Bayern stimmt für Polizeisoftware VeRA​ und wünscht viel Spaß mit "Bundes-Vera"

Der bayerische Landtag hat für den Einsatz der umstrittenen Polizeisoftware VeRA von Palantir abgestimmt. Kritiker befürchten Datenschutzverletzungen.

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Palantirs Logo auf Ziegelgebäude

(Bild: Tada Images/Shutterstock.com)

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Der bayerische Landtag hat für die gesetzliche Grundlage zum Einsatz der umstrittenen Polizeisoftware VeRA (Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform) von Palantir gestimmt. Das Programm soll Ermittlern ermöglichen, bei schweren Verbrechen schneller auf Daten aus verschiedenen Polizeisystemen zuzugreifen und Zusammenhänge zu erkennen. VeRA voll bereits im September zum Einsatz kommen.

Der Polizist und CSU-Abgeordnete Alfred Grob will die Erfahrungen beim Einsatz von VeRA, die seiner Ansicht nach keine KI ist, "gerne an die anderen Bundesländer" weitergeben, "denn bei der Bekämpfung von [...] Bandenkriminalität sollte es keine Landesgrenzen geben". Er wünscht zudem "viel Spaß und gute Gesundheit" dabei, auf die "Bundes-Vera" zu warten. Die Polizei brauche VeRA "jetzt und sofort".

Laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann soll vorher aber nochmal der Landesbeauftragte für den Datenschutz beteiligt werden. "Mit 'VeRA' werden wir die Möglichkeiten der Kriminalpolizei zur effektiven Gefahrenabwehr und Verhütung von Straftaten weiter stärken", so Herrmann. Bayern will damit zum Vorbild für andere Bundesländer werden, doch die Bestrebungen ernteten bereits im Vorfeld viel Kritik.

Ursprünglich hatte Bayern in seinem Vertrag mit Palantir auch Kaufoptionen für alle anderen Bundesländer sowie das Bundeskriminalamt und den Zoll ausgehandelt und wollte dem Unternehmen damit den Weg in weitere Bundesländer ebnen. Das Bundesinnenministerium nahm von einem Kauf im vergangenen Jahr aber Abstand. Stattdessen soll eine eigene Software-Lösung her und das Programm P20 zum Einsatz kommen, das laut Bundesinnenministerium unter anderem polizeiliche Informationen besser verfügbar machen soll. Mit ersten Ergebnissen sei ab 2025 zu rechnen.

Zwar hat die Polizei Daten zu mehr als 30 Millionen Vorgängen gespeichert, aber in völlig unterschiedlichen Systemen und Formaten. VeRA soll unter anderem Fragen dazu beantworten, ob ein Verdächtiger schon einmal kontrolliert wurde oder welches Kennzeichen sein Auto hat. Bisher müssen die Ermittler dafür mehrere Systeme auswerten und die Ergebnisse nebeneinander legen.

VeRA greift auf Daten zu, die die bayerische Polizei bereits erhoben hat. Allein im Vorgangsbearbeitungssystem IGVP waren Ende August 2022 rund 38,7 Millionen Personen erfasst, davon 60 Prozent Zeugen, Opfer oder Auskunftspersonen. Die Anschaffung der Software des amerikanischen Herstellers Palantir kostete Bayern 5,4 Millionen Euro. Für den Betrieb werden jährlich 500.000 Euro veranschlagt.

Die Software soll diese Daten aus unterschiedlichen Quellen und Formaten zusammenführen und auswerten. Die Ermittler können sich die Ergebnisse in Graphen, Karten oder Tabellen darstellen lassen. Auch besonders geschützte Daten aus Überwachungsmaßnahmen können ausgewertet werden.

Die Software soll laut bayerischem Landeskriminalamt nur bei Fällen schwerer und schwerster Kriminalität und nur bei Szenarien zum Einsatz kommen, in denen die Polizei mögliche weitere Straftaten verhindern will. Juristisch ist vom Bereich der Gefahrenabwehr die Rede. Beispiele sind organisierter Drogenhandel, Telefonbetrügerbanden, Terroranschläge und Sexualdelikte sowie Kinderpornografie. Nur um Straftaten im Nachhinein aufzuklären, darf die Software nicht genutzt werden, weil dafür bislang die gesetzliche Grundlage fehlt.

Nach Angaben des bayerischen Landeskriminalamtes soll VeRA nur zur Verhinderung schwerer Straftaten wie Terroranschläge, organisierte Kriminalität oder Kinderpornografie eingesetzt werden. Zunächst sollen rund 150 speziell geschulte Ermittler Zugriff erhalten. Dieser Kreis soll später auf mehrere hundert Personen erweitert werden.

Die Einführung von VeRA ist umstritten und wird von verschiedenen Seiten kritisiert. Datenschützer befürchten unzulässige Verknüpfung von Daten, die zu anderen Zwecken erhoben wurden, sowie die Speicherung von Informationen über Unverdächtige. Der Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri fordert, bestimmte Datenauswertungen ganz zu verbieten und die Speicherfristen zu verkürzen.

Das Landeskriminalamt hat nach heftiger Kritik die Tests der Software mit Daten realer Personen beendet und verwendet seit dem 11. März nur noch pseudonymisierte Daten. Kritiker werfen Palantir zudem zu große Nähe zu US-Geheimdiensten vor und befürchten, dass sensible Daten abgezweigt werden könnten.

Trotz dieser Bedenken forderte der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf, ihre Entscheidung gegen Palantir zu überdenken, insbesondere angesichts der aktuellen islamistischen Bedrohung in Deutschland.

Palantirs Software Hessendata, die bei der hessischen Polizei zum Einsatz kommt, steht ebenfalls wegen Datenschutzbedenken in der Kritik. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat Ende Juni eine Verfassungsbeschwerde aufgrund des novellierten Hessischen Polizeigesetzes eingereicht. Zwar hat Hessen bei dem Gesetz nach einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde 2023 bereits nachgebessert, das sei laut GFF allerdings nicht ausreichend.

Ziel der Verfassungsbeschwerde ist laut GFF, "die andauernde Verletzung der Privatsphäre zu beenden und die automatisierte Datenauswertung (Data Mining) endgültig auf den Boden des Grundgesetzes zurückzuholen". Demnach sei es möglich, auch die Daten "vollkommen Unbeteiligter in die hessische Analysesoftware einzuspeisen", so die GFF. So könne beispielsweise als Klimakleber überwacht werden, wer in einem Baumarkt Klebstoff kaufe, heißt es von der GFF.

Palantir-Software kommt auch in anderen Branchen zum Einsatz. So nutzt das US-Militär Palantir für die Entwicklung von KI-gestützter automatischer Zielerfassung. Das englische Gesundheitssystem hat Palantir mit der Entwicklung einer Gesundheitsplattform beauftragt, was von britischen Bürgerrechtlern kritisch gesehen wird.

Update

Ergänzt, dass der Bayerische Landtag für eine gesetzliche Grundlage von VeRA gestimmt hat.

(mack)