insgesamt 60.000 Beschäftigten voraussichtlich 6000 bis 9000 Arbeitsplätze gestrichen werden. (Axel Höpner, dpa) / (pmz)