Aerodynamik-Simulation im Fahrzeugbau

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Die beschriebene chaotische Natur der Luft sorgt auch dafür, dass es gar nicht so einfach ist, sie sinnvoll zu simulieren. Erst im 19. Jahrhundert leiteten einige Mathematiker unabhängig voneinander Gleichungen her, die das Verhalten von Flüssigkeiten und Gasen beschreiben können. Bis heute heißen sie "Navier-Stokes-Gleichungen" nach zweien dieser Mathematiker. Diese Gleichungen haben einen großen Teil unseres heutigen Verständnisses über die Dynamiken von Flüssigkeiten erst ermöglicht.

Sie werden jedoch sehr schnell sehr komplex. In großen Simulationsprojekten, wie sie an Fahrzeugen vorkommen, lösen Computer diese Gleichungen daher näherungsweise in Iterationen: Das Ergebnis der vorangehenden Iteration liefert die Parameter für die nächste. Das Problem bei dieser Vorgehensweise ist die Bauweise moderner Supercomputer. Das sind heute praktisch alles Parallelrechner. Ein Parallelrechner kann seine Leistung nur entfalten, wenn die Arbeit auf die einzelnen Recheneinheiten aufgeteilt werden kann, wie in einer Firma: Solange Horst aus der Buchhaltung seinen Aktenstapel abarbeiten kann und du deinen, wird die Arbeit entsprechend schneller erledigt. Wenn du auf Ergebnisse von Horst warten musst und Peter vom Controlling wiederum auf deine, dann kann ein Prozess sehr lange dauern und profitiert entsprechend wenig von vielen Arbeitern.

Eine weitere Schwäche der Näherung waren stets die kleinen Chaotiken der Luft, wie kleinstes Flattern, das eine Menge Lärm erzeugen kann. Eine Näherung zeigt die Dynamik dann, wie eine Langzeitbelichtung die Nacht zeigt: in einem verwischten Zustand. Auf dem Foto zieht sich die rote Schlange des Rücklichts durch das Bild. Aber in der Realität gab es diese Schlange eben zu keinem Zeitpunkt. Sie entsteht erst durch die Integration über die Zeit. In der Realität gab es eine Lampe, die sich bewegte. So schaut es dann auch mit hochfrequentem Flattern aus: In der Mittelung über die Zeit verwischt das Flattern zu einer geraderen Strömung, die in dieser Form zu keinem Zeitpunkt real war. An solchen Problemen verrieten die gemittelten Navier-Stokes-Gleichungen also gelegentlich nicht das, was man dringend wissen musste, und eine feinteilige Berechnung über die Zeit wäre zu rechenintensiv.

In den Neunzigerjahren experimentierten Physiker deshalb unter anderem am MIT mit alternativen Methoden. Eine davon stellte sich als sehr vielversprechend heraus: Die Lattice-Boltzman-Methode. Hierbei wird ein dreidimensionales Raster um die zu testende Struktur gelegt, das namensgebende "Lattice" (Gitterwerk). Jeder Gitterpunkt entspricht bei typischen Simulationen etwa einem Kubikmillimeter realen Raums der zu testenden Luft, in äußeren, weniger kritischen Bereichen kann die Software ein größerrasteriges Gitter um das innere spannen. Da jeder Gitterpunkt rechnerisch nur mit seinen direkten Nachbarn interagiert, lässt sich dieses Gitter zur Berechnung sehr gut aufteilen, sodass Ingenieure in der Praxis viel schneller viel mehr berechnen können, denn Parallelrechnerstrukturen gibt es heute in jeder größeren Firma, die etwas zu berechnen hat, und man kann sie jederzeit bei allen vollwertigen Cloud-Anbietern buchen.