Absturz von Lion Air 610: Diese Maschine war “nicht flugtauglich”

Seite 2: Zu kurze Beine für neue Triebwerksgeneration

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Boeing 737: Gut zu sehen die vergrößerten Triebwerksgehäuse der Max.

(Bild: Boeing)

Boeing hat MCAS bei der 737 Max eingeführt, um die Flugeigenschaften der Maschine mit neuen Triebwerken zu stabilisieren. Die 737 Max ist eine Weiterentwicklung des seit 1968 fliegenden Arbeitspferds von Boeing und seit Sommer 2017 bei verschiedenen Fluggesellschaften im Einsatz. Sie ist mit modernen Mantelstrom-Triebwerken mit besonders hohem Nebenstromverhältnis ausgerüstet: Um die eigentliche Turbine wird ein verdichteter Luftstrom nach hinten geleitet. Das sorgt für zusätzlichen Schub, mehr Effizienz und weniger Lärm. Die gleichen Triebwerke von Hersteller CFM kommen auch in neuen Airbussen zum Einsatz.

Damit diese deutlich größeren Triebwerke an die relativ kurzbeinige 737 passen, hat Boeing die Gondeln für die Turbinen nach vorne und oben versetzt. Damit verschiebt sich auch der Schwerpunkt der Maschine und die Flugeigenschaften ändern sich. In bestimmten Fluglagen erhöht sich zudem der Auftrieb durch die abgeflachte Unterseite der modernen Triebwerke. MCAS wurde eingeführt, um unerwünschte Nebeneffekte des neuen Designs auszugleichen.

Boeing rechtfertigt seine Informationspolitik damit, dass die Maßnahmen bei einem möglichen Fehlverhalten des neuen Systems von den bestehenden Checklisten für Trimmungsfehler abgedeckt werden. In einer Stellungnahme vom Dienstag weist der Hersteller darauf hin, dass die Piloten des vorletzten Flugs der Unglücksmaschine das fehlgeleitete MCAS so auch erfolgreich deaktivieren und die Kontrolle über das Flugzeug behalten konnten.

Piloten monieren jedoch, dass ihnen damit elementare Informationen vorenthalten wurden. "Bei dem Vorgängermodell der 737 hatte Boeing erklärt, dass sich eine unkontrollierte Trimmung des Leitwerks mit einem Ziehen am Steuerknüppel stoppen lässt”, sagte ein Sprecher der Pilotengewerkschaft von American Airlines gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Bei einem aktivierten MCAS sei das nicht der Fall. “Dieser Unterschied ist wichtig zu wissen.”

Experten mutmaßen daher auch, den Piloten des Unglücksflugs sei nicht klar gewesen, dass sie es mit MCAS zu tun hatten und nicht mit einer Fehlfunktion der bisherigen automatischen Trimmung, die sich auch mit Steuerimpulsen einfangen ließ. Der Zwischenbericht der indonesischen Flugaufsichtsbehörde stützt diese Theorie. Die Crew versuchte die wiederholte Trimmung nach unten immer wieder zu kontern, bis das Flugzeug in einen steilen Sinkflug überging und nicht mehr abzufangen war.

Während Boeing wegen seiner Informationspolitik am Pranger steht, muss sich Lion Air fragen lassen, warum die Maschine trotz der bekannten Probleme mit den Sensoren eingesetzt wurde. Dem Bericht der Flugaufsichtsbehörde zufolge gab es auf mehreren vorherigen Flügen Probleme mit den Sensoren und der gemessenen Geschwindigkeit. Vor dem vorletzten Flug des Flugzeugs seien die Anstellwinkel-Sensoren ausgetauscht worden, die Probleme blieben aber bestehen. Auf dem Unglücksflug war zudem offenbar ein Wartungsingenieur zur weiteren Diagnose mit an Bord.

Den indonesischen Behörden zufolge gehörte die Maschine nicht in die Luft. “Das Flugzeug war nicht mehr flugtauglich und hätte nicht weiter fliegen dürfen”, sagte der Chef der Luftfahrtsicherheitsbehörde, Nurcahyo Utomo, am Mittwoch bei der Präsentation des Zwischenberichts. Damit gerät auch die Sicherheitskultur des indonesischen Billigfliegers ins Visier der Ermittler. Mit einem Abschluss der Untersuchungen wird erst im kommenden Jahr gerechnet. (vbr)