Atomausstieg: Experten fordern Backup-Kraftwerke gegen die "Dunkelflaute"

Wenn Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen nicht genug Strom erzeugen, sind Backup-Kraftwerke und weitere Maßnahmen nötig. Forscher raten zum Versorgungsumbau.

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(Bild: Shutterstock)

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In der Nacht zum Sonntag werden die verbliebenen drei Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Dies wirft die Frage auf, wie der steigende Strombedarf künftig gedeckt werden soll. Atomphysiker und andere Kernkraftbefürworter wie Götz Ruprecht oder André Thess warnen, dass die Versorgungssicherheit leide, die Energiepreise weiter ansteigen dürften und sogar dem Klima ein Bärendienst erwiesen werde. Es brauche angesichts fehlender Speicherkapazitäten für Grünstrom "regelbare Kapazitäten, am besten kostengünstige und emissionsarme Kernenergie". Der Ressourcenforscher Henrik Paulitz sah die Stromversorgung schon 2021 "massiv gefährdet". Doch in der Wissenschaft gibt es auch andere Stimmen.

Parallel zum Atomausstieg haben Bundesregierung und Bundestag eine Reihe neuer, ambitionierter Ausbauziele für erneuerbare Energien formuliert und Gesetze sowie Vorschriften geschaffen, die diese Initiative beschleunigen sollen. Ziel ist es, die Leistungen von Atom- und künftig auch von Kohlekraftwerken zu ersetzen. Anfang 2023 formulierte die Exekutive erstmals zudem Vorgaben für sogenannte Backup-Kraftwerke. Das sind Anlagen, die dann einspringen sollen, wenn Windkraft und Photovoltaik (PV) nicht genug Strom erzeugen, um den Bedarf von hierzulande derzeit rund 80 Gigawatt (GW) zu decken. Solche Phasen können sich über mehrere Tage erstrecken, wobei die Leistung der Erneuerbaren stark abfallen würde – die sogenannte Dunkelflaute.

Das Science Media Center hat Forscher befragt, wie die Politik mit dieser Herausforderung umgehen kann. Die sind sich weitgehend einig: Ohne genügend flexible Backup-Kraftwerke wird es nicht gehen. Diese müssten einen Großteil der Leistungsspitzen absichern. Sie werden aber nur gebraucht, wenn Windkraft- und PV-Anlagen zu wenig Strom erzeugen.

Dafür kommen den Wissenschaftlern zufolge vor allem Gas- und begrenzt Kohlekraftwerke in Frage. Eine wichtige Rolle spiele zudem ein flexibler Energiemarkt mit Möglichkeiten für Bürger und Unternehmen, selbst unbegrenzt Strom aus PV- und Windanlagen ins Netz einzuspeisen, mit dynamischen Tarifen gekoppelt mit intelligenten Stromzählern, virtuellen Kraftwerken sowie Batterie-Pooling etwa über Elektrofahrzeuge und Smart Grids. Dafür müssen aber viele Voraussetzungen noch geschaffen werden. Eine europaweite Planung der Energiewende könne zudem die Zahl nur selten laufender Kraftwerke deutlich reduzieren. Dafür müssten die EU-Mitgliedsländer aber ihre Energieversorgung stärker gemeinsam planen.

Konkret rechnet Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, -effizienz und -wirtschaft an der TU Dortmund, vor: Geschätzt könnten auf Basis unterschiedlicher Studien bei einer Jahreshöchstlast von 100 Prozent – heute circa 80 (GW), in Zukunft deutlich mehr – maximal bis zu 10 bis 15 Prozent durch den europäischen Ausgleich von erneuerbaren Energien einschließlich Wasserkraft über die Netze gedeckt werden. Ferner sei es möglich, die Höchstlastspitze durch Lastverschiebungen im Tagesverlauf um weitere 10 bis 15 Prozent zu reduzieren. Dies bedinge aber entsprechende Marktanreize und eine "automatische digitale Umsetzung". So lande man bei 70 bis 80 Prozent der Leistungsspitzen, die während einer Dunkelflaute etwa im Winter noch über Ersatzkraftwerke abgedeckt werden müssten.

Die benötigte Backup-Kapazität "hängt auch in großem Maße vom Design des Energiemarktes ab und wie es diesem gelingt, weitere Marktakteure synergetisch zur erneuerbaren Energieerzeugung mit einzubinden", sagt Patrick Jochem vom Institut für vernetzte Energiesysteme beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dabei dürfte vor allem die Flexibilisierung der Stromnachfrage ein großes Potenzial haben. Gelinge es, Elektrofahrzeuge direkt in die Strommärkte zu integrieren – möglichst mit einer Rückspeisefähigkeit per Vehicle-to-Grid (V2G) –, könnte die Flexibilität auf der Nachfrageseite einen "beträchtlichen Teil" der Backup-Kapazitäten ersetzen. Dafür müsse das System "auf allen Ebenen mit einer entsprechenden IT-Infrastruktur ergänzt werden".

Jochem verweist so auf Szenarien, wonach eine Backup-Kapazität von 40 GW ausreichend sei. Diese zeichneten sich "insbesondere durch eine hohe nachfrageseitige Flexibilität und hohe Verfügbarkeit von Speichern sowie von flexibler nachhaltiger Stromerzeugung, wie beispielsweise Geothermie und Biogaskraftwerken aus". Nach anderen Untersuchungen würden aber Backup-Leistungen von bis zu 90 GW benötigt.

Als Ersatz eignen sich Rehtanz zufolge "am besten diejenigen Kraftwerke, die schnell in Betrieb gehen und zügig hoch- und runtergeregelt werden können". Gas sei dafür ideal. Entsprechend ertüchtigte Kohlekraftwerke funktionierten ebenfalls. Kernkraftwerke seien für solche Zwecke nur theoretisch einsetzbar, da sie "aus wirtschaftlichen Gründen für einen möglichst konstanten Betrieb ausgelegt sind".

Für Dunkelflauten würden Technologien benötigt, die auch über einen längeren Zeitraum Energie bereitstellen können, bestätigt Jochem. Da dies aber nur selten der Fall sein werde, "kommen diese Anlagen auf keine hohen Volllaststunden". Insofern böten sich hier am ehesten Gasturbinen an, die mit einem erneuerbaren Gas oder Wasserstoff mit guten Speichercharakteristika betrieben werden. Durch die geringen Vollauslastung und hohen Anforderungen an eine flexible Betriebsführung scheiden aus seiner Sicht Kern- und Kohlekraftwerke als Backup aus.

Auf ein Manko verweist Jan Wohland, Klimaphysiker an der Technischen Hochschule Zürich: Wenn in Backup-Kraftwerken fossiles Gas oder Kohle verwendet würden, entstehe CO₂. Diese Emissionen ließen sich durch den Einsatz von Techniken zur CO₂-Abscheidung und Speicherung (CSS) zwar reduzieren, aber nicht komplett verhindern. Da einschlägige Ausstöße insgesamt auf null reduziert werden müssten, "um gefährlichen Klimawandel zu verhindern", sei deren Kompensation nötig. Dies könnte etwa über Direct Air Capture erfolgen, der direkten Abscheidung von CO₂ aus der Luft. Da dies aufwändig, teuer und energieintensiv sei, sollte der Bedarf nach Backup-Kraftwerken möglichst klein gehalten werden.

Batterien ermöglichten die kurzfristige Speicherung von Energie über Stunden oder Tage und könnten so den Bedarf nach Backup-Energie reduzieren, erklärt Wohland. "Pumpspeicherkraftwerke verhalten sich ähnlich, haben jedoch den Vorteil, dass sie Energie auch über längere Zeit speichern können." Ferner ließen sich bei den Erneuerbaren ertragsarme Phasen an einem Standort durch gleichzeitige gute Erträge in anderen Gegenden kompensieren. Dieser strategische Zubau funktioniere auf vielen zeitlichen Skalen. Solarpaneele in Spanien etwa produzierten noch Strom, "wenn in Deutschland die Sonne schon untergegangen ist". PV-Anlagen in Griechenland seien dagegen bereits zugange, wenn es hierzulande noch dunkel sei.

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"In unseren Ergebnissen sehen wir bisher auf europäischer Ebene einen guten natürlichen Ausgleichsmechanismus", berichtet auch Jochem. "Erleben wir im Norden eine Flaute, sind die Windturbinen im Süden oft gut ausgelastet. Bewölkung in einer Region ist oft mit Sonne in einer anderen verbunden." Gerade Offshore-Windanlagen seien hier wichtig, "da sie in der Regel höhere Volllaststunden haben und damit auch eine entsprechend höhere Verfügbarkeit". Wohland warnt aber davor, Windparks etwa nur in der Nordsee zu konzentrieren. Dabei sei das Risiko für Flauten größer als bei stärkeren räumliche Verteilungen in verschiedenen Regionen.

(bme)