Amerikanischer Big Brother Award für Stewart Baker & Co.
Stewart Baker, bis zu seiner Berufung in das Department of Homeland Security bei der NSA beschäftigt, wird verantwortlich gemacht für die Mehrheit der verschärften Sicherheitsgesetze, die nach dem 11. September 2001 in den USA verabschiedet wurden.
- Wolfgang Kleinwächter
Den "International Big Brother Award" für die größte Fehlleistung beim Schutz der Privatsphäre im vergangenen Jahr erhielt Stewart Baker, Vizeminister im US-Ministerium für innere Sicherheit (Department for Homeland Security, DHS). Baker, der bis zu seiner Berufung in das DHS in der National Security Agency (NSA) gearbeitet hat, wird verantwortlich gemacht für die Mehrheit der verschärften Sicherheitsgesetze, die nach dem 11. September 2001 in den USA verabschiedet wurden – angefangen von der strengeren Kontrolle von Passagieren im Luftverkehr über flächendeckende Videoüberwachung bis zur zielgerichtete Ausspionierung von Heimcomputern. Baker hatte sich gegen drei weitere Nominierungen durchgesetzt: den russischen Präsidenten Wladimir Putin, den britischen Premierminister Tony Blair und den amerikanischen Justizminister Alberto Gonzales, der erst unlängst mit eigenwilligen Interpretationen der US-Verfassung und der Entlassung einer Reihe von nicht linientreuen Richtern und Staatsanwälten Schlagzeilen gemacht hatte.
Der "International Big Brother Award" wird sei mehr als zehn Jahren von der in London ansässigen Nichtregierungsorganisation "Privacy International" im Rahmen der Konferenz Computers, Freedom and Privacy (CFP) verliehen. In der Regel erscheinen die Preisträger nicht persönlich, um die zweifelhafte Ehrung in Empfang zu nehmen. Die Trophäe – ein goldener Schuh, der auf einem am Boden quer liegenden Kopf steht – wird den Gewinnern jedoch auf dem Postweg zugestellt.
Als datenschutzfeindlichste Regierung wurde dieses Jahr die des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland ausgezeichnet. Keine Regierung, nicht einmal die der USA (die den zweiten Platz belegte), habe so unverfroren in die Bürgerrechte eingegriffen wie die britische. Mit einer bloßen Nominierung davongekommen sind dabei die Regierungen der Volksrepublik China und Tunesiens. Auch die Europäische Union war nominiert: Nach Ansicht der Jury stellte sich die EU zwar öffentlich immer als Verteidiger von Bürgerrechten dar, tatsächlich aber habe die EU im vergangenen Jahr einen weithin unbemerkten Schwenk in die falsche Richtung gemacht.
In der Kategorie "Unternehmen" bekam die US-Gesellschaft Choicepoint den ungeliebten Preis. Choicepoint sammelt nicht nur personenbezogenen Daten von Millionen von Individuen, Choicepoint verkauft diese Daten auch weiter an interessierte dritte Nutzer. "Unterlegene" Kandidaten in dieser Kategorie waren das Banktransferunternehmen SWIFT (für die Weitergabe von Millionen von Finanztransaktionsdaten an die US-Regierung), der Suchmaschinenbetreiber Google und Booz, Allen & Hamilton, eine amerikanische Consultingfirma, bei der sieben Vizepräsidenten bis vor kurzem noch bei der CIA, dem FBI, der NSA oder im Pentagon gedient haben.
In der Kategorie "Technologie" ging der Preis an die International Civil Aviation Organisation (ICAO). Die in Montreal residierende ICAO wird dafür verantwortlich gemacht, dass biometrische und andere Daten von Flugpassagieren in gigantischen Größenordnungen an interessierte Regierungen weitergegeben wurden. ICAO hatte den Vorzug vor das Videoüberwachungssystem CCTV, dem amerikanischen Grenzkontrollesystem WHTI und dem indischen Ministerium für Personal und Pensionen erhalten. Das indische Ministerium hatte in einer bizarr anmutenden Aktion Fragebögen an alle weiblichen Bediensteten geschickt und sie aufgefordert, Auskunft über ihren Menstruationszyklus zu geben.
Zeremonienmeister der Verkündigung der "International Big Brother Awards 2007" im Kongresszentrum des Montrealer Hilton Bonaventura Hotel war ein geklonter Papst Benedikt XVI. Die Kirche, so sagte die mit einem Laptop bewaffnete Papst-Kopie teils in Lateinisch, teils in Deutsch, teils in Englisch, sei wohl am besten geeignet darüber zu entscheiden, wer diesen Big Brother verdiene. Immerhin sei der größte Überwacher von allen der "Vater im Himmel", der so oder so alles Gute und Böse, was die Menschen anstellen, registriere und am Tag des Jüngsten Gerichts dann Rechenschaft verlange. Die amüsante Veranstaltung endete mit einer Rock'n'Roll- Einlage des "Papstes in spe" und der ihn umgebenden geklonten Kardinäle, was bei den mehr als zweihundert CFP-2007-Teilnehmern aus aller Welt viel Heiterkeit erzeugte.
Siehe dazu auch:
- Autonomy on the Electronic Front, Website zur 17. Konferenz Computers, Freedom and Privacy
- Mangelnder Datenschutz bei "Wireless Cities"
- Internationale Harmonisierung von Datenschutzgesetzen gefordert
Zur CFP 2006:
- Google, Microsoft und das China-Syndrom
- Zähes Ringen hinter den Kulissen des Internet Governance Forum
- pro und kontra RFID
- Erstmalig kein amerikanischer Big Brother Award
- Wikipedia-Gründer bekommt EFF-Award
- US-Senator kritisiert Überwachungspraktiken der Bush-Regierung
Zur CFP 2005:
- Unheilige Allianzen zum Schutz der Privatsphäre gesucht
- Vom kafkaesken Schwinden der Anonymität
- Bürgerrechtler erwarten "digitales Tschernobyl" bei Biometriepässen
- Unterwachung statt Überwachung
- Zivilgesellschaft startet Projekt gegen "Politikwäsche"
- Lotus-Gründer Mitch Kapor im Clinch mit Hollywood
- Lässt sich Code mit Werten wie Datenschutz aufladen?
- ChoicePoint und Accenture erhalten Big Brother Awards
- US-Teenager und Datenschutz im Zeitalter der Alarmstufe 1
- Bürgerrechtler fordern Reform des US-Antiterrorgesetzes Patriot Act
(Wolfgang Kleinwächter) / (jk)