Autonome E-Shuttles in Monheim: "Die überfahren wirklich niemanden"

Die größte Herausforderung beim Pilotprojekt der Bahnen Monheim mit den selbstfahrenden "Altstadtstromern" ist das ganze Thema Software inklusive Updates.

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Autonomer Linienbetrieb

Autonom fahrende, elektrische Busse am Busbahnhof in Monheim.

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Seit Anfang 2020 drehen hochautomatisierte Shuttles zwischen Busbahnhof und Altstadt in Monheim am Rhein ihre Runden. Als "wirkliche Herausforderung" machte Frank Niggemeier-Oliva, Geschäftsführer der Bahnen der Stadt Monheim (BSM), nach knapp zwei Monaten Testbetrieb "das ganze Thema Software" aus. Schon für ein Update müsse ein IT-Experte der Herstellerfirma nebst "Laptop mit LAN-Kabel" anrücken, erklärte er auf dem remote Chaos Communication Congress (rC3). Während die Mechanik bei Bussen gut getestet werden könne, sei bei einem Betriebsprogramm nicht alles "100-prozentig nachvollziehbar".

"Over the Air" aus der Ferne lasse sich keine neue Softwareversion einspielen, verdeutlichte BSM-Projektleiter Axel Bergweiler bei einer "Spritztour" mit einem der kleinen Elektrobusse und einer Hackerin vom Chaos Computer Club (CCC) an Bord. Bei dieser speziellen Form der Wartung dauere es pro Fahrzeug mehrere Stunden, um alles "vernünftig zu konfigurieren". Weitere Anpassungen seien dann nach der Abnahme durch den TÜV Rheinland auf der Strecke erforderlich. Mit dem jüngsten Update kämen die EZ-10-Shuttles des französischen Herstellers EasyMile etwa an nahen Hindernissen besser vorbei. Anderes klappe aber "nicht mehr so wie vorher".

Auf der internationalen Skala des autonomen Fahrens bewegen sich die "Altstadtstromer" zwischen Stufe 2 und 3. Ein Betriebsführer ist also noch an Bord, die Mini-Busse dürfen insgesamt nicht mehr als 12 Personen aufnehmen und nicht schneller als 16 km/h fahren. Technisch möglich wären 45 km/h, was mit der aktuellen Sensorik aber in engen Gassen nicht funktioniert: "Der Restbremsweg bestimmt, wieviel Platz das Fahrzeug um sich herum zulässt", erläutert Bergweiler. Schon bei 25 km/h würde jeder Gegenverkehr zu einer Vollbremsung führen.

Besonders smart sind die Shuttles noch nicht. Sie fahren immer nur in einer vordefinierten Umgebung. Mehr gibt das im Mai vom Bundestag verabschiedete Gesetz zum autonomen Fahren im ÖPNV auch nicht her. Ein Ingenieur fahre also die ganze Strecke im Vorfeld ab, scanne die Umgebung und lese die Routen mit GPS ein, berichtete Bergweiler. Dies bilde die Basis, auf der das Fahrzeug operieren könne. Künftig solle der Bus kleinere Hindernisse wie eine Tagesbaustelle selber umfahren können, ergänzte Niggemeier-Oliva. Es gelte dann, statt einer festen Strecke einen Bereich festzulegen, "in dem er sich bewegen darf".

"Lieber einen Notstopp zu viel" als einen zu wenig, lautet Bergweilers Motto für den Fahrbetrieb: "Wir müssen die Sicherheit an 1. Stelle stellen." 99,9 Prozent reichten hier nicht. Die Shuttles seien daher zu einer defensiven Fahrweise angehalten: "Die überfahren wirklich niemanden." Unfälle habe es bei 65.000 Kilometer Fahrleistung im Jahr bereits gegeben, "aber keine selbstverschuldeten" und zudem bisher keinen Personenschaden. Krache es, gehe leicht einer der vier Lidar-Sensoren kaputt, da diese an den Ecken herausstehen. Die gegnerischen Versicherungen seien "nicht so froh darüber", denn die Messgeräte seien relativ teuer.

Wenn etwas schief gehe, stehe der Operator als Fahrzeugführer in der Verantwortung, erklärt der Projektleiter. Er müsse gegebenenfalls die Stopp-Taste drücken. Wenn es künftig keine Begleitperson mehr gebe, greife die Produkt- und Betriebshaftung des Herstellers. Ohne den sei ein Betrieb nicht möglich, da die Shuttles von dessen Cloud-Lösungen abhängig seien.

"Wir können von der Leitstelle aus nur bestimmte Sachen machen", hob Bergweiler hervor. Es sei etwa möglich, eine andere Haltestellenfolge vorzugeben, den Scheibenwischer anzumachen, das Fahrzeug nicht mehr weiterfahren zu lassen oder einen Halt zu verlängern. Kurzfristig lasse sich etwa auch bewerkstelligen, dass es heute rechtsrum fahren solle wegen einer Baustelle oder eines Wasserrohrbruchs. Aus der Ferne lenken gehe aber nicht. Ein zusätzlicher Stopp etwa müsse voreingestellt, das Umfahren eines längerfristigen Hindernisses gesondert eingemessen werden.

Ausgebüchst sei seines Wissens nach noch keiner der Busse, meinte Bergweiler. Die Kollegen seien darauf geschult, vor dem Aussteigen die Stopp-Taste zu drücken. Noch sei auch keines der fünf gekauften Fahrzeuge gestohlen worden. Weit kämen Diebe wohl auch nicht, da Betriebsführer im manuellen Modus nur 5 km/h fahren könnten. Allgemein beschwerten sich Autofahrer manchmal über das überschaubare Fortbewegungstempo, während gerade Gastronomen die Attraktion schätzten.

Die Akkus haben etwa 31 kWh Leistung, was normalerweise für 15 Stunden Betrieb reicht. Wenn die Heizung oder Klimaanlage an sei, reduziere sich das um die Hälfte, ließ der Projektchef durchblicken. Einmal komplett voll laden dauere im Depot ungefähr sechs Stunden. Die E-Mobilität sei "keine herausfordernde Variable mehr", unterstrich Niggemeier-Oliva. Die Strecken seien so kalkuliert, dass die Shuttles zwischendurch aufgeladen werden könnten. Für Hacker gebe es wenig Angriffsflächen: "Alle kritischen Fahrzeugkomponenten sind nicht im Netz." Die Rechenkraft an Bord sei beschränkt, um den Stromverbrauch gering zu halten.

Die Linienkonzession für die Busse, deren Betrieb nach der staatlichen Anschubfinanzierung derzeit jährlich mit einem Betrag im siebenstelligen Bereich zu Buche schlägt, läuft bis 2026. Mittlerweile gibt es eine neuere, dritte Generation. Der Geschäftsführer rechnet damit, nächstes Jahr wahrscheinlich einen davon im Einsatz zu haben. Ein ausrangiertes Vehikel könnte dann etwa einen Kreisverkehr in der Mitte zieren, kann sich Bergweiler vorstellen. Die Stadt am Rhein habe ein entsprechendes Programm für "Kunst im öffentlichen Raum".

Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Autonome Fahrzeuge, Personentransport und die Zukunft des Verkehrs

(Bild: jamesteohart/Shutterstock.com)

Autonomes Fahren, die Auswirkungen auf den Personentransport mit Robotaxis, people movern, autonomen Bussen und die notwendigen Techniken und Regularien beschäftigen uns in einer zehnteiligen Serie.

(jk)